Eishockey-WM der Frauen:Ein Tor über den großen Graben

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Treffer gegen den Star im schwedischen Team: Die deutschen Eishockeyspielerinnen bejubeln das 1:0 gegen Torhüterin Emma Söderberg. (Foto: Aaron Broman/Bildbyran/Imago)

Eishockeyspielerinnen werden in drei Kategorien eingeteilt. Im deutschen WM-Team müssen sich 17 von 23 mit der Holzklasse zufrieden geben. Franziska Feldmeier ist nun ein Schuss ins Glück gelungen.

Von Korbinian Eisenberger, Utica/München

Sie stand da, wo eine Stürmerin stehen muss, wartete auf das Spielgerät, hob den Fuß - und netzte ein. Es war der Treffer zum 1:0-Endstand, und man muss bei diesem Tor in Minute 49 eventuell erwähnen, dass es sich hierbei um die Sportart Eishockey handelt, nicht um Fußball, denn dann würde es hier wohl um ganz andere Themen gehen.

Bei der Eishockey-Weltmeisterschaft von Utica, USA, lief das dritte Gruppenspiel der deutschen Frauen. Gegner waren die leicht favorisierten Schwedinnen, doch das deutsche Team hielt dagegen. Zwei Drittel des Spiels hatte die Auswahl von Trainer Jeff MacLeod beherzt verteidigt, noch immer stand es 0:0. Und plötzlich drehte das deutsche Team auf: Tabea Botthof zog aus der Distanz ab - und ganz vorne zuckte Teamkollegin Franziska Feldmeier geistesgegenwärtig mit dem Schlittschuh und fälschte den Puck unhaltbar ins schwedische Tor ab.

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Deutschland gewann eine Partie zweier Teams, die sich, wenn man so will, wie bei einem Flugzeug in drei Klassen aufteilen ließen: Von den je 23 Spielerinnen beider Kader hat jeweils eine Torhüterin einen Platz in der First Class, der neu gegründeten US-Profi-Eishockeyliga der Frauen ergattert, der PWHL - das sind Sandra Abstreiter (Ottawa) und Emma Söderberg (Boston). Je fünf haben das Glück, in den Vereinigten Staaten bei einem College-Klub gelandet zu sein, Business Class also. Die 34 weiteren - je 17 auf schwedischer und deutscher Seite - spielen in der jeweils heimischen Liga, der Holzklasse. Die Unterschiede sind gigantisch.

Zwischen 35 000 und 80 000 Dollar Jahresgehalt - immerhin

Die Arbeitsbedingungen in den USA sind in vielerlei Hinsicht professionell, wie Sandra Abstreiter zuletzt berichtete, allein schon weil die Spielerinnen so bezahlt werden, dass sie davon leben können. Zwischen 35 000 und 80 000 Dollar Jahresgehalt sollen in der neuen Liga gezahlt werden, was angesichts der Millionengehälter vieler männlichen Eishockeykollegen wie ein Witz erscheint - im Vergleich mit Europas Frauenligen im Eishockey handelt es sich wiederum um ein Vielfaches. Das gilt dem Vernehmen nach, mit Abstrichen, auch für jene Spielerinnen, die in US-College-Teams reüssieren.

Probleme hat das Fraueneishockey nach wie vor weltweit, selbst in großen Nationen fehlt es an professionellen Strukturen, manche der besten Spielerinnen der Welt boykottieren gar sämtliche Ligen und reisen stattdessen in Eigeninitiative für Showspiele durch Nordamerika. Die im Januar gestartete neue PWHL soll sich nun so etablieren, dass die weltbesten Eishockeyspielerinnen hier mit ihrem Sport ein gesichertes Auskommen haben. Deren Vorgängerliga, die WNHL, war an diesem Anspruch gescheitert. In der PWHL gilt nun ein Tarifvertrag, den die Liga und die Spielerinnenvereinigung geschlossen haben.

Und so ist es vielleicht kein Zufall, dass die beiden PWHL-Profis Abstreiter und Söderberg dem montäglichen WM-Spiel um den Gruppensieg ihren Stempel aufs Eis drückten, indem sie beide 48 Minuten lang sämtliche Schüsse parierten - ehe die deutsche Angreiferin Feldmeier die schwedische Keeperin per Schlittschuhtrick überwand. Feldmeier, ECDC Memmingen, trifft gegen Söderberg, Boston. Wie ein Tor über den großen Graben.

In Deutschland ist die Lage noch bescheidener als sonstwo. In Schweden, der stärksten europäischen Liga, spielen zehn Teams um den Meistertitel, die Bundesliga besteht nur noch aus sechs Vereinen. Einige wenige deutsche Eishockeyspielerinnen sind bei der Bundeswehr angestellt, alle anderen haben einen Beruf und betreiben Eishockey mehr oder weniger als Hobby.

In Deutschland spielen Mädchen nach wie vor bis zu ihrem 16. Lebensjahr in Bubenmannschaften

An den Strukturen im europäischen und speziell im deutschen Fraueneishockey hat sich in all den Jahren wenig verändert. Mädchen spielen nach wie vor bis zu ihrem 16. Lebensjahr in Bubenmannschaften. Christian Künast, Sportdirektor beim Deutschen Eishockey-Bund, plant hier Verbesserungen. Kurzfristiges Ziel sei es, einen geregelten Spielbetrieb für 14- bis 20-jährige Spielerinnen zu schaffen, wie Künast zuletzt beim Portal Nhl.com erklärte. Mittelfristig gelte es, einen Unterbau an Nachwuchsspielerinnen aufzubauen, um die Leistungsdichte und Breite zu stärken: "Langfristig wollen wir auch die Ligen-Struktur angehen und an die höchste Männer-Spielklasse DEL anlehnen."

Ein weiter Weg wäre das allemal. Umso mehr war den Spielerinnen am Montagabend die Begeisterung über ihren vorzeitigen Gruppensieg anzumerken. "Was wir hier für eine Mannschaftsleistung zeigen, ist echt der Wahnsinn", sagte Spielführerin Daria Gleißner. "Im letzten Drittel sind wir noch mal all in gegangen. Jede auf dem Eis hat für die andere gespielt." Allen voran: Torhüterin Abstreiter, die sämtliche schwedische Schüsse auf ihr Tor abwehrte, insgesamt 32. Tags darauf folgte mit 3:0 der erwartete vierte Sieg gegen China, bei dem Abstreiter sich ausruhen durfte - im Tor vertrat sie Lisa Hemmerle.

Und so ist dem deutschen Team - bei allem strukturellen Stillstand - ein Fortschritt gelungen: Nach Platz zwei in der schwächer besetzten WM-Gruppe B 2023 steht dort nun Platz eins zu Buche. Im Viertelfinale am Donnerstag (live bei Magentasport) bittet aller Wahrscheinlichkeit nach Team Tschechien zum Tanz, nicht wie im Vorjahr die USA oder Olympiasieger Kanada, also Teams aus Vollprofis.

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