Über das hohe Tempo im Fußballgeschäfts wundert sich Jörg Butt schon lange nicht mehr. Der zurückhaltende Mann aus Oldenburg wird bald 37 und ist im 19.Jahr Profi. Die jüngste Wendung seiner Karriere hat dem Torwart aber wohl zugesagt: "ButtButtButt!" riefen sie Sonntag wieder in der Südkurve beim Sieg des FCBayern über Leverkusen, wenn er am Ball war - zuletzt hatten sie dort seinen künftigen Nachfolger Manuel Neuer beschimpft und zugleich Vorgänger Thomas Kraft besungen, den ihm der nun entlassene Trainer Louis van Gaal nach der Winterpause vorgezogen hatte. Im SZ-Interview äußerte sich der WM-Teilnehmer, der seit 2008 in München ist und bislang 58 Spiele absolvierte, als erster Bayern-Profi ausführlich zu den Hintergründen der Trainer- entlassung - bei der Butt unfreiwillig zur Schlüsselpersonalie wurde.
SZ: Herr Butt, Sie haben geschwiegen, seitdem Sie van Gaal im Winter in Katar zur Nummer zwei degradierte. Lag das nur an Ihrem norddeutschen Gemüt?
Jörg Butt: Ich glaube, wenn ich mich geäußert hätte, dann hätte das dem Verein nicht geholfen und mir auch nicht. Das hätte nur noch mehr Unruhe gegeben. Dass ich mich ungerecht behandelt gefühlt habe, kann sich jeder denken. Es gab keinen sportlichen Grund, mich aus dem Tor zu nehmen.
SZ: Louis van Gaal sagt, er habe Ihnen im vergangenen Sommer angekündigt, dass er im Tor wechseln werde.
Butt: So hat er das mir gegenüber auch gerechtfertigt. Tatsache ist: Als ich meinen Vertrag verlängert habe, sagte er mir: "Du bist meine klare Nummer eins, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass es mal einen Wechsel gibt." Da habe ich gesagt: "Das ist doch logisch, wir sind hier beim FC Bayern!" Ich weiß, dass es hier nur um Leistung geht. Für mich war das eine Aussage, wie sie ein Trainer halt mal macht, um positiv zu provozieren.
SZ: So haben Sie das gewertet.
Butt: Jedenfalls hat er's hinterher so erklärt. Ich glaube aber, dass er einen Wechsel im Tor vornehmen wollte. Nur: Ich gab ihm keinen Anlass. Darum war's für mich nicht nachvollziehbar, nach der Winterpause ohne Grund auf dieser so entscheidenden Position zu wechseln. Ich habe das überhaupt nicht kommen sehen. Ich kam nach einer für den Verein schwierigen Vorrunde erholt und motiviert aus dem Urlaub, und am zweiten Tag in Katar sollte ich nach dem Mittagessen zu ihm kommen. Ich dachte, er will mit mir über die Rückrunde sprechen.
SZ: Wollte er aber gar nicht.
Butt: Ja, er hat nicht mal einen Zweikampf im Trainingslager ausgerufen. Ich konnte nichts tun, nichts beeinflussen, ich hatte keine Chance. Deshalb glaube ich: Die Entscheidung stand lange fest.
SZ: In Nürnberg ist Kraft nun ein Pass zum Gegner zum Verhängnis geworden. Hätte der 36-jährige Torwart Butt den Ball auf die Tribüne geschossen?
Butt: Das ist hypothetisch, aber ich habe mir zumindest immer die Freiheit genommen, in solchen Situationen nach meinem Gefühl zu entscheiden.
SZ: Und nicht nach den Vorgaben von van Gaals Torwarttrainer Frans Hoek, der stets den konstruktiven Pass fordert.
Butt: Du kannst das als Torhüter nur machen, wenn deine Abwehrspieler das auch verstehen. In Holland ist das kein Problem, da lernt das jeder E-Jugend- liche, aber keiner von uns ist so aufgewachsen. Vielleicht hat der Trainer da manchmal zu viele Dinge vorausgesetzt.
