FC Bayern:Das Ende der Unantastbarkeit

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Bedient: Manuel Neuer und Thomas Müller (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Der FC Bayern verliert gegen Borussia Dortmund und gibt die Tabellenführung der Fußball-Bundesliga an RB Leipzig ab.
  • Vor allem das Offensivkonzept der Münchner wirft Fragen auf.
  • Es ist nach der Niederlage gegen Atlético die zweite große Pleite des Teams von Carlo Ancelotti.

Von Maik Rosner, Dortmund

Als es vollbracht war, erschallte ein lauter Schrei in der Dortmunder Arena. Ein so langgezogenes wie schlichtes "Jaaa" des Stadionsprechers Norbert Dickel war nun aus den Stadionboxen zu vernehmen. Mehr bedurfte es auch nicht, um die Freude des BVB nach dem ersten Ligasieg gegen den FC Bayern seit dem 12. April 2014 (3:0 in München) zum Ausdruck zu bringen. "Wir genießen das natürlich jetzt. Es ist ein schöner Tag", sagte Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke.

Stellvertretend standen seine gute Laune und Dickels Ausruf auch für die Freude der gesamten Ligakonkurrenz der Münchner. Die erste Bundesliga-Niederlage von Bayerns Trainer Carlo Ancelotti hatte ja nicht nur die Borussia mit nun nur noch drei Punkten Rückstand auf den Meister ins Titelrennen zurückgebracht. Vor allem haben die Münchner nun erstmals in dieser Saison ihre Tabellenführung eingebüßt. Die Spannung im Titelrennen ist zurück. "Wir sind nicht glücklich", war der erste Satz von Ancelotti auf der Pressekonferenz.

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Auf dem ersten Platz darf der Aufsteiger RB Leipzig nach dem 3:2-Sieg bei Bayer Leverkusen verbleiben, garniert von der Aussicht, beim letzten Ligaspiel vor Weihnachten am 21. Dezember in München vielleicht sogar noch mehr Druck auf den FC Bayern ausüben zu können. Drei Punkte Vorsprung hat die Mannschaft von Trainer Ralph Hasenhüttl auf die Münchner, die erstmals seit 39 Spieltagen nicht von ganz oben grüßen. "Ist doch schön für die Liga. Das haben sich doch alle gewünscht", sagte deren Kapitän Philipp Lahm. Dass er diese Sätze ziemlich kurz angebunden ins Sky-Mikrofon sprach, erzählte viel über seine tatsächliche Stimmungslage und die seiner Kollegen. Zumal auch die TSG Hoffenheim an diesem Sonntag im Heimspiel gegen den Tabellenletzten Hamburger SV noch bis auf einen Punkt an die Münchner heranrücken kann.

Fast zwei Drittel Ballbesitz, aber (fast) keine Torgefahr

Dass der Dauer-Meister der vergangenen vier Jahre schlagbar und womöglich sogar übergeordnet angreifbar sein könnte, hatte sich in der laufenden Saison bereits mehrfach angedeutet, nicht nur bei den Unentschieden gegen den 1. FC Köln (1:1), Eintracht Frankfurt (2:2) und die TSG Hoffenheim (1:1). Ein Verlust an Souveränität war auch in anderen Spielen zu beobachten gewesen. Die erste große Prüfung der Saison in der Champions League war durch die 0:1-Niederlage bei Atlético Madrid zudem eher ernüchternd aus Münchner Sicht geraten.

Nun, in der zweiten großen Prüfung, bestärkte Pierre-Emerick Aubameyang mit seinem entscheidenden Tor in der elften Minute den Eindruck, dass die Münchner unter Pep Guardiolas Nachfolger Ancelotti ihre nationale Unantastbarkeit eingebüßt haben. Zunehmend müssen sie sich nun Fragen nach ihrem Offensivrezept gefallen lassen, in dem nicht selten eine überzeugende Strategie zu fehlen scheint. Dortmunds Trainer Thomas Tuchel durfte auch deshalb eine Stunde nach dem Spiel im Bauch des Stadions erfreut feststellen: "Wir haben nie in der Intensität nachgelassen. Das war der Schlüssel, keine Torchancen zuzulassen."

