DOSB-Präsident:Der deutsche Sport vermurkst den Neustart

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Thomas Weikert und Claudia Bokel wollen den DOSB leiten. (Foto: imago images/Picture alliance)

Thomas Weikert oder Claudia Bokel? Am Samstag entscheidet sich, wer den DOSB aus der größten Krise seiner Historie manövrieren soll. Doch der versuchte Neuanfang löst so manche Wunden und Irritationen aus.

Von Johannes Aumüller, Weimar/München

Neustart. Neuanfang. Neubeginn. Das sind seit einer Weile die Lieblingsvokabeln der deutschen Sport-Verantwortlichen. An diesem Wochenende soll sich das Ganze vollziehen: Dann tritt bei der Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) in Weimar der umstrittene Präsident Alfons Hörmann ab, wählt der Konvent den favorisierten Tischtennis-Funktionär Thomas Weikert oder die Fecht-Präsidentin Claudia Bokel an die Spitze und wird wohl das komplette Präsidium ausgetauscht. Weimar soll der Schlussstrich unter der größten Krise in der Verbandsgeschichte und das Signal für einen Aufbruch sein, so ist der Plan.

Doch angesichts der Geschehnisse in den vergangenen Wochen ist fraglich, ob das auch gelingt. Denn im Neustart-Versuch, der doch die Lage befrieden sollte, ist vom deutschen Sport viel vermurkst worden; stattdessen hat dieser selbst schon manche Wunden und Irritationen ausgelöst.

Da passt es irgendwie, unter welchen Bedingungen in Corona-Zeiten die Wahl abläuft. Eine kurzfristige Online-Veranstaltung war aus juristischen Gründen ausgeschlossen, in Weimar werden nur 150 Delegierte vor Ort sein. Von der Tagesordnung ist alles gestrichen, was nichts mit der Neuwahl zu tun hat. Das bedeutet, dass nicht nur lässliche Punkte wie die Grußworte ausfallen, sondern auch der Top 7: die Rede des Noch-Präsidenten Hörmann. Dabei hätte man diesen doch gerne ausführlich gehört nach all den fragwürdigen Vorgängen und den Vorwürfen der vergangenen Monate - und auch die Repliken.

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:Eine Ankündigung mit vielen Fragezeichen

In der Briefaffäre des DOSB wünschen sich die Sprecher der Verbändegruppen eine externe Aufklärung. Doch es deutet sich an, dass dem Sport diesbezüglich zähe Wochen bevorstehen.

Von Johannes Aumüller
Viele alte Wunden, dazu einige neue aufgerissen: Das Vermächtnis des einstigen DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann wirkt bis heute nach. (Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Es erschloss sich nicht richtig, warum die Findungskommission welche Kandidaten zuließ - und welche nicht

Aber diese Corona-Umstände sind nur das bezeichnende Ende einer ungelenken Präsidentensuche. Seitdem Hörmann angesichts der Vorwürfe gegen seinen Führungsstil im Spätsommer seinen Rückzug ankündigte und sich die Gräben im Sport so nachdrücklich wie nie offenbarten, wurde so getan, als soll die Kür eines Nachfolgers etwas Einigendes und Demokratisches sein. Tatsächlich entwickelte sich ein schräges Prozedere.

Denn erst war eine Findungskommission um den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff im Einsatz, über deren Empfehlungen sich mancher ärgerte; unter anderem, weil sie den einzigen Interessenten aus dem Kreis der Landessportbünde, den Nordrhein-Westfalen Stefan Klett, nicht als offiziellen Kandidaten nominierte. Dafür war unter den drei zugelassenen Bewerbern der CSU-Politiker Stephan Mayer, obwohl der aktuell noch als parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium auf der anderen sportpolitischen Seite steht - nur ein paar Tage später zog er wieder zurück. Die Kandidatur von Bokel wiederum verblüffte, weil ihr Fechtverband noch wenige Wochen zuvor Weikert als Bewerber unterstützt hatte. Warum sie dennoch antrat, erläuterte sie nicht.

