Belgien bei der EM 2021:Diesseits mit Eden

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"Man sieht an seinen Augen, dass er es kaum glauben kann, dass ich solch ein Tor gemacht habe", sagte Thorgan (re.) nach seinem Siegtreffer gegen Portugal über den Gratulanten Eden Hazard. (Foto: Thanassis Stavrakis/Reuters)

Thorgan Hazard spielt erstmals als Stammkraft bei einem Turnier mit seinem Bruder zusammen - und das in ungewohnt prominenter Rolle.

Von Sebastian Fischer, München

Den Verein, in dem alles begann, gibt es in seiner ursprünglichen Form bald nicht mehr. Royal Stade Brainois, der belgische Amateurklub aus der kleinen Gemeinde Braine-le-Comte in Wallonien, wird zur nächsten Saison keine eigenen Jugendmannschaften mehr ausbilden. Aber es war ein feierlicher Anlass, als das Anfang April bekanntgegeben wurde. Denn der Klub fusioniert fortan mit dem AFC Tubize aus dem Nachbarort, das bedeutet neue Möglichkeiten, zwei Stadien, zwei Trainingsanlagen. Der neue Verein wird Royale Union Tubize-Braine heißen. Und die historische Bedeutung wird gewahrt. Bei Stade Brainois haben Eden und Thorgan Hazard zwar zu spielen angefangen. Aber sie waren auch beide in Tubize, bevor sie von dort aus in die weite Fußballwelt auszogen.

Vielleicht muss es noch mal um die Anfänge gehen, nun, da Eden, 30, und Thorgan Hazard, 28, zum ersten Mal in ihren langen Karrieren so richtig gemeinsam auf der großen Bühne spielen. Es war ein schönes Bild im Achtelfinale der belgischen Nationalmannschaft gegen Portugal: Eden war im Strafraum in Position gelaufen, sein Bruder hatte aus der Distanz einfach abgezogen, der Ball flatterte zum einzigen Treffer des Abends an Portugals Torwart Rui Patrício vorbei. Dann liefen sie aufeinander zu, in ungewohnter Rollenverteilung, Thorgan als Protagonist, Eden als Gratulant. Auf das Bild angesprochen sagte der Torschütze: "Man sieht an seinen Augen, dass er es kaum glauben kann, dass ich solch ein Tor gemacht habe."

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Die belgische Auswahl freut sich nur kurz über den ruppig erkämpften 1:0-Erfolg gegen Titelverteidiger Portugal: Eden Hazard und Kevin De Bruyne müssen vor dem Viertelfinale mehr oder minder schwere Blessuren kurieren.

Von Javier Cáceres

Wenn die Belgier an diesem Freitag im Viertelfinale in München gegen Italien antreten, um mit ihrer goldenen Generation dem ersehnten ersten Titel ein Stück näher zu kommen, könnte es wieder so aussehen, dass einem der Talentiertesten dieser Generation nicht unbedingt die Hauptrolle zufällt. Ob Eden Hazard spielen kann, das ist aufgrund von Muskelproblemen fraglich. Im Abschlusstraining am Donnerstag war er wie der angeblich am Sprunggelenk lädierte Spielmacher Kevin De Bruyne nicht dabei.

Drei von vier Hazard-Brüdern sind als Profifußballer aktiv

Umso mehr steht womöglich wieder Thorgan Hazard von Borussia Dortmund im Mittelpunkt, als einer der Vorlagengeber für den so überragenden belgischen Stürmer Romelu Lukaku, und auch mit seiner eigenen Torgefahr: Zwei Treffer hat er im Turnier schon selbst erzielt. Es ist sein erstes als Stammspieler.

