Manuel Neuer:Abenteurer mit Helfersyndrom

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Denkt noch lange nicht ans Aufhören: Nationaltorwart Manuel Neuer. (Foto: Getty Images)

Gegentore lehnt Manuel Neuer zutiefst ab, auch das eine beim 7:1 in seinem 100. Länderspieleinsatz. Der Torwart ist nie zufrieden - dafür aber auch lange noch nicht fertig.

Von Philipp Selldorf, Düsseldorf

Robin Gosens ist noch nicht allzu lang bei der Nationalmannschaft, sonst hätte er es bestimmt unterlassen, ausgerechnet diesen Schuss in den Himmel zu loben. An schönen Treffern herrschte doch kein Mangel an diesem unterhaltsamen Abend: Gosens' eigener Hammer zum 1:0, Ilkay Gündogans furioses 2:0, Serge Gnabrys 5:0 nach Mats Hummels' Langstrecken-Pass mit dem Außenrist - beim 7:1-Sieg gegen Lettland funkelten die deutschen Treffer wie Brillanten. Aber Gosens schwärmte stattdessen vom "geilen Gegentor" und stellte anerkennend fest: "Hat er gut gemacht, der Mann." Objektiv konnte man das zwar so sehen, aber öffentlich aussprechen durfte er das natürlich nicht. Ketzerei.

Was Manuel Neuer vom geilen Gegentor hielt, das bildete sich augenblicklich in seinem Mienenspiel ab, nachdem Alexejs Saveljevs' mächtiger Linksschuss ins Ziel gefunden hatte. Enttäuschung war zu erkennen. Den ganzen Abend hatte Neuer am Rande des Spielgeschehens untätig Wache gehalten, kein Ball kam in seinen Strafraum, bis plötzlich dieses Ding hereinflog. Der Bundestrainer klassifizierte es ungefragt als "eigentlich unhaltbar", was möglicherweise den Versuch darstellte, seinem Kapitän zur Seite zu stehen.

DFB-Team
:7:1 gewonnen - na und?

Nach dem hohen Sieg über Lettland stellt sich die Frage, ob der unterhaltsame Kick als Gradmesser für den EM-Auftakt gegen Frankreich taugt. Bundestrainer Löw arbeitet noch an der idealen Komposition fürs Mittelfeld.

Von Philipp Selldorf

Man muss es nicht übertreiben, aber es bleibt eine unveränderbare Tatsache, dass Manuel Neuer Gegentore zutiefst ablehnt, einerlei ob sie schön oder unschön sind. Der Abend hatte für ihn wunderbar begonnen, als er zu Ehren seines 100. Länderspieleinsatzes durch das Spalier der Mitspieler aufs Feld federte, aufs Freundlichste willkommen geheißen von der kleinen Zuschauergemeinde auf der bunt gesprenkelten Gegentribüne, doch zu einer runden Sache reichte es beim Festspiel - 7:1 hin oder her - trotzdem nicht. "Es ist schwierig für mich", sagte er später, "das 7:1 gegen Brasilien war ein bisschen schöner." Damals hatte er seinen Teil beitragen können, diesmal hatten ihn die Mitspieler im Stich gelassen. Neuer rügte: "Es war ein Traumtor, aber wir müssen besser zustellen - dann kann er gar nicht schießen."

Ein "Torwart-Krieg" wie zwischen Kahn und Lehmann: mit Neuer undenkbar

Klingt ein wenig verbissen, ist es wahrscheinlich auch, dennoch ist der weltbekannte Welttorwart Neuer keiner dieser einsamen Männer im Kasten, die Fußball als Einzelsportart betreiben. Neuer ist ein erklärter und anerkannter Mannschaftsspieler, der sich obendrein selbst die Diagnose gestellt hat, ein "Helfersyndrom" in sich zu tragen. Medizinisch ist das nie erforscht worden, doch es gibt genügend Belege aus dem sportlichen Leben. Neuer wird auch von Abenteuerlust getrieben, wenn er zur Gefahrenabwehr ins Feld vorstößt. Im Vordergrund steht dennoch die Zweckmäßigkeit zum Wohl des Teams.

Vor 15 Jahren tobte im Nationalteam der amtlich zum "Torwart-Krieg" erhobene Wettstreit zwischen Oliver Kahn und Jens Lehmann. Eine solche Konfrontation wäre mit Neuer undenkbar, und das nicht nur deshalb, weil seine Stellvertreter anerkennen, dass er der Beste ist. Die Harmonie unter den drei deutschen Keepern hätte Kahn vermutlich verrückt gemacht. Neuer habe "nicht nur Klasse auf dem Platz, sondern auch daneben", sagt Kevin Trapp, während Bernd Leno feststellt: "Die Zeiten mit Köpfe-Einschlagen sind vorbei - keiner ist hier der Typ dafür." Auf Leno wirkt der 35 Jahre alte Münchner Kollege wie ein Mittzwanziger, biegsam und beweglich, jeder Trainingstag mit ihm sei "beeindruckend".

Es werden noch einige dazukommen. An Rücktritt denkt Manuel Neuer nicht. Dies war sicher nicht sein letztes Jubiläumsspiel.

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