Frauen-Weltmeisterschaft in Kanada:Eine Eishockey-WM mitten im August

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Bully im Hochsommer: die deusche Nationalspielerin Bernadette Karpf (l.) und Emily Clark aus Kanada. (Foto: dpa)

Nach der Absage im Mai spielen die deutschen Eishockey-Frauen im Hochsommer bei der Weltmeisterschaft in Kanada. Statt einer Trainerin coacht sie nun wieder ein Mann.

Von Christian Bernhard und Johannes Schnitzler, München

Ganz so jung war er eigentlich nicht mehr, Mitte dreißig immerhin, und falls er das Geld gebraucht haben sollte, nun: Es war nicht für ihn gedacht, sondern für einen guten Zweck. Thomas Schädler, einst Profi in Rosenheim, Bayreuth, Schwenningen und Heilbronn, ließ seine Karriere als Eishockeyspieler in der dritten Liga sanft ausklingen, als sein damaliger Verein, die River Rats Geretsried wie so viele Teams auf die Idee kamen, ihr Budget mit einem Kalender aufzubessern. Und so posierte auch Schädler, 1,83 Meter groß, 90 gut gebaute Kilo schwer, mit freiem Oberkörper für die Kamera. Bedeckt nur mit ein paar Schmierern rußigen Öls: ein Malocher-Traum in Schwarzweiß. Das Arbeiter-Image dürfte Schädler, 53 mittlerweile, nicht geschadet haben. Seit Mai ist er Cheftrainer der deutschen Frauen-Nationalmannschaft, sein erster Einsatz: Die Weltmeisterschaft in Kanada, die für das deutsche Team an diesem Samstag (20 Uhr) mit der Partie gegen Ungarn beginnt.

Wobei: So ganz sicher schienen sich die deutschen Nationalspielerinnen selbst am Donnerstag noch nicht zu sein, obwohl sie schon seit einigen Tagen in einem Hotel in Calgary, Kanada, unweit der Halle saßen. "So nah, wie wir jetzt dran sind, waren wir nie", sprach Angreiferin Julia Zorn in ihre Laptop-Kamera. Es habe lange genug gedauert, sie denke, "dass die Karten jetzt ganz gut stehen".

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Im Mai hätte erstmals eine Trainerin bei einer WM die Verantwortung für das Frauen-Nationalteam getragen

Die immer noch durchschimmernde Skepsis der deutschen Eishockey-Frauen ist verständlich, zu viel haben sie in den vergangenen Monaten erlebt. Ende April saßen sie bereits abflugbereit im Bundesleistungszentrum in Füssen, "die letzten Reißverschlüsse der Eishockeytaschen sind gerade zugegangen", erinnert sich Zorn, der Flug nach Kanada sollte in wenigen Stunden gehen - als das Turnier wegen der Corona-Pandemie gecancelt wurde.

Als das Team die Nachricht erreichte, "war erst mal Totenstille im Raum", erzählt Zorn, "bis irgendwann jemand fragte, ob das Ganze ein Scherz sein soll". Kurz darauf verwandelte sich der Schock in Frust. Zorn veröffentlichte im Namen des Teams eine Stellungnahme auf Twitter, in der sie kritisierte, dass die WM-Turniere der Männer, der männlichen U20 und U18 stattfanden, "unsere aber wieder einmal abgesagt ist". Das ganze Team sei traurig, enttäuscht und frustriert: "Das Frauen-Eishockey verdient Besseres! Wir verdienen es, eine WM zu spielen!"

Nun also, Mitte August, doch noch: Eishockey-WM. In Kanada. Geändert hat sich nicht nur der Zeitplan, sondern auch die Konstellation auf der deutschen Trainerbank. Im Mai hätte noch die ehemalige Nationalspielerin Franziska Busch die Frauen gecoacht, erstmals hätte eine Frau bei einer WM die Verantwortung für das Frauen-Nationalteam getragen, nachdem der vormalige Chefcoach Christian Künast zum Sportdirektor des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) berufen worden war. Nun heißt der Trainer Schädler.

Debüt am Samstag gegen Ungarn: Thomas Schädler führt die deutschen Frauen in sein erstes großes Turnier. (Foto: ActionPictures/imago images)

Der ehemalige DEB-Nachwuchscoach war im Frühjahr noch Assistent von Busch, die ihrerseits vom U18-Nationalteam hochgezogen worden war. Im Mai wäre sie eine von nur zwei Cheftrainerinnen bei der WM gewesen, der Frankfurter Rundschau berichtete sie vor dem ursprünglichen Termin von einem "großen Miteinander" im Trainerteam. Doch aus der ersten Bundestrainerin bei einer WM wurde nichts. Nach der Turnier-Absage bekam Schädler den Posten.

"Vielleicht ist der Sommer genau der Platz, den das Frauen-Eishockey international sucht", sagt Sportdirektor Künast

Da die Profiligen der Männer noch nicht in die neue Saison gestartet sind - den Anfang macht kommende Woche die Champions Hockey League - sei der ungewöhnliche Zeitpunkt für eine Eishockey-WM gar nicht so schlecht, findet Schädler. Der Fokus liege jetzt, in der eigentlich "eishockeylosen Zeit", auf den Frauen. Der Sommer-Termin ist womöglich auch eine Chance. "Vielleicht ist es genau der Platz, den das Frauen-Eishockey international sucht", sagt Sportdirektor Christian Künast. Tanja Eisenschmid, die Schwester von Nationalspieler Markus Eisenschmid, empfindet die Situation als zweischneidig: "So traurig es klingt, vielleicht begeistern wir andere Leute, weil nichts anderes läuft." Die Abwehrspielerin hat jüngst wieder einmal erfahren müssen, wie es um ihre Präsenz in Deutschland steht: "Viele, denen ich erzähle, dass ich zur WM fahre, sind überrascht und haben gefragt, ob ich nach Tokio zu den Olympischen Spielen fliege. Die wissen einfach nicht, dass es Frauen-Eishockey gibt."

Nach einer fünftägigen Einzelzimmer-Quarantäne, in der sich die Spielerinnen unter anderem mit Yoga, Zumba, Jonglier- und Hula-Hoop-Reifen-Challenges oder Ukulele spielen die Zeit vertrieben haben, durften sie Anfang der Woche erstmals gemeinsam aufs Eis. Ihr einziges Testspiel vor Ort gewannen sie gegen Gruppengegner Dänemark 4:3 nach Penaltyschießen. Am Samstag (20 Uhr) wird es nun gegen Ungarn ernst, es folgen die Gruppenspiele gegen Aufsteiger Dänemark (Montag, 20 Uhr), Tschechien (Donnerstag, 0 Uhr) und Japan (Freitag, 3.30 Uhr, alle Spiele kostenlos als Livestream auf www.thefan.fm). Ziel ist das Viertelfinale.

Schädler will dabei nicht nur Eishockey malochen lassen. Man wolle die Scheibe "nicht wild durch die Gegend schießen", sondern "Eishockey spielen, mit Betonung auf spielen", betonte er: "So ähnlich wie es Toni ( Söderholm, Anm. d. Red.) bei den Männern macht."

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