Eigentlich müssten jetzt die Korken knallen im schweizerischen Aigle, wo der Radsport-Weltverband seinen Sitz hat. Gleich zwei aufsehenerregende Siege vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas hat die UCI binnen drei Tagen als Klagepartei eingefahren.
Reaktionen zum Ullrich-Urteil:"Ich lache mich kaputt"
Nach der Bekanntgabe der Verurteilung des früheren Tour-de-France-Siegers Jan Ullrich reagiert die Radsport-Szene erleichtert bis zurückhaltend. Der deutsche Sportbund hofft auf eine späte Einsicht des ungeständigen Radprofis - während sich der langjährige Ullrich-Kritiker Werner Franke bitter über die Richter amüsiert.
Am Montag wurde Alberto Contador zwei Jahre gesperrt, am Donnerstag ereilte Jan Ullrich dasselbe Schicksal. Zudem wurden den beiden Dopingsündern markante Triumphe aberkannt - bei Tour de France, Giro d'Italia, Tour de Suisse. Wenn man Pharma-Betrüger im eigenen Lager überführen und bestrafen kann, die als Tour-Helden jahrelang den Maßstab für alle anderen Profis gesetzt und zugleich ihr schändliches Treiben stets geleugnet haben - ist das kein Grund zum Feiern?
Nicht für die UCI. Die rutschte ja nur umständehalber in die Kläger-Rolle gegen ihre eigenen Aushängeschilder. Die zähen Entwicklungsprozesse hin zu diesen Dopingverfahren zeigen, dass der Weltverband auf seine bisher prominentesten Sünder lieber das Grundgesetz der Omertà angewandt hätte, des Schweigens und Verschweigens innerhalb der Radsportfamilie. Seit 2006 liegen die Akten des spanischen Blutdoping-Experten Eufemiano Fuentes auf dem Tisch, bei dem auch Ullrich zugange war, die UCI hätte stets reagieren können - und sei es, um Imageschäden vom Radsport abzuwenden.
Insofern hat die Botschaft, die von den jüngsten Schuldsprüchen ausgeht, eine systemerschütternde Relevanz für die UCI. Denn hier liegen Indizien-Verurteilungen vor. Contador wurden Spuren der Substanz Clenbuterol zum Verhängnis, deren Herkunft er nicht schlüssig darlegen konnte. Bei Ullrich sieht der Cas Verstrickungen in die Dopingpraktiken des Blutpanschers Fuentes als erwiesen an: In dessen Praxis wurden Beutel mit dem Blut des deutschen Radheros' sichergestellt, auch lagen Zahlungen an den Dopingdoktor vor.
Gewiss, die Logik des Betrugs ist in den beiden Fällen eindeutig. Nur spielte die in den meisten Dopingverfahren des Sports bisher keine besondere Rolle. Oft genug wurden Sünder mit kabarettreifen Argumenten freigepaukt.
Fingerzeig für Armstrong
Dass nun die indirekte Beweisführung salonfähig wird, liefert wichtige Fingerzeige. Vor allem für den ja noch immer offenen, und offenkundig größten Fall des Radsports: Wann kommt endlich die Akte Lance Armstrong auf den Tisch? Gerade die klaren Urteile gegen Contador und Ullrich offenbaren, wie unerträglich der Sonderstatus ist, den der siebenmalige Tour-Sieger noch immer genießt, der Größte im Bund der drei Tour-Helden der letzten 15 Jahre. Seit vielen Jahren ist der Verdacht gegen Armstrong mit Händen zu greifen. Jetzt stehen die Chancen besser denn je, dass auch diese letzte Tabuzone der Milliardenindustrie Spitzensport aufgebrochen wird.
Was bei Ullrich die Nähe zu Dopingarzt Fuentes ist - ist das bei Armstrong nicht dessen enge Verbindung mit dem italienischen Körper-Tuner Michele Ferrari? Und was ein Blutbeutel über Ullrichs Betrugsmentalität aussagt - wiegen das im Fall Armstrong nicht die klaren Zeugenaussagen von Ex-Teamgefährten wie Floyd Landis und Tyler Hamilton auf?
Armstrong, Ullrich, Contador. Wo über 15 Jahre hinweg eine Art rechtsfreier Raum im Sport gepflegt worden war, bleibt nur noch ein großer Schatten übrig. Höchste Zeit, dass auch der verschwindet.