FC Augsburg gegen FC Bayern:Das lange Warten hinter Neuer

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"Es geht auch darum, dass es für mich völlig normal wird, Woche für Woche im Bundesligator zu stehen": Finn Dahmen. (Foto: Bernd Feil/M.i.S./Imago)

Am Beispiel von Augsburgs Torwart Finn Dahmen und dem Nationalkeeper des FC Bayern lässt sich erklären, warum die Torhüternation Deutschland ein Nachwuchsproblem hat. Oder hat der Nachwuchs eher ein Problem in der Torhüternation?

Von Maik Rosner

Als Manuel Neuer 2006 das Schalker Bundesligator anvertraut wurde, war er 20 Jahre alt. In der Saison 2007/08 spielte Neuer mit 21 in der Champions League. Mit 23 gab er sein Debüt in der A-Nationalmannschaft, mit 24 spielte er 2010 seine erste WM, vier Jahre später wurde er Weltmeister. Der fünfmalige Welttorwart Neuer, seit 2011 beim FC Bayern, gilt als der wohl beste der vielen sehr guten deutschen Torhüter in der Geschichte. Angefangen mit Bert Trautmann und Toni Turek, dem ersten deutschen Weltmeistertorwart von 1954. Später erregten die Weltmeister Sepp Maier (1974) und Bodo Illgner (1990) international Aufsehen. Oliver Kahn schaffte das auch ohne WM-Titel - und manchmal sogar unabhängig von seinen Paraden.

Wenn die Bayern an diesem Samstag (15.30 Uhr) beim FC Augsburg antreten, stehen sich zwei Torhüter mit ziemlich konträren Lebensläufen gegenüber. Zu den wenigen Parallelen zwischen Neuer, 37, und Finn Dahmen, 25, gehört ihr Geburtstag am 27. März. Zudem haben sie die deutschen U-Nationalteams durchlaufen und sind als Stammkeeper U21-Europameister geworden. Neuer gelang das 2009, Dahmen 2021. Abgesehen davon fallen in ihren Karrieren vor allem die Unterschiede auf, und an diesen lässt sich erklären, was sich in der Torhüternation Deutschland verändert hat.

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Wie Neuer durften über die Generationen hinweg viele große Torhüter früh auf hohem Niveau Erfahrungen sammeln. Maier wurde mit 19 Jahren Stammtorwart des FC Bayern. Marc-André ter Stegen, 31, Neuers erster Vertreter bei der Nationalelf, übernahm Mönchengladbachs Tor mit 18. Dahmen wird in zwei Monaten 26 Jahre alt, doch trotz seines früh entdeckten Talents hat er erst seit dieser Saison einen Stammplatz in der Bundesliga. Bevor er im Sommer 2023 zum FCA kam, war Dahmen in Mainz als Nummer zwei jahrelang nur sporadisch in der Bundesliga zum Einsatz gekommen.

Spricht man nun mit Dahmen über seine neue Rolle als Stammtorwart, sagt er: "Es war eine Umgewöhnung, Woche für Woche im Tor zu stehen." Obwohl er sich wie der FCA im Saisonverlauf stabilisiert und schon einige sehr gute Spiele gezeigt hat, lässt sich seine fehlende Routine manchmal erkennen, zum Beispiel bei Flanken. "Es wäre bestimmt förderlich gewesen, schon früher zu Einsatzzeiten zu kommen", sagt Dahmen. Doch als Mainzer Nummer zwei hatte er keine Gelegenheit, Spielpraxis in der zweiten oder dritten Liga zu sammeln. Er sagt: "Für junge Torhüter ist es auch deshalb schwierig, im Profifußball einen Stammplatz zu ergattern, weil auf der Position nur ungern gewechselt wird. Wenn sich ein älterer Torwart nicht ständig grobe Fehler erlaubt oder schwer verletzt, behält er seinen Platz meist über viele Jahre."

Dahmens Vita steht beispielhaft für die Situation vieler deutscher Nachwuchskeeper in den vergangenen Jahren. Das zeigt auch der Blick in die Bundesliga, in der aktuell zwar 15 von 18 Vereinen auf deutsche Torhüter setzen. Doch diese sind mit Ausnahme von Freiburgs deutschem U21-Nationaltorwart Noah Atubolu, 21, alle älter als Dahmen. In der zweiten Liga sieht es nur etwas besser aus.