Doch zwischen den beiden verbliebenen Kandidaten fand dann gar kein richtiger Wahlkampf statt. Einmal präsentierten sie sich den Spitzenvertretern der Mitgliedsorganisationen, und das auch nur hinter verschlossenen Türen. Aber keiner stellte ein richtiges Programm vor, es gab keine öffentliche Auseinandersetzung, geschweige denn eine Möglichkeit für die Basis, die beiden potenziellen Präsidenten einmal zu befragen; dabei vertritt der DOSB doch 27 Millionen Mitgliedschaften, wie er immer stolz erklärt.

Weikert schaffte es zwar durchaus glaubwürdig, sich als Integrationsfigur zu positionieren, der mit vielen Gesprächen die Verstimmungen angehen will; aber ein großes Ideen-Feuerwerk kam von ihm nicht. Bokel zog sich ihrerseits über Wochen komplett zurück und meldete sich erst wenige Tage vor Weimar erstmals zu Wort. Da erklärte sie dann auch ihr langes Schweigen. "Ich bin eine Demokratin und finde, man sollte eine Wahl haben können", sagte sie der dpa: In der gegenwärtigen Lage "wäre es schwierig, wenn es einen Kampf zwischen Thomas Weikert und mir geben würde. Deshalb tue ich mich schwer mit Presse- und Lobbyarbeit."

Aber die Irritationen betreffen nicht nur das Präsidentenamt, sondern auch die anderen Posten fürs Präsidium. Rund ein Dutzend Funktionäre hatte sich dazu in Stellung gebracht, auch wenn es zu den Kuriositäten des ganzen Verfahrens zählte, dass erst am Donnerstagabend eine offizielle Liste stand - mit neun Kandidaten für fünf Plätze.

Athletenvertreter Koch erhebt neue Vorwürfe in die Richtung des alten Präsidiums

Dabei stachen insbesondere zwei Personalien hervor. Das eine war die Frage, ob der CSU-Mann Mayer wenn schon nicht Präsident, dann doch Präsidiumsmitglied werden kann; denn dafür braucht er als ausscheidendes Kabinettsmitglied erst die Erlaubnis eines Gremiums der Bundesregierung. Auf der offiziellen Liste steht er nun nicht. Das andere ist ein Konflikt von zwei mächtigen Akteuren aus dem Kreis der Landessportbünde: dem Nordrhein-Westfalen Klett und Jörg Ammon aus Bayern, der zugleich Sprecher der Landessportbünde ist, welche im neuen Präsidium mit zwei Plätzen rechnen. Neben der früheren Bahnrad-Olympiasiegerin Miriam Welte (Rheinland-Pfalz) wollten Klett und Ammon ins Präsidium. Doch pikanterweise war Ammon noch vor wenigen Wochen Mitglied der Findungskommission gewesen, die Klett für untauglich erklärte. Erst zu Wochenbeginn steckte Ammon zurück, nachdem der Spiegel über angeblich zweifelhafte Vorgänge bei der Vergabe von Millionenaufträgen in seinem bayerischen Verband berichtete.

Zudem schwelt über allem der Auslöser der ganzen Aufregung: die sogenannte "Briefaffäre" und ihre Verästelungen. Die führten nicht nur zur Rückzugsankündigung von Präsident Hörmann, sondern auch zu der von Vorstandschefin Veronika Rücker, und ist noch lange nicht ausgestanden. Immer neue Vorwürfe tauchen in diesem Zusammenhang auf. So geht es nicht mehr nur darum, dass die Verbandsspitze das frühere Vorstandsmitglied Karin Fehres unter Druck setzte, weil sie angeblich die Verfasserin einer anonymen, DOSB-kritischen Mail aus dem Mai ("Kultur der Angst") gewesen sei. Der Athletenvertreter Jonathan Koch erklärte, er habe sich "entmutigt" und "ein wenig eingeschüchtert" gefühlt rund um seine abweichende Position, die er damals im Präsidium einnahm - und im November sei er sogar zeitweise aus dem Präsidium ausgeschlossen gewesen. Die ganzen Vorgänge des vergangenen halben Jahres soll nun ein externer Rechtsanwalt klären.

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