Euroleague-Basketball:Der Hüne mit den Krakenarmen

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Momentan ist Münchens Center Freddie Gillespie viertbester Rebounder der Euroleague. (Foto: Ulrich Gamel/Kolbert-Press/Imago)

Freddie Gillespie akklimatisiert sich auf seiner ersten Profistation außerhalb der USA zusehends, wie beim Sieg gegen Roter Stern Belgrad zu beobachten ist. Nicht nur Trainer Andrea Trinchieri sieht aber noch viel Potenzial bei seinem Center.

Von Ralf Tögel

Selbst wenn Freddie Gillespie in einem übergroßen Hoodie vor einem steht und ganz entspannt plaudert, fallen diese langen Arme sofort ins Auge. Auf 2,30 Meter wird seine Spannweite taxiert, bei einer Größe von 2,06 Meter sind das Maße, die einem Basketball-Profi durchaus dienlich sind. Wie am Donnerstagabend im Spiel gegen Roter Stern Belgrad: Der Center des FC Bayern war in der furiosen Schlussphase einer der auffälligsten Akteure der Gastgeber im ausverkauften Audi Dome und trug Entscheidendes zum 87:80-Sieg bei.

Fünf Minuten vor dem Ende waren die Münchner noch mit neun Punkten in Rückstand gelegen, sehr zur Freude der zahlenmäßig klar überlegenen serbischen Fans, die den Dome in ein Tollhaus verwandelten. Dann aber drehten die Gastgeber erst auf - und letztlich die Partie. Vor allem Bayern-Kapitän Vladimir Lucic verspürte offensichtlich wenig Lust, sich nach der Heimniederlage gegen Partisan vor knapp vier Wochen auch dem zweiten Belgrader Euroleague-Vertreter vor seinen frenetischen Landsleuten geschlagen zu geben. Zwölf seiner insgesamt 20 Punkte steuerte der serbische Nationalspieler im letzten Viertel bei und war damit neben Cassius Winston, der ebenfalls 20 Punkte sammelte, bester Schütze. Zudem näherte sich der 33-Jährige nach seiner langen Verletzungspause erstmals wieder jener Form an, die ihn für sein Team so unersetzlich macht.

Zu Saisonbeginn lauschte Freddie Gillespie noch mit großen Augen den Traineranweisungen, nun setzt er sie spektakulär um

In der ersten Halbzeit hatte Winston das Spiel der Bayern geprägt, der Spielmacher war ja als ein Teil jener Wundertüte nach München gekommen, die Sportdirektor Daniele Baiesi aus den USA an die Isar geholt hatte. Teil zwei ist eben Center Gillespie, der wie Winston 25 Jahre alt ist und sich in seiner ersten Profistation außerhalb der Vereinigten Staaten immer besser akklimatisiert - und damit immer wertvoller für das Team wird. Zu Beginn der Saison stand der Hüne noch oft mit großen Augen im Kreis der Kollegen und lauschte den Anweisungen von Trainer Andrea Trinchieri. Mittlerweile setzt er diese spektakulär um. Der Kreis an Europa-Novizen ist im Übrigen um Zylan Cheatham erweitert worden, der Flügelspieler ersetzt Augustine Rubit, der bis Saisonende ausfallen wird. Cheatham kommt vom Farmteam der New Orleans Pelicans, das in der G-League der NBA spielt, und hat eine ähnliche Historie wie Winston und Gillespie. Die Partie gegen Belgrad verfolgte der 27-Jährige bereits hinter der Bayern-Bank und postete erste Videos.

Der Start in Europa war nicht einfach, erzählt Gillespie: "Es ist ein anderes Land, ein anderer Basketballstil, der Court ist kleiner und das Spiel ist taktischer. Ich hatte viel zu lernen." Europäische Profis seien taktisch besser geschult, jeder würde über einen hohen Basketball-IQ verfügen: "Deshalb sind Spieler wie Luka Doncic oder Nikola Jokic bestimmend in der NBA."

Der Lernprozess des FCB-Centers schreitet augenscheinlich passabel voran, Gillespie ist jetzt schon der viertbeste Rebounder der Euroleague. Noch sind es die spektakulären Blocks, mit denen er auch am Donnerstagabend die Zuschauer mitriss, zusehends aber wird er auch in der Offensive ein Faktor. Gegen Belgrad steuerte er acht Punkte zum Sieg bei, in der begeisternden Schlussphase gelangen ihm drei enorm wichtige Dunkings. "Ich denke, ich lerne jeden Tag mehr und fühle mich mittlerweile sehr viel wohler und sicherer auf dem Platz. Das ist die größte Veränderung." Woran auch der FC Bayern großen Anteil habe: Zum einen fühle er sich sehr wohl in Kreis der Kollegen, zudem "macht der Verein sehr viel, um dir den Wechsel so leicht wie möglich zu machen".

Trainer Trinchieri vergleicht Gillespie mit einem guten Wein. Der benötige noch die richtige Menge Sauerstoff, um zu munden

Und Gillespie hat seine Möglichkeiten noch längst nicht ausgeschöpft, wie sein Trainer auf die ihm eigene Art mitteilte. Nein, befand Trinchieri nach dem Sieg, "Freddie war das ganze Spiel nicht gut". Der Italiener macht sich selten des überbordenden Lobes verdächtig, bei der Beschreibung seines Centers griff er lieber auf eine von ihm beliebte Metapher zurück: "Freddie ist wie ein guter Wein." Das dokumentiert einerseits die Nähe des Mailänders zu einem edlen Tropfen, bringt gleichzeitig aber zum Ausdruck, dass er noch bessere Leistungen von Gillespie erwartet. Ein guter Wein nämlich benötige "die richtige Menge Sauerstoff", um seinen Geschmack in Vollendung zu entfalten. Er jedenfalls habe nach zwei Fehlern des Centers in der Verteidigung "auf meinen Trainerstab gehört und ihn draufgelassen", berichtete Trinchieri. "Er sollte dann nur noch die Zone beschützen, ich glaube, das war der Schlüssel zum Sieg."

Gillespie verteidigte fortan den Korb mit seinen Krakenarmen gegen die exzellenten Guards der Serben, die dem Topduo Nemanja Nedovic und Luca Vildoza kürzlich auch noch Facundo Campazzo hinzugefügt hatten, der von den Dallas Mavericks aus der NBA losgeeist wurde. So drehten die Bayern das Spiel mit einem 14:0-Lauf und verbesserten sich mit ihrem zehnten Sieg bei 16 Niederlagen auf den 14. Tabellenplatz. Auf den achten und damit letzten Playoff-Platz fehlen indes drei Siege bei acht ausstehenden Spielen. Angesichts der Qualität der Konkurrenten ist dieses Ziel wohl theoretischer Natur. Für Gillespie sowieso kein Thema: "In der Euroleague ist jedes Spiel so hart, da kann man nicht zu weit nach vorne blicken. Du musst dich auf das fokussieren, was direkt vor dir liegt."

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