SZ: Stimmt es, dass es eine ähnliche Szene zwei Tage vorher im Training gab? Dass Kraft von Philipp Lahm aufgefordert wurde, den Ball in engen Situationen auch mal wegzuhauen? Und dass Lahm dafür einen Rüffel kassierte?
Butt: Ja, aber eines ist mir wichtig: dass wir nicht nur über die Torwartposition reden. Wir hatten doch ständig Wechsel, keine festen Größen mehr in der Abwehr: Im Tor, aber auch auf der Doppel-Sechs ist ständig gewechselt worden, in der Innenverteidigung, der linke Vertei- diger - mit Ausnahme von Philipp Lahm die komplette Deckung! Wie soll man da die Sicherheit beim Herausspielen bekommen, das ja verlangt wurde? Vielleicht hat der Trainer da manchmal zu viele Dinge vorausgesetzt. Aber es soll hier nicht so klingen, als ob die Personalie "Kraft statt Butt" alleine für die Probleme verantwortlich war.
SZ: So klang es aber bei Präsident Uli Hoeneß, der sagte, mit der Entscheidung habe "die ganze Scheiße" angefangen.
Butt: Das ging aber bestimmt nicht gegen Thomas Kraft. Hoeneß hat halt die allgemeine Situation kritisiert. Man muss doch sehen: Da hast du einen stabilen, über Jahrzehnte herausragend geführten Verein - und auf einmal ist vieles labil. Es gab am Ende doch gar keine Konstante mehr in der Mannschaft.
SZ: S ie meinen die Personalwechsel?
Butt: Ja, mein Fall ist nur eines von vielen Beispielen. Ich empfinde van Gaal nicht als Menschen, der mir bewusst etwas angetan hat. Nehmen Sie aber Bastian Schweinsteiger: Der hört das auch nicht gern, wenn sein Trainer öffentlich erklärt, man müsse ihn, falls er den Vertrag nicht verlängert, verkaufen. Es kann nicht sein, dass ein leitender Angestellter in einem funktionierenden Verein alles umwerfen will. Der FC Bayern hat eine sportliche Linie gesucht - aber niemanden, der den Verein übernehmen will. Das Problem war, dass er nicht bereit war, die Identität des Vereins anzunehmen.
SZ: Wie kommt es dann, dass sich Schweinsteiger und viele andere bis zuletzt positiv über van Gaal äußerten?
Butt: Da darf man nichts durcheinanderbringen. Louis van Gaal ist fachlich sicher einer der besten Trainer, die ich hatte. Das denken alle Spieler bei uns - auch die, die mit ihm Probleme hatten. Nur hat er am Ende eben nicht mehr rein sportlich entschieden. Er hat Entscheidungen getroffen, die tief in die Vereinspolitik hineingingen. Und wenn es plötzlich Lager gibt im Verein und dann noch der sportliche Erfolg ausbleibt - dann kommt es zu Reaktionen wie bei uns.
SZ: Gab es keine Möglichkeit, ihm zu sagen: Trainer, alles super, aber können Sie nicht etwas weniger radikal handeln?
Butt: Es gab ja diese Gespräche, ich hatte mit ihm auch mal ein sehr gutes, ganz am Anfang, als ich die Nummer zwei hinter Michael Rensing war.
SZ: Was haben Sie ihm gesagt?
Butt: Ich hab ihm gesagt, wie sein Auftreten auf die Mannschaft wirkt. Er war sehr laut in dieser Zeit, was einige eingeschüchtert hat. Er hat mir zugehört und das auch angenommen. Zwei Tage nach unserem Gespräch hat er sich vor die Mannschaft gestellt und gesagt: Ich will nicht eure Persönlichkeit als Spieler verändern, jeder darf seine Identität behalten - aber im Sinne meiner Philosophie. Und das ist ja auch völlig in Ordnung.
SZ: Aber das hielt nicht lange an?
Butt: Wir waren im ersten Jahr sehr erfolgreich, sicherlich dank seiner sehr guten Arbeit. Aber vielleicht hat er den Erfolg ein bisschen sehr auf sich bezogen.
SZ: Und dann kam zum Vorschein, was Hoeneß "beratungsresistent" nennt.
