DEB-Kapitän Moritz Müller:Er lebt die Emotionen des Teams

DEB-Kapitän Moritz Müller: Bester deutscher Spieler beim 6:4 gegen Dänemark: Kapitän und Abwehrspieler Moritz Müller bejubelt seinen Treffer.

Bester deutscher Spieler beim 6:4 gegen Dänemark: Kapitän und Abwehrspieler Moritz Müller bejubelt seinen Treffer.

(Foto: Pavel Golovkin/dpa)

Kapitän Moritz Müller ist bei der Eishockey-WM trotz NHL-Größen die Leitfigur in der deutschen Mannschaft. Ehrgeizig, eloquent, engagiert - und manchmal nicht nur für die Gegner unbequem.

Von Johannes Schnitzler, Tampere

In der Mixed Zone, wo Sportler und Reporter sich austauschen, werden Spiele manchmal neu entschieden. Es geht dann um die Deutungshoheit: War es ein gutes Spiel oder eher so lala? Warum hat dieses besser und jenes mal wieder überhaupt nicht geklappt? War es Arbeitssieg oder Pflichtaufgabe, Triumph oder Desaster?

Bei der Eishockey-Weltmeisterschaft, die zurzeit in Finnland und Lettland gespielt wird, ist Moritz Müller immer einer der Letzten, die in Tampere vor die Journalisten treten. Müller, 36, ist der Kapitän der deutschen Mannschaft, er bestreitet seine elfte WM. Er muss immer zuerst vor die Kameras des internationalen Fernsehens, dann vor die der deutschen Sender, ehe er den schreibenden Berichterstattern zur Verfügung steht. Der Ablauf ist festgeschrieben. Meistens schaut er die Fragesteller dann mit leicht gesenktem Kopf an, so als müsste er unter einem breitkrempigen Hut hervorlugen, was gar nicht so leicht ist, weil Müller auf Schlittschuhen die meisten Fragesteller überragt.

Seine Körperhaltung verrät Interesse an dem, was nun kommt, zugleich eine gut antrainierte Abwehrbereitschaft. Er antwortet ohne Umschweife und in druckreifen Sätzen. Am Donnerstag, nach dem 6:4-Sieg gegen Dänemark, dem ersten Erfolg im Turnier nach drei Niederlagen, sagte Müller: "Wir haben ja vorher versucht, das ein bisschen abzumoderieren. Aber natürlich war der Druck enorm nach drei guten Spielen ohne Punkte."

Der Erfolg gegen die zuvor dreimal siegreichen Dänen erhielt dem Team von Bundestrainer Harold Kreis die Chance auf das Viertelfinale und die direkte Qualifikation für die Olympischen Spiele 2026. Dafür muss es nach dieser WM auf einem der ersten acht Plätze der Weltrangliste stehen - das Viertelfinale ist nicht nur Ziel, sondern Pflicht. "Umso stolzer bin ich, dass die Mannschaft das mental verkraftet hat, auch diese Rückschläge im Spiel immer wieder", sagte Müller.

Einer dieser Rückschläge war das frühe 0:1 gegen die Dänen. Nach einem Lattentreffer von Moritz Seider war es Müller, der einen dänischen Schuss unglücklich ins eigene Netz ablenkte. Und als die deutsche Mannschaft im zweiten Drittel das Spiel an sich riss, 3:1 in Führung ging und einem sicheren Sieg entgegenzustreben schien, unterliefen ihr zwei Unachtsamkeiten, plötzlich stand es 3:3. "Das sind Momente, in denen eine Mannschaft zusammenkommt oder nicht", sagte Müller. Nach dem Ausgleich, das gab er zu, habe er innerlich aufgestöhnt: "Das kann doch nicht wahr sein, jetzt wieder."

