Dominic Thiem:Gefangen in der Schiene

FILE PHOTO: Tennis: US OPEN

Ein Bild aus besseren Tagen: Dominic Thiem 2020 mit dem US-Open-Pokal.

(Foto: Danielle Parhizkaran/USA Today Sports)

Österreichs bester Tennisspieler muss nach einer erneuten Verletzung am Handgelenk seinen Start bei den US Open absagen - er hat den langfristigen Verlauf seiner Karriere im Blick.

Von Felix Haselsteiner

Nicht einmal zwei Wochen ist es her, da hatte Dominic Thiem sich noch auf dem Weg nach New York gewähnt. "Swapping the splint for my racket again", schrieb Thiem da unter ein Foto auf Instagram, er habe die Schiene wieder gegen den Schläger getauscht. Thiem lächelte, hielt den Schläger in der Hand, in den Kommentaren der Fans darunter war das Feuer-Emoji in Kombination mit dem Wort "Comeback" sehr beliebt und die Welt des besten österreichischen Tennisspielers schien endlich wieder in Ordnung zu sein.

Nun aber meldete sich Thiem wieder bei Instagram, in einer Videobotschaft teilte der 27-Jährige am Mittwoch mit, dass er die US Open nicht spielen können werde und die gesamte Saison 2021 bereits im August beenden muss. "Das Handgelenk", sagte Thiem, "hat leider einen Rückschlag erlitten." Das Handgelenk hält die Tennisnation Österreich ohnehin schon den ganzen Sommer über auf Trab: Am 22. Juni hatte Thiem sich beim Turnier auf Mallorca, in der Vorbereitung auf Wimbledon, einen Einriss in der Sehnenscheide und der dazugehörigen Gelenkkapsel zugezogen. Er entschied sich für eine konservative Behandlung und Schonung - doch die Therapie scheiterte.

Vergangene Woche, bei dem freudig angekündigten Training ohne Schiene, verspürte Thiem nach eigener Aussage einen "ähnlichen Schmerz" wie auf Mallorca, unterbrach die Einheit und suchte umgehend seine Ärzte auf. "Nach vielen Stunden reden" habe man sich dann für eine Fortsetzung der konservativen Behandlung entschieden, also: Erneut ist das Handgelenk wieder sechs Wochen lang in der Schiene gefangen, dann wolle er langsam wieder anfangen - diesmal aber nicht zu schnell, um keinen weiteren Rückfall zu riskieren. Die konservative Behandlung sei die sicherere Option. "Ich hoffe, dass ich noch eine lange Karriere vor mir habe", sagte Thiem: "Es ist auf lange Sicht so einfach besser."

Kaum ein anderer Profi konnte es spielerisch so häufig mit Djokovic, Federer und Nadal aufnehmen

2021 darf damit endgültig als schwarzes Jahr in der Karriere des Österreichers gelten, schon die Verletzung am Handgelenk war ja nur der finale Tiefpunkt eines schwierigen Halbjahres: Der Achtelfinaleinzug bei den Australian Open und das Halbfinale beim Masters-Turnier in Madrid sind die größten Erfolge. Demgegenüber stehen zahlreiche Niederlagen in ersten Runden und eine siebenwöchige Pause aufgrund einer persönlichen Krise. Thiem sprach damals von "Motivationsproblemen" und den Belastungen aus dem Corona-Jahr, das die Tour-Spieler immer wieder zum Leben in Quarantäne-Bubbles gezwungen hatte.

Seit seinem großen Triumph bei den US Open im vergangenen Jahr, als Thiem im Finale Alexander Zverev hochdramatisch in fünf Sätzen bezwang, hat nun ausgerechnet die Karriere des damaligen Siegers einen Knacks bekommen. Thiem galt damals als Kandidat für weitere Major-Titel in der nahen Zukunft. Kaum ein anderer Profi konnte es spielerisch so häufig mit den großen Drei Novak Djokovic, Roger Federer und Rafael Nadal aufnehmen. Die Hoffnung, er habe nach mehrfachem Scheitern in Grand-Slam-Finalspielen gegen Nadal und Djokovic im August 2020 den Durchbruch geschafft, konnte Thiem aber nicht bestätigen.

Er selbst sah sowohl im Mentalen als auch im Körperlichen die Probleme. "Auch Novak tat sich ungewohnt schwer", sagte Thiem bei den French Open, angesprochen auf das Tennis-Phänomen, dass dem großen Triumph oft ein tiefes Tal folgt, bevor es wieder bergauf geht. Djokovic erreichte die Talsohle allerdings nach seinem Karriere-Grand-Slam, Thiem stieß bereits wenige Monate nach seinem ersten Major-Sieg an die Grenzen: Seine Niederlage bei den French Open in diesem Jahr geht als eines der sportlich dunkleren Kapitel in seine Karrieregeschichte ein, in der ersten Runde scheiterte er nach Zwei-Satz-Führung am Spanier Pablo Andujar. "Das war nicht mein wahres Ich", sagte er danach. Seit der Verletzung steht daher nicht nur die Frage im Raum, ob das Handgelenk hält, sondern auch, in welcher Form Thiem zurückkehren wird.

Die schmeichelhaften Vergleiche sind mittlerweile negativ konnotiert

Inhaltliche Kritik bekam er zuletzt einmal mehr von seinem ehemaligen Trainer Günter Bresnik, der Thiems Team als Problem sieht: Den Trainer Nicolas Massu bezeichnete Bresnik als "guten Unterhalter", den man als Touring-Coach einsetzen könnte. Thiem, der neben Massu auch mit seinem Vater Wolfgang und neuerdings mit einem britischen Fitnesstrainer zusammenarbeitet, hatte Fragen nach seinem Trainerteam jedoch stets abgeblockt und lediglich sein Management ausgetauscht.

Der Neustart soll also mit bewährtem Personal erfolgen. Einstweilen muss Thiem damit leben, dass die schmeichelhaften Vergleiche, mit denen er schon seit dem Beginn seiner Laufbahn lebt, mittlerweile negativ konnotiert sind. Seine wuchtigen Schläge und sein Trainingsfleiß waren immer schon eine Parallele zum Argentinier Juan Martin Del Potro, der seinen ersten Grand Slam 2009 wie Thiem in New York gewann. Del Potro hatte im Jahr darauf Schwierigkeiten, sein Niveau zu halten, verletzte sich am Handgelenk - und kämpfte jahrelang mit den Folgen. Del Potro, 32, meldete sich vor einer Woche ebenfalls mit einem Video bei Instagram. Er befindet sich mal wieder im Aufbautraining nach einer Verletzung. Die Nachricht, die er unter sein Video schrieb, hätte auch an Thiem gerichtet sein können: "Keep trying" - Versuch es weiter.

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