Beide, Eden und Thorgan, hatten als Kinder kaum eine andere Wahl, als mit dem Fußball zu beginnen. Mutter Carine war Fußballerin in der ersten Liga, ihrer eigenen Schilderung nach lief sie noch auf, als sie schon im dritten Monat mit Eden schwanger war, dem ersten Sohn. Auch Vater Thierry war Profi, ein Verteidiger in der zweiten und dritten Liga. Außerdem wohnten sie gleich gegenüber des Stadions von Stade Brainois. Der dritte Bruder von vier, Kylian, ist ebenfalls Fußballer, er spielt bei Cercle Brügge. Am Platz in Braine-le-Comte hängt ein großes Plakat der drei Hazards.

Eden und Thorgan gingen beide als Jugendliche zu Top-Klubs nach Frankreich, Eden zu OSC Lille, Thorgan zu RC Lens. Doch angeblich unterschieden sie sich bereits in jungen Jahren in einem Punkt, den José Mourinho neulich im Sportradiosender Talksport benannte. Mourinho trainierte beim FC Chelsea einst beide. Er sagte über Eden: "Er ist ein fantastischer Spieler mit schrecklichem Training. Man kann sich vorstellen, wie gut er mit einer professionelleren Einstellung sein könnte." Thorgans Einstellung war dagegen offenbar schon immer eine andere. "Was den Fleiß angeht, ist Thorgan vorne", sagte Vater Thierry vor Jahren dem Spiegel.

Bis zur EM stand Thorgan noch im Schatten des eigenen Bruders - wo es ihm gefiel

Während Eden beim FC Chelsea mit betörenden Dribblings in die Weltklasse aufstieg, wurde Thorgan zweimal ausgeliehen. Bei Borussia Mönchengladbach empfahl er sich als Stammspieler in der Bundesliga, wechselte zunächst fest nach Gladbach und 2019 zur anderen Borussia nach Dortmund. Er ist ein ähnlicher Spielertyp wie sein Bruder, im Verein oft auf der gleichen Position auf dem linken Flügel, zieht auch mit Dribblings vors Tor. Er hat keine ganz so elegante Technik. Aber das würde wohl niemand merken, gäbe es nicht stets die naheliegende Vergleichsmöglichkeit.

Vor dieser EM hat Thorgan Hazard schon mal darüber gesprochen, wie das ist, als Profi meist im Schatten des älteren Bruders zu stehen. Er hat sich wohlwollend dazu geäußert, schließlich bedeute es auch weniger öffentliche Aufmerksamkeit für die eigenen Probleme. Seine Saison beim BVB war von einem Muskelfaserriss geprägt, es war keine besonders gute. Aber die Berichte darüber waren unvergleichbar mit jenen über den Status von Eden bei Real Madrid. 30 Ligaspiele hat er wegen diverser Verletzungsprobleme gerade mal gemacht in zwei Jahren, vier Tore geschossen, als Hundert-Millionen-Euro-Transfer wohlgemerkt. Und dann erwischten ihn die spanischen Boulevardmedien auch noch beim Lachen mit den alten Kollegen nach Reals Champions-League-Aus gegen den FC Chelsea im Mai.

Auch als Thorgan Hazard in dieser Woche in der Pressekonferenz im belgischen Trainingscamp in Tubize saß, in unmittelbarer Nähe seiner Heimat also, hat er auch wieder über Eden gesprochen. Über dessen Verletzung zum Beispiel. "Er fühlt sich gut, schon viel besser", berichtete er, "er arbeitet knallhart mit unserem medizinischen Stab". Er lobte, dass sein Bruder nach einer schwierigen Saison auf dem Weg der Besserung sei, und dass er im zähen Spiel im Achtelfinale passend auftrat. "Eden ist eigentlich nicht der Spieler, mit dem man sprichwörtlich in den Krieg zieht", sagte er. "Gegen Portugal habe ich ihn aber tacklen und um jeden Ball kämpfen sehen."

Über sich selbst sagte Thorgan Hazard: "Es passiert nicht oft, dass ich der Held des Tages bin." Selbst in Tubize, beim Fusionsklub seines Heimatvereins, müssen sie das offenbar erst noch gänzlich verinnerlichen. Dort ist den Bildern zufolge auf die Mauern ein Porträt von Eden gemalt. Eins von ihm allein.

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