Dominanz im Tennis:Und jährlich grüßt der Feigenbaum

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Gehen zwei Bekannte in den Park: Novak Djokovic und der Australian-Open-Pokal am Tag nach dem Finale. (Foto: William West/AFP)
  • 56 der zurückliegenden 67 Grand-Slam-Titel gewannen Novak Djokovic, Roger Federer oder Rafael Nadal.
  • In Melbourne triumphierte Djokovic bereits zum achten Mal.
  • Dominic Thiem verlässt Melbourne mit einem schlichten Silberteller, dem Trostpreis, und der Frage, was ihm zu einem Champion fehlt.

Von Barbara Klimke, Melbourne

Am Montagnachmittag hat Novak Djokovic einem seiner Freunde in Melbourne einen Besuch abgestattet: einem brasilianischen Feigenbaum im Botanischen Garten. Nach jedem Finale in der Stadt lässt er sich mit dem riesigen Silberpokal in der Parkanlage am Fluss für das offizielle Foto im Turnieralbum ablichten; dabei sei es ihm immer wichtig, so sagte er einmal, auch mit seinem Lieblingsbaum "in Verbindung zu treten". So ist das bei Seriensiegern: Wenn jemand acht Mal die Australian Open gewinnt, den wichtigsten Tenniswettbewerb der südlichen Hemisphäre, dann wird jede spirituelle Marotte mit besonderer Bedeutung geadelt.

Dominic Thiem aus Wiener Neustadt, dem unterlegenen Finalisten, hätte es vermutlich gereicht, seinen Namen in den Sockel der Trophäe graviert zu sehen. Er hat nicht mal seine Finger daran legen dürfen nach der Fünfsatzniederlage, 4:6, 6:4, 6:2, 3:6, 4:6. Und so verließ er Melbourne mit einem schlichten Silberteller, dem Trostpreis für den Zweitplatzierten, und der Frage, was ihm zu einem Champion fehlt.

Nicht viel: In dieser Frage waren sich der 32-jährige Serbe und der 26-jährige Österreicher einig. Denn Djokovic sah sich in dem vierstündigen Schlagabtausch schon am Abgrund taumeln. Thiem sei ein fantastischer Tennisspieler, der ihn "mit der gewaltigen Kraft seiner Schläge, besonders mit der Vorhand" bedrängte, ihn mit dem Slice unter Druck setzte, seinen Rhythmus störte, an den Rande der Niederlage drängte: "Wahrscheinlich", sagte er, "haben uns nur ein Punkt und ein Schlag getrennt." Thiems Matchanalyse fiel ähnlich aus: Ein "paar Details" hätten den Ausschlag gegeben, seufzte er. Besonders im vierten Satz.

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Fast unbeirrbar schien der Jüngere da mit seinem druckvollen Grundlinienspiel das Duell zu dominieren, er erarbeitete sich einen Breakball beim Stand vom 1:1, als Djokovic beschloss, auf Serve-and-Volley umzuschwenken. Eine für den nunmehr 17-maligen Grand-Slam-Sieger ungewohnte Aktion, wie er später erklärte, aber sie rettete ihm den Punkt. Vor allem in dieser Phase, gab er später zu, hätten die Dinge auch eine andere Wendung nehmen können; eine, die nicht zum Wiedersehen mit seinem Feigenbaum geführt hätte.

Es ist die Summe jahrelanger Erfahrung in den brenzligen Situationen wichtiger Matches, die Spieler wie Djokovic und seine kongenialen Kollegen Rafael Nadal aus Spanien (19 Grand-Slam-Titel) und Roger Federer (20) aus der Schweiz instinktiv den richtigen Schlag aus dem Repertoire wählen lässt. Für Djokovic war es am Sonntag das 26. Endspiel bei den großen Zwei-Wochen-Turnieren in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York, bei denen es sieben erfolgreicher Matches nacheinander für einen Pokalgewinn bedarf. Im Vergleich dazu kommt Thiem bislang auf drei: zwei verlorene French-Open-Finals gegen Nadal, eines gegen Djokovic in Melbourne, jeweils gegen den Rekordgewinner der Veranstaltung.

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Und ohne Djokovic zu nahe treten zu wollen, hat er es nebenbei auch zu einem meisterhaften Gespür für die dramaturgisch wichtigen Momente solcher mehrstündigen improvisierten Tennisdramen gebracht: Indem er Mitte des Matches erst mit dem Schiedsrichter, dann mit sich selbst haderte, den Physiotherapeuten rief und den Platz verließ, hat er dem Duell noch ein paar andere Komponenten außer den rein spielerischen beigemischt. Wenngleich Thiem erklärte, dass ihn dies nicht aus dem Konzept gebracht hätte.

Doch dem Selbstbewusstsein, der Siegesgewissheit der großen Trophäensammler des Tennis, ist schwer beizukommen. Auch verlor Djokovic in dem Trubel und den Turbulenzen, wie er es nannte, vor 15 000 Zuschauern, kurzzeitig die Konzentration, "das passiert immer, das lässt sich gar nicht vermeiden", sagte er. Nur, was einen Champion auszeichne, sei "die Schnelligkeit, mit der man sich wieder fängt".

Es gibt also Gründe weit über Vorhand, Rückhand und Ballgefühl hinaus, dass sich Djokovic, Federer und Nadal nun 56 der letzten 67 Grand-Slam-Trophäen gesichert haben. Und Trost für Thiem lässt sich ebenfalls finden: Der Schotte Andy Murray hat seine ersten vier Grand-Slam-Finals verloren und darf sich heute zweimaliger Wimbledon-Gewinner, einmaliger US-Open-Sieger und zweimaliger Olympiasieger nennen.

Die schlechte Nachricht für Thiem lautet nur, dass Djokovic entschlossen ist, seine Titeljagd fortzusetzen. In Melbourne und anderswo.

© SZ vom 04.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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