Erling Haaland vor Duell mit RB Leipzig:Viele Tore, zu wenig Poesie

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Das Jubeln klappt schon vortrefflich für Erling Haaland in England. Doch kann der Stürmer Manchester City auch den Traum vom Champions-League-Sieg erfüllen? (Foto: Adam Davy/PA/Imago)

In seiner ersten Saison bei Manchester City könnte Erling Haaland den Tor-Rekord der Premier League übertreffen. Trotzdem grübelt Trainer Pep Guardiola, wie er seinen Superstürmer am besten einsetzt.

Von Sven Haist, London

Alan Shearer hat die Hoffnung bereits aufgegeben, seinen Torrekord in der Premier League zu behalten. In der Saison 1994/1995 hatte Shearer als einer der besten Angreifer seiner Zeit 34 Tore für die Blackburn Rovers erzielt - so viele waren in dieser Liga zuvor nur seinem englischen Landsmann Andy Cole ein Jahr zuvor gelungen. Doch nun scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis Erling Haaland die mittlerweile knapp drei Jahrzehnte währende Bestmarke übertreffen, wahrscheinlich sogar pulverisieren wird. Nach zwei Saisondritteln führt Haaland die Torschützenliste der Premier League fast uneinholbar mit 26 Treffern für Manchester City an. Mit dieser bemerkenswerten Zwischenbilanz wäre er in 16 von 30 Premier-League-Runden Torschützenkönig geworden. Daher habe er dem Norweger schon "gratulieren" wollen, witzelte Shearer kürzlich. Er sei "überzeugt", dass sein Rekord fallen werde - weil Haaland der "Prototyp" eines Angreifers sei, mehr Torfabrik als Torjäger sozusagen.

Im Sommer 2022 hatte Manchester City den Hochbegabten für die kolportierte festgeschriebene Ablöse von 75 Millionen Euro von Borussia Dortmund verpflichtet. Haaland galt als letztes fehlendes Puzzleteil für die Ambitionen des Klubs, im siebten Anlauf unter Trainer Pep Guardiola zum ersten Mal die Champions League zu gewinnen. In den Vorjahren holte sich meist der Klub den Henkelpokal, der einen der erfolgreichsten Angreifer des Wettbewerbs stellte. Davon war City fast immer ähnlich weit entfernt wie das Klubgelände in Manchester von seinen Eigentümern in Abu Dhabi.

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Nicht nur an diesem Ziel dürfte Haaland jetzt gemessen werden. Es ist quasi sein erweiterter Auftrag, auch Tore für den Titel in der Champions League beizusteuern. Als erste Prüfung wartet am Mittwoch das Achtelfinal-Hinspiel bei RB Leipzig, für Haaland ist es die zweite Rückkehr mit City nach Deutschland. (In der Gruppenphase gab es ein 0:0 in Dortmund.)

Obwohl die traditionell körperliche Spielweise in England speziell für Angreifer als hartes Pflaster gilt, benötigte Haaland keine Eingewöhnungszeit auf der Insel. Er machte das Mutterland des Fußballs sofort mit seiner Abschlussstärke bekannt. Dahinter steckt eine seltene Kombination aus Fähigkeiten, die sich gleichzeitig ergänzen und widersprechen: Haaland vereint Größe mit Beweglichkeit, Kraft mit Finesse, Robustheit mit Schnelligkeit, Fleiß mit Instinkt - sowie sein junges Alter, 22, mit einem reifen Verständnis, wie sich Spielzüge entwickeln könnten, um sich vor dem Tor richtig in Stellung zu bringen.

Anders als flexiblere Stürmer, die mal nach links und rechts ausweichen oder sich zurückfallen lassen, lauert Haaland stets in vorderster Position auf Zuspiele, meist irgendwo zwischen den Verteidigern. Sobald ihn ein Pass erreicht, ist sein Vorgehen das immergleiche: möglichst schnell und direkt zum Torabschluss zu kommen. Damit hat Haaland bisher in jeder Fußballmannschaft funktioniert - denn welches Team benötigt keinen treffsicheren Stürmer? Den Beweis dafür liefern seine traumhaften Torquoten bei all seinen Profistationen in verschiedenen Ländern: 20 Treffer in 50 Spielen für Molde FK, 29 Tore in 27 Spielen für RB Salzburg, 86 Tore in 89 Spielen für Dortmund - und aktuell herausragende 32 Tore in 31 Spielen für Manchester City.

In acht der zehn Pflichtspiele, die City in dieser Saison nicht gewonnen hat, war Haaland an keinem Tor beteiligt

Wie bei seinen vorigen Transfers schien Haaland mit seinen Vertrauten vor dem Abschied aus Dortmund genau abzuwägen, welcher der vielen Interessenten am besten zu ihm passen könnte. Die Wahl fiel bekanntlich auf das von Guardiola trainierte City. Der Grund: Die Zusammenstellung der Mannschaft und die auf Ballbesitz ausgerichtete Spielweise dürften für einen Torjäger seiner Kategorie einem Paradies gleichkommen. Die Zahl an Vorlagengebern bei City ist in ihrer Qualität kaum zu übertreffen, zu ihnen gehören Ilkay Gündogan, Phil Foden, Jack Grealish, Riyad Mahrez, Bernardo Silva und an erster Stelle Kevin De Bruyne. Die Mitspieler passen so ideal zu Haaland, als hätte der Angreifer sie alle selbst ausgewählt.

Es bleibt nur eine Frage: Passt er mit seiner Spielweise auch zu Pep Guardiola?

Nach einem halben Jahr wirkt es, als würden sich Erling Haaland und Manchester City bisweilen gegenseitig anziehen und abstoßen. Beide Pole scheinen einerseits wie geschaffen füreinander zu sein, da der englische Dauermeister nach dem Wechsel des Altmeisters Sergio Agüero lange über keinen zuverlässigen Mittelstürmer mehr verfügte. Andererseits verschoben sich durch Haalands tendenziell eher statische Spielweise offensichtlich Balance und Struktur im Ballbesitz.

Gerade die offensiven Mittelfeldspieler werden vermehrt nach außen abgedrängt, weil Haaland den Platz im Zentrum für sich beansprucht. Die Kombinationen sind weniger fließend, die Positionswechsel nehmen ab, vor allem fehlt mitunter das Timing: Spielt City den Ball zu schnell zu Haaland, nimmt oft die Spielkontrolle ab. Dauert es zu lange, bis der Ball zu ihm gelangt, wird er ungeduldig. Das Digitalmagazin Athletic konstatierte deshalb, es sei nicht einfach, einem "Killerroboter" beizubringen, wie man "Gedichte" schriebe. Obwohl Manchester City als "bestes Team" den "besten Angreifer" verpflichtet habe, sei man "schlechter" geworden - in jedem Fall erscheint die Mannschaft derzeit deutlich abhängiger von einem Spieler zu sein als früher. In acht der zehn Pflichtspiele, die City in dieser Saison nicht gewonnen hat, darunter alle vier Liga-Niederlagen, war Haaland an keinem Tor beteiligt.

Noch grübelt Trainer Guardiola spürbar über der richtigen Abstimmung. Er scheint dabei sowohl auf die Bedürfnisse des Superstürmers einzugehen, verlangt aber offenbar auch von Haaland, seine Spielweise anzupassen. Denn allein der Premier-League-Torrekord wird Haaland bei Manchester City nicht ausreichen, um kollektive Glückseligkeit zu erzeugen.

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