Butt: Van Gaal hat sich im Grunde selbst charakterisiert. Er hat gesagt: "Wenn ich zu Ajax Amsterdam zurückkehre, dann nur, wenn ich das alleinige Sagen habe." Das ist seine Motivation: der ganzen Welt zu zeigen, dass er der Beste ist. Das wäre nicht nötig, weil man ja ohnehin merkt, wie gut er fachlich ist.
SZ: Diese Radikalität produzierte auch Verlierer. Erst Sie, nun Kraft.
Butt: Vielleicht empfindet Thomas das so, aber ich sehe das anders. Ich habe erwartet, dass es Probleme geben wird, und es spricht für den Thomas, dass das sehr lange gut gegangen ist. Er hat das gut gemacht. Er ist kein Verlierer.
SZ: Warum haben Sie das erwartet?
Butt: Bei Bayern kannst du nicht von heute auf morgen einen unerfahrenen Mann ins Tor stellen. In anderen Städten geht das - aber nicht hier, bei diesem Druck. Du musst hier lernen, die Dinge auszublenden, das hätte ein Olli Kahn mit 20 nicht gekonnt, ich auch nicht. Einen Feldspieler wie Diego Contento kannst du auch mal rausnehmen, wenn er einen Hänger hat, da sagt keiner was. Aber du kannst nicht alle fünf Spiele den Torwart wechseln.
SZ: Im Grunde haben Sie gerade ein Plädoyer für Manuel Neuer gehalten.
Butt: Manu hat das eben schon erlebt, dass man Fehler macht und in Frage gestellt wird. Er hat inzwischen unglaublich viel Erfahrung auf hohem Niveau. Er ist die Nummer eins in Deutschland, hat eine gute WM gespielt. Mit ihm kannst du eine Ära prägen.
SZ: Sie werden nun aufhören, wenn Neuer nach München kommt, wohl schon diesen Sommer oder eben 2012. Sie werden nach der Karriere Nachwuchs-Chef der Bayern, wobei Sie dann auch für die zweite Mannschaft zuständig sind. Sie wird künftig vom Interimstrainer und Van-Gaal-Vertrauten Andries Jonker betreut - ist das der Versuch, ein bisschen van Gaal im Klub zu behalten?
Butt: Der FC Bayern hat viel von Louis van Gaal profitiert. Andries Jonker ist stark von van Gaal geprägt, das soll er einbringen. Und er hat uns jetzt einfach mal Freiheiten im Training gegeben, das war in unserer Situation mal wichtig. Aber er soll und wird nicht die Ajax-Schule hier verankern. Ich glaube, dass der Verein viel von van Gaal übernehmen und lernen sollte. Aber die Identität des FC Bayern muss erhalten blieben.
SZ: Dazu zählt auch die Anwesenheit in der Champions League. Sehen Sie nach dem 5:1 über Leverkusen sogar noch Chancen auf Platz zwei?
Butt: Sechs Punkte auf Leverkusen ist schon ein großer Rückstand bei vier Spielen, und Hannover ist nur einen hinter uns. Wir sollten zusehen, erst mal diesen Abstand zu vergrößern. Aber dass Leverkusen hier 1:5 verliert, obwohl sie realistische Chancen hatten, Dortmund unter Druck zu setzen, hätte ich nicht gedacht
SZ: Sie waren sechs Jahre in Lever- kusen, wie kann man diese sonderbare Tradition des Scheiterns erklären?
Butt: Ich will jetzt nicht über Leverkusen reden, aber sagen wir mal so: Es ist kein Zufall, dass der FC Bayern so erfolgreich ist. Hier ist nie einer zufrieden, und nach einem tollen Spiel in der Champions League ist das keinem egal, wenn du drei Tage später irgendwo nur unentschieden spielst. Ohne diesen Druck kannst du keinen Erfolg haben.
SZ: In München fliegen nach Unentschieden die Trainer, wie jetzt van Gaal.
Butt: Ja, aber ausschlaggebend war nicht dieses Unentschieden. Sondern die Entwicklung in den Monaten davor.