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Mit fast zwei Drittel Ballbesitz hatten die Bayern zwar überlegen agiert. Wirklich große Gefahr für das BVB-Tor konnten sie dabei aber nicht heraufbeschwören. "Wir haben alles versucht, das Spiel zu egalisieren", befand Ancelotti. Doch die Mittel genügten nicht gegen die mit einem enormen Tempo wie die Höllenhunde über den Platz jagenden Dortmunder, die ihren Rekord auf 27 Heimspiele ohne Niederlage ausbauten. Letztmals hatten sie im April 2015 zu Hause verloren, damals 0:1 durch ein Tor ihres 2014 zum FC Bayern übergelaufenen Angreifers Robert Lewandowski. Diesmal hatte der Pole nicht eine nennenswerte Chance aufgelegt bekommen.

Es war ein sehr intensives, packendes Spitzenspiel gewesen, das zwar nicht viele Torchancen hervorbrachte, aber stets wirkte, als könne im nächsten Moment eine gefährliche Situation entstehen. Einer dieser Momente hatte sich früh eingestellt, und es war einer, an dem der ehemalige Münchner Mario Götze in seinem ersten Ligaspiel gegen die Bayern nach seiner Rückkehr nach Dortmund im Sommer den entscheidenden Impuls gab. Sein Zuspiel durch die Beine seines früheren Dortmunder Kollegen Mats Hummels erreichte den erstaunlich freistehenden Aubameyang, der den Ball mit einer Grätsche aus kurzer Distanz über die Linie schob. Es war bereits das zwölfte Saisontor des Gabuners, der damit mit Kölns Anthony Modeste wieder gleichzog.

Personell wie erwartet und im gewohnten 4-3-3-System hatte Ancelotti den Meister aufs Feld geschickt. Anders sein Dortmunder Kollege Tuchel, der seine Startelf in einem 3-5-2 bzw. 5-3-2 im Spiel gegen den Ball formiert hatte. Die Idee, die dahinter steckte, wurde rasch sichtbar. Aubameyang und Adrian Ramos wurden häufig mit langen Bällen gesucht und auch gefunden. Mehrfach ergaben sich für die Dortmunder dabei gute Angriffe. Wie in der 20. Minute, als Aubameyang nach ähnlichem Muster den ehemaligen BVB-Kollegen Mats Hummels auf der rechten Seite in ein Laufduell zwang und abhängte und den Ball in die Mitte passte, wo André Schürrle mit einem Dropkick abschloss.

Erst danach gewannen die Münchner an Spielkontrolle, zudem profitierten sie von einigen Ballverlusten des BVB, woraus schnelle Durchbrüche des Offensivtrios Lewandowski, Thomas Müller und Franck Ribéry resultierten. "Es fehlte oft der letzte Pass, sonst hätten wir zahlreiche Chancen haben können", sagte Lahm. Die "klare Identität" von Tuchels Mannschaft hatte Ancelotti vor dem Spiel anerkennend hervorgehoben und zugleich die eigene Mannschaft aufgefordert, ihre Identität zu zeigen. Doch wie schon mehrfach in dieser Saison wurde diese nur bedingt sichtbar. Eine Struktur im Offensivspiel fehlte, vieles wirkte abhängig von der individuellen Klasse des Personals. Auch deshalb musste trotz immer größerer Überlegenheit ein Distanzschuss von Xabi Alonso herhalten, um wirklich Gefahr zu erzeugen. Sein ansatzloser Versuch flog gegen die Latte (61.).

Dortmunds Watzke jubiliert, Bayerns Ancelotti spart mit Kritik

Kritik wollte Ancelotti später dennoch nicht üben. "Die Leistung war okay, aber das Resultat nicht", sagte er. Es fügte sich ins Bild, dass die Dortmunder bei ihren nur noch sporadischen Angriffen gefährlicher agierten. Das galt besonders für Aubameyang, vor allem in jener Szene, als er von Xabi Alonso mit einem Fehlpass ungewollt in einen Konter geschickt wurde. Allein lief Aubameyang auf Neuer zu, scheiterte aber mit seinem unpräzisen Abschluss (71.).

Als "taktisch großartig", stufte Watzke später Tuchels Vorgaben ein, diese schwere Prüfung gegen die Münchner mit seiner jungen Mannschaft gemeistert zu haben, "ist für ihn ein weiterer Stern auf seinem Revers". Was der Sieg über den weiteren Saisonverlauf aussage, müsse aber abgewartet werden. Vorerst jedenfalls scheint das Titelrennen so offen wie seit Jahren nicht.

© SZ vom 20.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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