Eishockey-Idol Sidney Crosby:Attacken gegen den Kopf

Lesezeit: 4 min

Die Eishockey-Nation Kanada bangt um die Karriere ihres Idols Sidney Crosby - wegen einer Gehirnerschütterung. Er ist nicht der erste Spieler, dem eine vermeintlich leichte Verletzung große Probleme bereitet. In der NHL tobt erneut die Diskussion um härtere Strafen bei Attacken gegen den Kopf.

Michael Neudecker

Eric Lindros hat vor ein paar Wochen ein Interview gegeben, da hat er die Geschichte mit der Dusche erzählt: Wie er nach einem Spiel seiner Mannschaft, der Philadelphia Flyers, unter der Dusche stand und die Welt nicht mehr verstand, weil er sich sicher war, dass sie gerade ein Heimspiel hatten, doch die Duschen nicht die gleichen waren, die er vom Stadion in Philadelphia kannte. Aber sie hatten kein Heimspiel. Sie waren in Pittsburgh.

Muss vorerst pausieren: Sidney Crosby. (Foto: AFP)

Eric Lindros war in den neunziger Jahren der größte Eishockeyspieler Kanadas, vielleicht sogar der Welt, dann erlitt er eine Gehirnerschütterung nach der anderen, offiziell waren es am Ende acht; 2007 hörte er schließlich auf. Und jetzt fällt sein Name wieder, wenn sie in Kanada über Sidney Crosby reden, und sie reden gerade über nichts anderes.

Sidney Crosby, der größte Eishockeyspieler Kanadas, vermutlich sogar der Welt, hat am Montag bekanntgegeben, vorübergehend auszusetzen: wegen einer Gehirnerschütterung. Er saß in der Kabine, umlagert von Reportern, er sagte, es gehe ihm gut, wenngleich er im Training "ein paar Symptome" gespürt habe. Die Pause sei eine reine Vorsichtsmaßnahme.

Es mag lächerlich klingen", sagte Eric Lindros in dem Interview, "aber die Person, die nach einer Gehirnerschütterung am wenigsten über ihren Zustand sagen kann, ist die Person selbst."

Die Nachricht von Crosbys Pause hat ein ganzes Land in eine Art Schockzustand versetzt; das mag übertrieben klingen, aber es ist wirklich so. Eishockey ist in Kanada nicht bloß ein Sport, es ist der Ausdruck eines nationalen Selbstwertgefühls. Als Kanada bei Olympia in Vancouver 2010 im Finale die USA besiegte, fiel das Land in einen unbeschreiblichen Taumel des Glücks, alle wussten, wem sie das zu verdanken hatten: Es war Crosby, dieser 24-jährige Wunderknabe aus Cole Harbour, der den Siegtreffer erzielte.

Und jetzt ist da diese Frage: Kann er vielleicht nie mehr spielen?

Die Antwort ist, dass es keine Antwort gibt, jedenfalls noch nicht. Allein die Frage aber weckt böse Erinnerungen in Kanada: Paul Kariya, Eric Lindros, Keith Primeau, Marc Savard und andere - die Reihe großer kanadischer Spieler, die wegen Gehirnerschütterungen ihre Karriere beenden mussten, ist lang.

Und fast immer begann es mit einem Check, auch bei Crosby. Im Januar wurde er von Washingtons David Steckel umgefahren, ein paar Tage später checkte ihn Tampa Bays Victor Hedman heftig gegen die Bande. Danach beendete Crosby die Saison, und in Kanada begannen die Spekulationen, die Befürchtungen, die Hoffnungen.

Und dann, vor drei Wochen, kehrte er zurück, das Land atmete auf, es jubelte, denn Crosbys Rückkehr geriet zum Triumph. Pittsburgh spielte gegen die New York Islanders, die Zuschauer hielten Plakate mit der Aufschrift "Sid" in die Luft, mehrere hundert Journalisten waren akkreditiert, einige Fernsehsender unterbrachen ihr Programm. Nach fünf Minuten und 24 Sekunden schoss Crosby das erste Mal aufs Tor - und traf. Am Ende gewann Pittsburgh 5:0, Crosby hatte zwei Treffer erzielt und zwei vorbereitet.