Torwarttrainer Kostmann regt flexiblere Ausleihmodalitäten und ein Doppelspielrecht an

Augsburgs Torwarttrainer Marco Kostmann, 57, verweist hier auf jene Lücke, die sich seit Jahren abgezeichnet hat: "In der Spitze sind wir immer noch top, in der Breite wird es weniger nach dem Jahrgang 1992 mit Marc-André ter Stegen, Bernd Leno und Stefan Ortega", sagt Kostmann. Nach dieser Generation war es ihm zufolge "jahrelang das Manko, dass wir uns nicht getraut haben, unsere jungen Torhüter spielen zu lassen, sondern stattdessen fertige Torhüter in die Bundesliga und zweite Liga geholt haben. In der Spitze werden wir immer wieder Toptorhüter haben, aber die Breite ist nicht mehr so da."

Dabei wird laut Kostmann in den Vereinen und Nachwuchsleistungszentren der Profiklubs gute Arbeit geleistet. Das Problem sei die fehlende Praxis vieler junger Torhüter. Um das zu ändern, regt er flexiblere Ausleihmodalitäten an, verbunden mit einem Doppelspielrecht. Er sagt: "Wir müssen neue Wege einschlagen, damit die jungen Torhüter mehr Chancen zum Spielen erhalten. Nichts ersetzt Spielerfahrung. Ein Torwart, der nur auf der Bank sitzt, wird auf keinen Fall besser."

Nach der U19 lasse man die Talente regelrecht fallen, kritisiert Spielerberater Jörg Neblung

Ähnlich hatte sich zu Saisonbeginn bereits Jörg Neblung geäußert, der viele Torhüter berät. Darunter Kostmanns langjährigen Schützling Ortega, der sich über den TSV 1860 München und Arminia Bielefeld über die dritte und zweite Liga bis in die Bundesliga hochspielte und seit 2022 beim aktuellen Champions-League-Sieger Manchester City unter Vertrag steht. "Wir haben unsere Domäne, Paradedisziplin noch", sagte Neblung im Deutschlandfunk Kultur, "aber das wird nicht mehr lange halten." Er prognostizierte, dass es nach Neuer und der Generation ter Stegen Probleme geben werde. Seiner Meinung nach lasse man die Talente nach der U19 regelrecht fallen, weil man ihnen zu wenig Praxis ermögliche, auch in den Profiligen unterhalb der Bundesliga. Neblungs Kritik: "Wir nehmen den Jungs die Entwicklungsebene." Vielleicht hat also gar nicht die Torhüternation Deutschland ein Nachwuchsproblem, sondern eher der Nachwuchs ein Problem in der Torhüternation.

Dahmen hat es auch ohne viel Spielpraxis geschafft, Stammtorwart in der Bundesliga zu werden, wenngleich erst mit 25 Jahren. Kostmann hätte sich für Dahmen zwar eine kontinuierliche Entwicklung mit Praxis in der dritten und zweiten Liga gewünscht, weil das Fundament dann stabiler sei und auch Fehler besser zu verarbeiten seien, wie er sagt. Aber Kostmann ist bei Dahmen auch so "überzeugt, dass er in den nächsten anderthalb Spielzeiten durch die zunehmende Praxis zu einem überdurchschnittlichen Bundesligatorwart heranreift".

Dahmen will es Schritt für Schritt angehen und dabei mit Augsburg in seinem 32. Bundesligaeinsatz nun im besten Fall auch die Bayern überraschen. Durch Bremens 1:0-Sieg in München am vergangenen Sonntag habe man gesehen, "dass es möglich ist, die Bayern zu ärgern. Wir haben gegen die Topmannschaften auch schon gute Leistungen gezeigt, vor allem zu Hause", sagt er. Übergeordnet setzt sich Dahmen zum Ziel, Routine zu entwickeln. "Es geht auch darum, dass es für mich völlig normal wird, Woche für Woche im Bundesligator zu stehen", sagt er. Dahmen holt gerade jene Erfahrungen nach, die Neuer mit 20 sammelte.

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