Eishockey-WM:Überraschungsteam aus dem Container

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Plötzlich im Rampenlicht: Ungarns Janos Hari (links) und Kapitän Gergö Nagy (rechts). (Foto: Daniel Götzhaber/Gepa/Imago)

Die deutschen WM-Gruppengegner Österreich und Ungarn werden wie Außenseiter behandelt - jedenfalls was den Arbeitsplatz der Trainer angeht. Besonders die Ungarn verschaffen sich durch ihre Auftritte auf dem Eis jedoch Respekt.

Von Johannes Schnitzler, Tampere

Österreich-Ungarn, das klingt nach "Sisi" und ihrem kaiserlichen Gemahl Franz Joseph, nach k.u.k.-Monarchie, Kostümschinken und einem Sommer mit Piroschka. Tatsächlich lautet ganz profan eine Begegnung bei der 86. Eishockey-Weltmeisterschaft so: Am kommenden Montag treffen die beiden Nachbarn, Gegner der deutschen Mannschaft in der Gruppe A, in Tampere aufeinander. Es ist ein vorentscheidendes Duell um Klassenverbleib oder Abstieg.

In ihren ersten vier Partien bei dieser WM blieben die Österreicher sieglos, der einzige Punktgewinn gelang der Mannschaft des Schweizer Cheftrainers Roger Bader zum Auftakt beim 1:2 nach Verlängerung gegen Frankreich. Gegen Schweden (0:5), Dänemark (2:6) und die USA (1:4) setzte es deutliche Niederlagen. Kapitän Thomas Raffl sagt: "Bis auf die Partie gegen Schweden haben wir immer die Chance gehabt, Punkte zu holen. Wir müssen uns nichts vorwerfen."

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Von Johannes Schnitzler

Raffl, 36, war 2013 schon Teil des Teams, das den Deutschen die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2014 vor der Nase wegschnappte. Beim Qualifikationsturnier in Bietigheim unterlagen die Österreicher zwar im direkten Duell 2:3 nach Verlängerung; die Deutschen hätten aber in der regulären Spielzeit gewinnen und drei Punkte holen müssen. Die österreichischen Zeitungen schrieben damals vom "Córdoba auf Eis" in Anspielung auf die deutsche 2:3-Niederlage gegen das Team Austria bei der Fußball-WM 1978 in Argentinien. "Das war schon kurios", sagt Patrick Reimer, der Schütze des deutschen Siegtreffers in der Verlängerung: "Die einen gewinnen und die anderen feiern." Noch heute spricht Reimer, mit 394 Toren Rekordschütze der Deutschen Eishockey Liga (DEL), vom "unbedeutendsten Treffer meiner Karriere".

Erst ein Punkt, aber ein unbequemer Widersacher: Österreich Auswahl (hier Lucas Thaler gegen den Amerikaner Tyler Kleven) trifft am Freitag auf Deutschland. (Foto: Kalle Parkkinen/Newspix24/Imago)

Raffl, der unter anderem in Schweden gespielt und sechs österreichische Meisterschaften gesammelt hat, hätte sich an diesem Freitag (19.20 Uhr, Sport 1 und Magentasport) eine Begegnung mit Leon Draisaitl gewünscht. "Gegen solche Superstars anzutreten, ist eine große Ehre für uns", sagt der Stürmer, dessen jüngerer Bruder Michael, 34, neun Jahre in der nordamerikanischen Profiliga NHL gespielt hat. Aber auch ohne den NHL-Profi von den Edmonton Oilers, dessen WM-Absage der Deutsche Eishockey-Bund am Mittwoch bekannt gab, ist der Respekt vor dem DEB-Team groß. "Die Deutschen haben eine sehr gute Mannschaft", sagt Raffl. "Wenn man sich ihre Spiele hier anschaut: Sie spielen mit jeder A-Nation auf Augenhöhe."