Magdalena Neuner
:Glamourgirl, Vorbild, Freigeist

Doppel-Olympiasiegerin, zwölffache Weltmeisterin, zweimal Sportlerin des Jahres: Magdalena Neuner hat den Biathlon-Sport geprägt wie keine vor ihr. Ihre Karriere in Bildern.

Ihre Karriere in Bildern

Kurz darauf traf Pittsburgh auf Boston, irgendwann während der Partie kollidierte Crosby mit David Krejci; Krejcis Ellbogen war etwas zu hoch, aber es war kein harter Check, kein schmutziges Foul, es war eben Eishockey. Danach gaben die Penguins bekannt, Crosby werde zwei Spiele pausieren.

Magdalena Neuner
:Glamourgirl, Vorbild, Freigeist

Doppel-Olympiasiegerin, zwölffache Weltmeisterin, zweimal Sportlerin des Jahres: Magdalena Neuner hat den Biathlon-Sport geprägt wie keine vor ihr. Ihre Karriere in Bildern.

Ihre Karriere in Bildern

Nur eine Vorsichtsmaßnahme, sagten die Penguins.

Am Dienstag meldete sich Darren Cossar zu Wort, Direktor von Hockey Nova Scotia, des Eishockeyverbandes der Provinz, aus der Crosby stammt. "Ich könnte heulen", sagte Cossar, aber: Die Sache habe auch etwas Gutes. Sie lenke die Aufmerksamkeit auf ein Thema, das wichtig sei und früher vernachlässigt wurde: das Problem der Gehirnerschütterungen im Sport. Mit Crosby, sagte Cossar, "können wir den jungen Spielern und deren Eltern die Ernsthaftigkeit von Gehirnerschütterungen am besten erklären".

Gehirnerschütterungen sind ein generelles Problem im Sport und im Eishockey im Speziellen, auch in Deutschland mussten bereits einige Spieler deshalb ihre Karriere beenden. Aber nirgends tritt das Problem so häufig auf wie in der NHL; nirgends ist das Spiel so temporeich, sind die Spieler so dynamisch und die Eisflächen so klein. In die breite Öffentlichkeit ist das Thema aber erst gelangt, als Sidney Crosby betroffen war. Als Eric Lindros immer wieder pausierte, wurde er von manchem Fan sogar verhöhnt: Ist er nicht selbst schuld, weil er den Kopf unten hält, wenn er sprintet?

Auch Crosby musste sich zwar ein paar dumme Äußerungen gefallen lassen, manche tauften ihn "Cindy Crosby", aber das waren Ausnahmen. Öffentlich wurde er für seinen Mut zur Pause gelobt, zum Beispiel von Keith Primeau, der sagte: "Wir haben eine Kultur entwickelt, in der es erwartet wird, dass du bei Verletzungen einfach weitermachst. Das geht nicht." Primeau ist einer der Gründer der Homepage stopconcussions.com, "concussion" ist das englische Wort für Gehirnerschütterung.

Primeaus Mahnungen und auch die anderer Kollegen haben dazu beigetragen, dass die NHL vor dieser Saison ihre Regeln verschärfte: Bei Checks gegen den Kopf werden nun sofort harte Strafen ausgesprochen.

Aber ist das genug? Vor kurzem veröffentlichte die Liga eine Statistik, nach der Gehirnerschütterungen um etwa die Hälfte zurückgegangen seien, unter Experten aber gilt die Zahl als kaum haltbar - viele NHL-Klubs machen nur vage Angaben zu Verletzungen ihrer Spieler. Etwa: "upper body injury", Verletzung in der oberen Körperhälfte. Es scheint, als käme die Diskussion, die Sidney Crosby auslöste, für ihn selbst zu spät.

Pat LaFontaine, ein weiterer großer NHL-Spieler, der seine Karriere nach einer Gehirnerschütterung beenden musste, hat einmal gesagt, jeder Spieler habe einen Reservetank, der anfangs voll sei, "aber mit jedem Check wird er leerer", und das Problem sei: Man könne den Tank nicht wieder auffüllen.

Niemand weiß, wo die Anzeige in Sidney Crosbys Tank gerade steht, auch Sidney Crosby nicht.

© SZ vom 14.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: