Eiskunstlauf:Das Problem der Exzellenz

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Kufenakrobatik: Minerva Hase und Nikita Wolodin bei einer spektakulären Hebung. (Foto: Naoki Nishimura/Aflosport/Imago)

Die Grand-Prix-Sieger Minerva Hase und Nikita Wolodin haben Lehren aus dem jüngsten Paarlauf-Malheur gezogen: Bei der WM keinen Gedanken ans Ranking verschwenden. Auch mit Annika Hocke/Robert Kunkel ist in Montreal zu rechnen.

Von Barbara Klimke

Laufen, ohne an die Konsequenzen zu denken, das hat sich Minerva Hase für die Weltmeisterschaft in Montreal, den letzten Wettkampf des Winters, vorgenommen. Keine Punktezählerei bei der Todesspirale, keine Hochrechnung bei Drehungen hoch über der Eisfläche, wenn sie, nur von einer Hand des Partners getragen, durch die Luft gewirbelt wird. Sie beherrscht das alles, sie zählt in diesem Winter zu den Besten ihres Fachs. Aber zu den Erlebnissen ihrer ersten Paarlaufsaison an der Seite des Russen Nikita Wolodin gehört auch die Erfahrung, dass es in einem unachtsamen Moment rapide von oben abwärtsgehen kann.

Minerva Hase aus Berlin und Nikita Wolodin aus Sankt Petersburg, beide 24, haben diesen Rutsch durchs Ranking durchgemacht bei der Eiskunstlauf-Europameisterschaft vor zwei Monaten. Sie traten als Favoriten an, als Sieger zweier Grand-Prix-Wettbewerbe in Finnland und Japan sowie des großen Finales in Peking. Das neu formierte Duo verblüffte die Experten durch seine fein aufeinander abgestimmte Kufentechnik und tänzerische Harmonie. Dann stürzte Minerva Hase in der EM-Kür beim dreifachen Wurf-Rittberger; es folgte eine Hebung, die sie in der Luft, noch halb im Schwung, abbrechen mussten - ein seltenes Missgeschick auf diesem Niveau. Zum Schluss landeten sie auf Platz fünf, weit hinter ihren Ambitionen. Dieser Exzellenzanspruch, so räumte Minerva Hase ein, war wohl auch das Problem.

Die Axel-Lasso-Hebung ist schwer- auf Glatteis umso mehr

"Ich habe gelernt, dass ich mich mehr auf mich konzentrieren muss - und nicht auf die Erwartungen, die ich in mich setzte", sagte sie nun vor der WM, die an diesem Mittwoch beginnt (17 Uhr Eurosport/ 19.26 Uhr sportschau.de). Nach dem Grand-Prix-Finale hatte sie festgestellt, wie die Aufmerksamkeit stieg, auch medial, das tückische Wort "Medaillenhoffnung" machte die Runde. "Ich hatte diese Hoffnungen ja auch selbst nach den Grand-Prix-Erfolgen und dachte, die Möglichkeit ist gut", sagt Hase. "Und dann kreist das im Kopf. Ich habe das zu sehr zugelassen. Das heißt nicht, dass ich keine Medaille möchte." Aber in der Vorbereitungsphase eines großen Wettkampfs, so hat sie erkannt, sei es vorteilhafter, sich "nicht zu sehr in dieses Ziel zu verbeißen".

Es war nur eine minimale Unaufmerksamkeit, ein "Rhythmusfehler" bei der Hebung, wie Hase sagt, die sie im Januar die entscheidenden Punkte gekostet hatte. Die Axel-Lasso-Hebung ist das schwierigste dieser spektakulären Elemente - und im Glatteissport besonders riskant. Beim Aufgang fehlte es demnach an Synchronität: Der Arm des Partners, auf den sie sich stützt, so erklärt sie es, lag nicht direkt an ihrem Körper, es fehlte der Halt. Sie haben das Malheur anschließend mit Trainer Dmitrij Sawin analysiert, und die Aufarbeitung werten sie auch als eine "Erfahrung, wie man nach solch fehlerhaften Programmen miteinander umgeht und wieder ins Training einsteigt". Immerhin war es in einer an Höhepunkte reichen Saison der erste Tiefpunkt für das neue Paar.

Eistest in Kanada: Annika Hocke und Robert Kunkel trainieren ihre WM-Programme in Montreal. (Foto: Ryan Remiorz/AP)

In Kanada, im riesigen Centre Bell, in dem sonst die Canadiens de Montréal in der NHL Eishockey spielen, wird die Anteilnahme des kundigen Publikums wohl dem heimischen Duo Deanna Stellato-Dudek und Maxime Deschamps gelten, die im beachtlichen Alter von 40 respektive 35 Jahren kürzlich die Vier-Kontinente-Meisterschaft der besten Paare außerhalb Europas gewannen. Zu den Italienern Lucrezia Beccari, 20, und Matteo Guarise, 35, die im Januar EM-Gold gewannen, besteht, an den Elementen gemessen, kein Klassenunterschied. Aber Minerva Hase und Nikita Wolodin müssen auch mit ihren Konkurrenten Annika Hocke, 23, und Robert Kunkel, 24, rechnen, die nicht in Berlin, sondern mit den Europameistern am Eislaufzentrum in Bergamo trainieren.

Im Herbst hatte das zweite deutsche Meisterpaar den Grand-Prix-Wettbewerb Skate America für sich entschieden, ehe Robert Kunkel sich wochenlang mit Rückenschmerzen, einer Entzündung der Lendenwirbel und des Iliosakralgelenks quälte. Erst eine Reha um die Weihnachtszeit brachte Linderung. Bei der EM waren sie Siebte, seitdem, so berichtete Kunkel, hätten sie wieder ohne Einschränkung trainiert. Einen WM-Favoriten hat Annika Hocke nicht ausgemacht; es sei ein Kreis von Paaren, die alle über vergleichbare Eiskunst verfügen. Wer die wenigsten Fehler macht, gewinnt - auch Annika Hocke gibt da den Rat, sich lieber auf die Küren als auf die Punkte zu konzentrieren.

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