Zwanzig Sekunden später traf der Berliner Jonas Müller, nicht verwandt und nicht verschwägert mit dem Kapitän, mit freundlicher Genehmigung des dänischen Torhüters Frederik Dichow zum 4:3. Aber es brauchte zwei weitere Empty-Net-Treffer in den Schlussminuten, ehe die Dänen wirklich besiegt waren. "Das war so ein Moment, den wir jetzt einfach mal gebraucht und auch irgendwie verdient haben", sagte Moritz Müller.

Es gibt Stimmen, die sagen, Müller promote vor allem sich selbst

Müller ist das Gesicht und Sprachrohr der Mannschaft und ihr emotionales Zentrum. Keiner sprang nach dem 4:3 im olympischen Halbfinale 2018 gegen Kanada höher in die Luft, als klar war, dass Deutschland Silber sicher hatte; keiner weinte bitterlicher, als die Mannschaft bei der WM 2021 trotz überlegener Leistung dem späteren Weltmeister Finnland im Halbfinale 1:2 unterlag und tags darauf im Spiel um Platz drei keinen Fuß mehr vor den anderen bekam.

Müller hat als einer der wenigen deutschen Eishockeyspieler eine nennenswerte Gefolgschaft in den sozialen Medien. In der Pandemie kritisierte er die Klubverantwortlichen der Deutschen Eishockey Liga (DEL) für ihr Krisenmanagement, er ärgerte sich öffentlich über die Ignoranz vieler Medien gegenüber allen Sportarten, die nicht Fußball heißen. Und er ist einer der Initiatoren der Spielervereinigung Eishockey (SVE), die den Eishockeyprofis in Deutschland mehr Gehör verschaffen will.

Ehrgeizig, eloquent, engagiert: Manchem ist das zu viel. Es gibt Stimmen, die sagen, Müller promote vor allem sich selbst. In der Nationalmannschaft aber ist er die unumstrittene Leitfigur, neben NHL-Profis wie Moritz Seider und Nico Sturm.

Im SZ-Interview hat Müller mal erzählt, wie harmoniebedürftig er ist. Nach dem Tod seiner Mutter, die starb, als er vier war, wuchs er als Halbwaise auf, in Frankfurt, Frankreich und Kassel. Mit 15 zog er ohne seinen Vater nach Weißwasser, mit 16 Jahren weiter nach Köln. Dort ist er geblieben und beeindruckte sogar Hans Zach, der als Talentförderer bekannt und als gnadenloser Schleifer von schlampigen Talenten berüchtigt war. Der Titel einer TV-Doku über Müller - "Nichts geschenkt. Alles verdient." - geht auf ein Zach-Zitat zurück.

Mit 17 debütierte er unter dem ehemaligen Bundestrainer in der DEL für die Haie, seit 2015 ist er ihr Kapitän. Müller ist, das kann man so sagen, in Köln sesshaft geworden, seine drei Kinder sind dort geboren. Mittlerweile hat er 1010 DEL-Spiele für die Haie absolviert - ein Phänomen in einer Sportart, die von häufigen Vereinswechseln geprägt ist. Nico Sturm, WM-Debütant und Schütze des 6:4 gegen Dänemark, sagte: "Ich verstehe jetzt, warum alle immer gerne wiederkommen." Er meinte: zur Nationalmannschaft. Müller sagt: "Ich glaube, die Jungs spüren, dass wir hier eine gute Gruppe haben, die das Herz am rechten Fleck hat." Das ist nicht zuletzt Müllers Verdienst. Seine Trainer und Mitspieler beschreiben ihn als die integrative Figur.

Am Donnerstag kam Müller besonders spät in die Mixed Zone. Er hatte das 2:1 vorbereitet und das 3:1 selbst erzielt und die Auszeichnung als "Best Player" der deutschen Mannschaft erhalten. "Das war ein überragender Pass von Marcel Noebels", sagte er fast entschuldigend, "und dann war ich schon nervös, dass ich vielleicht zu spät schieße." Dabei hat der Verteidiger Müller mal als Stürmer angefangen. "Das ist aber schon so lange her, daran kann ich mich kaum noch erinnern." Noch ein paar solche Spiele, und Moritz Müller wird sich noch selbst erklären müssen.

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