NHL-Profi Nico Sturm bei der Eishockey-WM:Genug Energie für alle

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"Er marschiert immer": Nationalspieler Nico Sturm. (Foto: Pavel Golovkin/AP)

Bei Formschwankungen kann sich das Eishockey-Nationalteam bei der WM auf sein Kraftwerk verlassen: Die Reihe mit Alexander Ehl, Samuel Soramies - und Nico Sturm, dem die Elogen, die auf ihn einprasseln, fast peinlich sind.

Von Johannes Schnitzler, Tampere

Östlich vom Tammerkoski, unweit des Doms, liegt das Vapriikki-Museumszentrum. Es ist eines von vielen ehemaligen Fabrikgebäuden in Tampere, die kulturelle Einrichtungen beherbergen. Neben Naturkunde- und Mineralienschauen gibt es hier ein Spielemuseum mit einer kleinen Videospielhalle, in der sich an diesem sonnigen Sonntag im Mai auffallend viele Erwachsene zurück in die Achtzigerjahre ballern. Oben, im dritten Stock, neben einer Ausstellung über den Wandel vom "Manchester des Nordens" zur Kunstmetropole Finnlands, sitzt das Eishockeymuseum. Hier ist die ruhmreiche Vergangenheit der Leijonat ausgestellt, der finnischen Nationalauswahl, unter anderem vier WM-Pokale und die olympische Goldmedaille von 2022.

Es ist schwer, in Tampere an Eishockey vorbeizukommen, zumal zur WM-Zeit. Wer die Geschäftsstelle von Ilves sieht, einem der beiden Champions-League-Klubs der Stadt neben dem aktuellen Sieger Tappara, denkt eher an einen altrömischen Tempel als zum Beispiel an die Zentrale des Deutschen Eishockey-Bundes in einem Münchner Vorort-Wohnblock. Selbst die vier Großplastiken auf der Hämeensilta-Brücke über den Tammerkoski tragen blau-weiße Trikots.

Als es zu Beginn des zweiten Drittels gegen Ungarn kritisch wird, schickt der Bundestrainer seine Spezialisten aufs Eis

Der Tammerkoski ist der Fluss zwischen den beiden Seen, an deren Ufern Tampere liegt. Das Nord-Süd-Gefälle beträgt rund 20 Meter, ausreichend, um die Stadt mittels Turbinen mit Strom zu versorgen. Der Tammerkoski im deutschen Spiel, seine Kraftquelle und das stabile Netz zu seiner Absicherung, trägt drei Namen: Nico Sturm, Samuel Soramies und Alexander Ehl. Sein Auftrag: "Wir wollen Energie reinbringen", sagt Soramies. "Wir wollen eine Reihe sein, auf die sich die Mannschaft in jeder Situation verlassen kann." So wie beim 7:2 gegen Aufsteiger Ungarn.

Zu Beginn des zweiten Drittels leisteten sich die Deutschen zwei Strafzeiten nacheinander, die Chance für ultradefensive Ungarn, zum 1:1 auszugleichen. In solchen Situationen schickt Bundestrainer Harold Kreis seine Spezialisten aufs Eis. Sturm gewann in dieser Phase nicht nur zwei wichtige Bullys, die dem Team Zeit verschafften, er holte auch eine Strafe gegen Ungarn heraus. Als die Deutschen wieder vollzählig waren, stand es schnell 4:0 durch Verteidiger Moritz Seider und Sturm, dem seine Turniertreffer vier und fünf gelangen.

"Es ist schwer, sich gegen so ein Bollwerk etwas herauszuarbeiten", sagte Seider nach dem Spiel. "Im zweiten Drittel haben wir das wesentlich besser gemacht. Nach der Strafzeit ist das Spiel in unsere Richtung gekippt, und dann haben wir es auch sehr, sehr souverän zu Ende gespielt."

"Mein Puls war zweistellig kurz vor dem Ende", sagt der Bundestrainer

Kreis identifizierte dieses Unterzahlspiel als Schlüssel zum Sieg. "Die Jungs haben das fantastisch gelöst", sagte der Bundestrainer. " Bang, war der Fokus wieder da: Drei Tore vor Ende des zweiten Drittels, eins zu Beginn des letzten, und dann waren wir wieder die alte deutsche Nationalmannschaft. Das war genau das Richtige, um uns wieder in die Spur zu bringen." Selbst ein Konzentrationsloch im letzten Drittel, das den Ungarn zwei Tore ermöglichte, machte Kreis nicht mehr nervös: "Mein Puls war zweistellig kurz vor dem Ende, das hat auch mal gutgetan."

Nico Sturm, neben Seider (Detroit) und John-Jason "JJ" Peterka (Buffalo) einer von drei NHL-Profis im DEB-Team, sind die Elogen fast peinlich, die seit Turnierbeginn auf ihn einprasseln. Der 28-jährige Stürmer von den San Jose Sharks sagt von sich, er sei eher Arbeiter als Künstler: "So verdiene ich mein Geld und nicht weil ich anfange, die Leute auszutanzen." Er freue sich natürlich, Tore zu schießen. Aber bitte: "Das waren ja keine Zauberdinger, sondern alles im Radius von ein, zwei Metern vor dem Tor."

Der WM-Debütant Sturm, der einst als nicht gut genug für die DEL galt, sich in Amerika übers College in die NHL hocharbeitete und seit dem vergangenen Jahr einen Stanley-Cup-Ring tragen darf, ist neben Seider der Anker im Team. "Er macht es einem relativ einfach", sagt Sturms Angriffspartner Ehl, "er marschiert immer". Sturm sagte über die Unterzahlsituation im zweiten Drittel: "Ich hab' gemerkt: Jetzt müssen wir aufpassen, dass der Gegner nicht das Momentum bekommt." Solche Phasen zu überstehen, gebe der Mannschaft "einen Boost und Selbstvertrauen".

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Dem Bundestrainer gibt die Konstanz der Sturm-Reihe wiederum die Gelassenheit, an anderen Stellen zu feilen. Gegen Ungarn ließ er statt Marcel Noebels den schnelleren Frederik Tiffels mit Dominik Kahun und Peterka spielen. Die Maßnahme wirkte ebenso wie die "Verschnaufpause", die Kreis Peterka im letzten Drittel gegen die Österreicher verordnet hatte. Peterka erzielte gegen Ungarn das 5:0, bereitete drei weitere Treffer vor und liegt in der internen Scorerwertung mit sieben Punkten (drei Tore, vier Vorlagen) nun auf Platz eins. "Torjäger brauchen Tore", sagte Kreis. "Aber JJ nimmt manchmal zu viel Druck auf sich. Heute hat er sehr gut mit seinen Mitspielern agiert."

Nach den Auftaktniederlagen gegen Schweden, Finnland und die USA und drei Siegen gegen Dänemark, Österreich und Ungarn ist die deutsche Mannschaft im letzten Gruppenspiel gegen Frankreich am Dienstag (11.20 Uhr, Sport1 und Magentasport) noch einmal gefordert. Die Franzosen haben nach dem 0:9 gegen die USA keine Chance mehr auf die K.-o.-Runde. Dennoch mahnt Nico Sturm: "Wir spielen hier nicht gegen Amateure, sondern gegen richtig gute Mannschaften. Wir wollen mit einem guten Gefühl ins Viertelfinale gehen." Voraussetzung dafür ist ein Sieg. Seine Reihe wird wieder die nötige Energie bereitstellen. So sicher wie der Tammerkoski von Norden nach Süden fließt.

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