Europa League:Alonso trimmt, entdeckt, erfindet neu

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Xabi Alonso macht Leverkusen besser - und lernt zugleich als Trainernovize viel dazu. (Foto: Geert Vanden Wijngaert/AP)

Leverkusen erreicht erstmals seit 21 Jahren ein Europapokal-Halbfinale. Der Ruf des Trainers Alonso nähert sich nun dem Rang des Spielers Alonso - auch, weil er erfolgreich gegen Leverkusener Sitten ansteuert.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Nach dem Coup im Lotto-Stadion in Anderlecht wurde im inneren Zirkel Bayer Leverkusens vor allem über die angemessene Zuteilung von Siegerbieren diskutiert. Der Torwart Lukas Hradecky nahm seine Kapitänspflichten gewissenhaft wahr und eröffnete die Debatte. Üblicherweise informiert er nach gewonnenen Spielen in eigener Sache, er werde sich abends "ein, zwei Bierchen" gönnen, diesmal aber ging er als Teamsprecher im Stil eines Lokomotivführer-Gewerkschafters in die Tarifverhandlungen: "Ich glaube, fünf Bier sind erlaubt", sagte er mit Blick auf die dreistündige Busreise ins Rheinland. Simon Rolfes, der Vertreter der Arbeitgeberseite, deutete Entgegenkommen an ("das eine oder andere geht schon"), wies aber auch auf gebotene Grenzen hin: "Das Fußballer-Leben ist hart."

RB Leipzig, am Sonntag der nächste Bundesliga-Gegner, darf sich womöglich freuen: Euphorisierte Leverkusener Profifußballer sind traditionell gern bereit, beim nächsten Pflichttermin etwas weniger diensteifrig aufzutreten. Bei dieser Mannschaft und diesem Trainer weiß man allerdings nicht, ob überlieferte Sitten noch gelten. Zwar erzählt man sich am Rhein, Disziplin sei nicht die hervorragende Eigenschaft des aktuellen Bayer-Kaders, zugleich versichern die Bayer-Verantwortlichen jedoch, Trainer Xabi Alonso sei ein Mann, dem Disziplin und hausinterne Regeltreue viel bedeuteten. Es sieht so aus, als ob er sich damit durchsetzen würde.

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Beim Europacup-Rückspiel gegen Union Saint-Gilloise obsiegte eindeutig die Linie des spanischen Trainers. Leverkusens 4:1-Sieg drückte nicht nur eine konzentrierte Leistung aus, er sah auch nach dem Triumph einer Mannschaft aus, die mit einer klaren Strategie ins Spiel gegangen war. Als Alonso nach dem 1:1 gegen eine abgezockte Union-Elf im Hinspiel vor einer Woche in aller Gelassenheit betonte, Bayer sei "bereit" und "gut vorbereitet" für die zweite Folge, klang das verdächtig vielsagend. Nun führte die Mannschaft vor, dass der Trainer für die beiden Viertelfinal-Spiele einen kombinierten Plan entworfen hatte.

Dass sein Team schon nach 67 Sekunden unter glücklichen Umständen in Führung gehen würde - Torschütze Moussa Diaby erhielt die Vorlage von Gegnerseite -, konnte zwar selbst der Fußballweise Alonso nicht voraussehen. Doch schon in der ersten Minute wurde die Leverkusener Spielanlage sichtbar, die von offensiven Rollenwechseln und einem stabilen defensiven Fundament geprägt war. Diaby, Florian Wirtz, Adam Hlozek und Jeremie Frimpong teilten sich die Räume nach Bedarf und Belieben. Auf der linken Seite marschierte derweil Mitchel Bakker auf und nieder, dass Hradecky an ein anatomisches Wunder glaubte: "Ich weiß nicht, wie viele Lungen der Mann hat, wahrscheinlich mehr als zwei."

Dem niederländischen Linksverteidiger Bakker, 22, wird nachgesagt, er verstehe es, innerhalb von zwei Szenen eines Fußballspiels sowohl Welt- als auch Kreisklasse zu verkörpern. Ferner ist er berüchtigt für häufiges Zuspätkommen, was ihn außer einigen Euro auch Einsätze bei Punktspielen gekostet hat. Zuletzt ist aber eine gewisse Regelmäßigkeit in seinen Arbeitszeiten eingekehrt, was auch für Bakkers Auftreten im Spiel gilt. Wild ist es hin und wieder immer noch, aber nicht mehr wüst wie früher. Beim Treffer zum 2:0 (37.) blieb Bakker cool und vollendete damit einen meisterlich ausgespielten Gegenangriff über Wirtz, Diaby und Flankengeber Hlozek. Am 3:0 (60.) hatte er seinen Anteil, als er dem zögerlichen Union-Torwart Anthony Moris so sehr zusetzte, dass dieser den Ball für Frimpong geradewegs zum Einschuss bereitlegte.

Real-Präsident Florentino Pérez soll Alonso als Trainer wollen

21 Jahre sind vergangen, seit Bayer 04 das letzte Mal im Halbfinale eines Eurocups gestanden hat, es war die Saison, in der sich das Team um Ballack, Lucio, Bastürk und Berbatov als dreimaliger Vize unselig verewigte: in der Meisterschaft, im Pokal und in der Champions League. Kurioserweise hieß es vor dieser Saison, der aktuelle Bayer-Kader sei dank hochkarätiger Besetzung am ehesten geeignet, mit dem Ensemble von damals zu konkurrieren. Unselig geriet aber auch dessen Mission zunächst, und die ersten Amtshandlungen des im Herbst anstelle von Gerardo Seoane eingesetzten Trainers Alonso wollten ebenfalls nicht gleich glücken.

Inzwischen jedoch hat er Spieler wie Bakker neu erfunden, andere Spieler wiederentdeckt, die schon unauffindbar im Kader verloren gegangen waren (Exequiel Palacios, Nadiem Amiri), und wieder andere Spieler auf selten erreichtes Niveau getrimmt (Verteidiger Jonathan Tah). Der Ruf des Trainers Alonso nähert sich nun dem Rang des Spielers Alonso. Leverkusens "semifinalwürdige Leistung" (Hradecky) in Brüssel wird weiter dazu beitragen.

Gerüchte darüber, dass ihn Real Madrids Patron Florentino Pérez als Nachfolger für Carlo Ancelotti herbeiwünscht - womöglich schon im Sommer -, sind auch den Bayer-Oberen bekannt und werden von ihnen nicht für unglaubwürdig gehalten. Sie verweisen jedoch gelassen auf seine Vertragsdauer (bis 2024) und auf Alonsos Klugheit. Als Trainer-Neuling hat er in Leverkusen schon viel gelernt, aber er wird noch viel mehr dazulernen können. Das Treffen mit der AS Rom im Halbfinale bietet dazu die beste Gelegenheit, dann bekommt er es mit dem alten Meistermacher José Mourinho zu tun.

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