Grafing:Der letzte Mann trägt Haarspangen

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Die 21-jährige Lisa Hemmerle steht beim Grafinger Eishockey-Klub EHC Klostersee seit einem Jahr im Tor der Herren und hält den Kasten sauber

Von Korbinian Eisenberger, Grafing

Der letzte Mann beim EHC Klostersee ist 167 Zentimeter groß, kürzer als das Eishockeytor breit, und heißt Lisa Hemmerle. "Wenn ich das größere Dress anziehe, würde ich drüber stolpern", sagt die 21-Jährige. Der Grafinger Klub hat zum ersten Mal überhaupt jemanden im Tor stehen, der in ein Feldspieler-Trikot passt. Die Vaterstettenerin Hemmerle hütet seit dieser Saison das Tor der ersten Mannschaft des EHC, spielte in nahezu allen wichtigen Ligaspielen durch, eine Frau unter 24 Männern. Die Kollegen kümmern sich darum, dass es im gegnerischen Tor kracht. Hemmerles Job ist, dass hinten nichts anbrennt, was in dieser Saison ziemlich gut gelang: Der EHC stieg ungeschlagen in die Landesliga auf. Ein Grund mehr, dass Hemmerle nun für die Talentiade der Süddeutschen Zeitung nominiert ist.

Dass Frauen bei den Männern mitmachen, kennt man mittlerweile bei der Polizei und beim Militär. Im Mannschaftssport ist das hingegen noch eine Rarität, sieht man vom Reiten ab, wo Tiere die körperliche Arbeit verrichten. Im Sport werden die Geschlechter in aller Regel streng getrennt, im Winter wie im Sommer, ob mit Ball oder ohne. Und trotzdem steht Lisa Hemmerle in den wichtigen Spielen zwischen den Pfosten des EHC Klostersee.

In der Kabine des EHC werde nach Siegen Bier und Radler herumgereicht. Lisa Hemmerle hat aber über die Saison kaum Striche auf ihrer Getränkeliste gesammelt. Hemmerle geht nicht gerne in Nachtclubs, ihr Klub, sagt sie, das ist der EHC. Nach dem Spiel verlässt sie nur einmal kurz die Mannschaftskabine und kommt mit feuchten Haaren zurück, trocknet und befestigt die Haarspange. Auswärts hat sie die Gemeinschafts-Duschen kurz für sich alleine, vorher und nachher zieht sie sich wie alle anderen mit dem Team um. "Lisa bekommt auf dem Eis keine Sonderbehandlung", sagt EHC-Angreifer Raphael Kaefer. Hemmerle sagt dazu: "Wenn man nicht einstecken kann, dann sollte man die Sportart wechseln."

Wendig und technisch gut: Ihre geringe Körpergröße ist Lisa Hemmerles Vorteil im Tor des EHC, da sie schnell reagieren kann. Noch dazu überzeugt die Torhüterin mit feiner Technik am Schläger. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Hemmerle spielt Eishockey seit sie drei Jahre alt ist. Die Brüder kämpften um den Puck, "ich musste mich schon damals ins Tor stellen", sagt Hemmerle, die seither alle Jugendteams durchlaufen hat. Einmal EHC, immer EHC - und dann so etwas: Fan-Randale führten 2016 zur Kündigung wichtiger Sponsoren, der Verein verhinderte die Insolvenz nur durch den Rückzug der ersten Mannschaft aus der Oberliga, ein harter Schlag für den bekanntesten Traditions-Verein im Landkreis Ebersberg.

Für die meisten EHC-Spieler war das Jahr 2016 vor allem ein sportlicher Rückschritt, "die jungen haben dadurch aber eine Chance bekommen", sagt Sascha Kaefer, der neue erste Vorstand des EHC Klostersee. Hemmerle etwa spielte in der letzten Saison noch in der U 23. Sie durfte nur einmal in der Oberligamannschaft ran, gegen Sonthofen spielte sie 20 Minuten und kassierte drei Gegentore.

Eine Frau im Männersport - wie kann das im Eishockey gut gehen? "Vom Leistungsstand ist Lisa unser bester Torhüter", sagt Dominik Quinlan, der auf der Meisterfeier des EHC seinen Vertrag um ein Jahr verlängerte. "In den schweren und wichtigen Spielen hat sie die Nase vorn". Die geringe Körpergröße ist ihr Vorteil. "Sie ist sehr schnell und hat gute Reflexe", sagt Quinlan, und sie sei "gut an der Scheibe", kann also technisch sauber mit dem Spielgerät umgehen, was im Eishockey immer wichtiger wird. Größere Spielertypen füllen zwar das Tor besser aus, sind aber oft behäbiger, wenn sie sich in einen Schuss werfen.

In ein typisches Trowart-Dress würde Lisa Hemmerle mit 167 Zentimetern Körpergröße gar nicht passen. Sie trägt ein Feldspieler-Trikot. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Quinlan ist jedoch nicht der einzige, der diese Qualitäten an der jungen Sportlerin schätzt. Hemmerle zählt mittlerweile zum erweiterten Kreis des Frauen-Nationalteams. Siebenmal hat sie das Nationaltrikot bisher getragen, gegen die Türkinnen durfte sie eine Hälfte lang aufs Eis. Hemmerle hielt ihren Kasten sauber, die Deutschen gewannen 20:0.

Der Anfang ist gemacht, aber die Konkurrenz ist stark. Es gibt drei weitere prominente Klubs, bei denen in der ersten Mannschaft eine Frau im Tor steht. In der Bayernliga, der vierthöchsten deutschen Spielklasse, steht Franziska Albl beim TEV Miesbach im Kasten, beim ELV Tornado Niesky (Oberlausitz) Ivonne Schröder - und beim Oberligisten Sonthofen Frauennationaltorwartin Jennifer Harß.

Mittlerweile hat Lisa Hemmerle einen neuen Panzer bekommen, einen größeren, der es Stürmern schwieriger macht, ins Tor zu treffen. Das Trikot mit der Nummer 12 passt jetzt nicht mehr drüber, sie hat jetzt ein neues, in XXL.

© SZ vom 27.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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