"Vollständige Aufklärung". Diese Formulierung begleitet seit dem vergangenen Wochenende die Briefaffäre rund um den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Da war der Moment eingetreten, in dem selbst treue Unterstützer vom ewig umstrittenen Präsidenten Alfons Hörmann, 61, und seiner Vorstandsvorsitzenden Veronika Rücker, 51, abrückten - und die Sprecher der Verbändegruppen eine entsprechende Aufarbeitung ankündigten. Im organisierten Sport hat es freilich schon oft genug derartige Versprechungen gegeben, ohne dass am Ende etwas Wesentliches herauskam. Und auch beim DOSB bleibt abzuwarten, wie das Ganze nun abläuft.
Immerhin scheint der Druck auf die Handelnden zu wachsen. Am Donnerstag erklärten Basketball-Präsident Ingo Weiss als Sprecher der Spitzenverbände und der Bayer Jörg Ammon als Sprecher des Landessportbünde in Gesprächen mit der SZ, dass die Angelegenheit auch extern untersucht werden soll, beispielsweise durch einen Rechtsanwalt. Das Duo vertritt derzeit die wichtigsten Mitgliedsorganisationen des DOSB. Bei einer Pressekonferenz am Sonntag hatten sie sich bei diesem Thema noch ausweichend gegeben.
Aber auch eine externe Untersuchung beinhaltet viele Fragezeichen - und der Ablauf der nächsten Wochen mitsamt der Neuwahl des Präsidiums am 4. Dezember in Weimar birgt die Gefahr, dass so manches verschleppt wird. Zumal es bei dem Thema nicht nur um Rücker und Hörmann geht, die ohnehin aus ihren Ämtern scheiden, sondern auch um Funktionäre, die im Sport weiter eine Rolle spielen wollen.
Was ist dran an dem Vorwurf, dass ein von Hörmann und Rücker freigegebenes Schreiben einem Beschluss des Vorstandes zuwiderlaufe?
Eine Kernfrage ist, wie umfangreich die Aufklärungsarbeit angelegt sein soll. Vor einer Woche war bekanntgeworden, dass die DOSB-Spitze bereits im Oktober das frühere Vorstandsmitglied Karin Fehres bezichtigt hatte, die Verfasserin einer anonymen Mail aus dem Mai gewesen zu sein. Die Mail schilderte eine "Kultur der Angst" im DOSB. In einem anwaltlichen Schreiben, das Hörmann und Rücker freigaben, wurde Fehres mit juristischen Konsequenzen gedroht, sollte sie die Autorenschaft nicht einräumen; ein Sprachgutachten habe gezeigt, dass Fehres die Mail verfasst habe. Fehres wies dies als haltlos zurück. Zugleich erklärten am Wochenende die übrigen Vorstandsmitglieder - Thomas Arnold, Christina Gassner, Dirk Schimmelpfennig -, dass der Inhalt des anwaltlichen Schreibens an Fehres "einem gemeinsamen Beschluss" des Vorstandes zuwiderlaufe.
Von daher gilt es zu klären, wer für die Ausgaben und das Tun des DOSB haftet. Auf Nachfrage präzisieren Arnold & Co. allerdings nicht, um welchen wann gefassten Vorstandsbeschluss es sich handeln soll. Hörmann und Rücker wiederum beantworten eine Anfrage zum Vorwurf der übrigen Vorständler nicht konkret, sondern erklären, dass sie einer Stellungnahme vom Freitag nichts hinzuzufügen hätten.
Der Fall Fehres ist längst nicht der einzige schräge Vorgang beim DOSB in der jüngeren Vergangenheit. So ging Hörmann in seinem Beharrungskampf ums Präsidentenamt auch juristisch gegen Triathlon-Präsident Martin Engelhardt vor, seinen Herausforderer von 2018. Manch einer im Sport spricht sich in diesem Licht für umfassendere Aufklärungsarbeiten aus.
Bis zur Mitgliederversammlung in Weimar wird kaum ein Gutachten vorliegen
Laut Ammon und Weiss soll es nun zunächst interne Gespräche geben. Man habe Vorstand und Präsidium auch aufgefordert, alle wesentlichen Dokumente und Informationen zu überreichen. Danach soll ein Externer draufschauen. Bleibt die Frage, wer die richtige Instanz für diese Aufgabe wäre - und wer diese Untersuchung überhaupt in Auftrag geben könnte.
An die hauseigene Ethikkommission kann sich jeder aus dem Sport wenden, einen Rechtsanwalt oder eine andere externe Kraft beauftragen, hingegen nicht. Eigentlich müsste das vom DOSB ausgehen. Da könnten die Präsidiumsmitglieder, die wie Gudrun Doll-Tepper (Bildung) und Petra Tzschoppe (Gleichberechtigung) weiter im Sport tätig sein wollen, oder die verbliebenen Vorstände zeigen, wie ernst ihnen dieses Thema ist. Aber wahrscheinlich ist das eine Sache, die das am 4. Dezember neu zu wählende Präsidium entscheidet. Tischtennis-Funktionär Thomas Weikert, der als Favorit auf Hörmanns Nachfolge gilt, teilt zwar mit, dass man aufklären müsse, für welche Leistungen welches Geld bezahlt worden ist. Für ihn muss dies allerdings nicht zwingend extern erfolgen. Er will erst einmal abwarten, was die internen Gespräche ergeben. Seine Konkurrentin Claudia Bokel, Chefin des Deutschen Fechterbundes, äußert sich auf Anfrage überhaupt nicht.
Womöglich wird auch die Ethikkommission um den früheren Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) aktiv. Diese war schon einmal in der Sache tätig, als sie im Sommer die Vorwürfe der anonymen Mail inhaltlich prüfte und schließlich Neuwahlen empfahl. Doch auch in den Fehres-Vorgang war sie offenkundig involviert. Zumindest verwiesen Hörmann und Rücker in einer Erklärung auf eine Ende Oktober erfolgte Empfehlung der Ethiker, keine weiteren rechtlichen Schritte zu unternehmen. De Maizière will dazu nichts sagen, weil noch eine Eingabe an sein Gremium erfolgen könne. Ob es sich für eine generelle Aufarbeitung der Vorwürfe zuständig erklären würde? "Hypothetische Fragen stellen sich nicht", richtet er aus.
In jedem Fall ist es ob der zeitlichen Abläufe kaum denkbar, dass bis zur Mitgliederversammlung in Weimar ein umfassender Bericht vorliegt. Dabei sieht die Tagesordnung den Punkt vor, Präsidium und Vorstand zu entlasten. Ohne einen Bericht und eine Klärung der Vorgänge dürfte das kaum erfolgen.