Der Respekt vor seinem Team und vor Aufsteiger Ungarn, das erst zum dritten Mal nach 2009 und 2016 an einer A-WM teilnimmt, hält sich offenbar in Grenzen. Der Weltverband IIHF teilte den beiden Nationen zwei Container außerhalb des Stadions als Raum für ihre Trainerstäbe zu. Während die Trainer der anderen Nationen in der Nokia Arena Videos sichten und schneiden, müssen die Nummern 15 (Österreich) und 20 (Ungarn) der Weltrangliste mit einem Platz am Katzentisch vorliebnehmen.

Ungewohnter Minimalismus bei einem Großevent: Die Trainer von Österreich und von Ungarn müssen sich in Tampere im Container vorbereiten. (Foto: Martin Hanebeck/Privat/oh)

Aufsteiger Ungarn, das bei seinen ersten beiden Teilnahmen jeweils direkt wieder abstieg, will in diesem Jahr erstmals den Klassenverbleib schaffen. 2009 debütierte das Team unter dem späteren deutschen Bundestrainer Pat Cortina bei einer A-WM, blieb sieg- und punktlos. Beim Turnier in Tampere überraschte die Mannschaft des amerikanischen Cheftrainers Kevin Constantine, 64, am Dienstag mit einem 3:2-Sieg nach Verlängerung gegen Frankreich, dem zweiten WM-Erfolg überhaupt nach einem 5:2 gegen Belarus 2016. Schütze des Siegtreffers für die Ungarn war Istvan Bartalis, der drei Jahre für die Schwenninger Wild Wings gespielt hat. Neben Bartalis hat auch Istvan Sofron DEL-Erfahrung, der 36-Jährige ging zwei Jahre für die Krefeld Pinguine aufs Eis. "Ich habe den Medien vor ein paar Tagen versprochen, dass wir unsere Hymne bei diesem Turnier hören werden", sagte Kapitän Gergö Nagy. "Und wir haben sie gesungen." Sie seien vielleicht nicht die talentierteste Mannschaft. "Aber wenn wir als Team spielen, sind wir schwer zu schlagen." Gegen Schweden reichte das am Donnerstag nicht, der elfmalige Weltmeister setzte sich mit 7:1 durch.

Die Deutschen wissen das aus eigener, ein paar Jahre zurückliegender Erfahrung. Bei der WM 2009 entwickelte sich ein dramatischer Dreikampf zwischen Deutschland, Österreich und Ungarn um den Klassenverbleib. Nach Niederlagen in der Abstiegsrunde gegen Österreich (0:1) und Dänemark (1:3) stand das DEB-Team unter Uwe Krupp im Grunde als Absteiger fest, trotz des abschließenden 2:1-Erfolgs gegen Ungarn. Weil Deutschland im darauffolgenden Jahr aber die Weltmeisterschaft ausrichtete, blieb es von der Relegation verschont. Österreich und Ungarn mussten in die Division I hinunter, Deutschland erreichte bei der Heim-WM im Jahr darauf das Halbfinale.

Gegner auf dem Weg zu Platz vier war damals die Schweiz, die das DEB-Team im Viertelfinale 1:0 bezwang, ehe es im Halbfinale Russland 1:2 unterlag. Die Russen sind in diesem Jahr nicht dabei, die IIHF hat ihnen wegen des Kriegs gegen die Ukraine die Ausrichtung des Turniers in Sankt Petersburg entzogen und sie ebenso wie Belarus von der Teilnahme an dieser WM ausgeschlossen. Trotzdem fühlten sich Beobachter an den ersten Turniertagen an die Zeiten der sowjetischen Sbornaja erinnert.

Grund war eine Mannschaft, die ebenfalls in roten Trikots aufläuft: die Schweiz. Mit neun Punkten und 15:0 Toren aus den ersten drei Spielen gegen Slowenien (7:0), Norwegen (3:0) und Kasachstan (5:0) legte die Mannschaft von Patrick Fischer in der Gruppe B in Riga eine Zwischenbilanz vor, die selbst dem Serienweltmeister der Achtzigerjahre zur Ehre gereicht hätte, am Donnerstag besiegte sie auch die Slowakei 4:2. Die Schweizer wären der mögliche Gegner der deutschen Mannschaft im Viertelfinale. Davor aber stehen erst einmal die Spiele gegen Österreich und am Sonntag gegen Ungarn auf dem Plan.

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