Doping-Affäre vor 25 Jahren:Als Maradona seine größte Niederlage erlitt

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Sein letztes WM-Spiel: Maradona in der Partie gegen Nigeria (Foto: imago sportfotodienst)
  • Am 25. Juni 1994 - vor genau 25 Jahren - führt Diego Maradona die argentinische Nationalmannschaft zum zweiten Erfolg in der Vorrunde bei der WM in den USA.
  • Nach dem Spiel muss er zum Dopingtest - und der ist positiv.
  • Es folgt der wohl größte Absturz eines Fußballers.

Von Markus Schäflein

Das Trikot spannte am zu dicken Leib des Göttlichen. Drittklassige Kicker aus Israel machten sich einen Spaß daraus, ihn zu umdribbeln, das japanische Justizministerium verweigerte ihm wegen seiner Drogenkarriere die Einreise zum Turnier. War dieser Diego Armando Maradona als Nationalspieler noch tragbar?

Ganz Argentinien diskutierte über Maradona, als er nach mehr als drei Jahren Pause im September 1993 in die Nationalelf zurückkehrte - erst war er wegen Kokainkonsums gesperrt worden, dann hatte er eine Zwangspause wegen massiver psychischer Probleme eingelegt.

"Er macht Spaziergänge auf dem Feld und ruiniert die Disziplin der Mannschaft", schrieb La Nación. Sogar der Staatspräsident mischte sich ein: "Lasst ihn zu Hause", mahnte Carlos Menem, "er ist zu unbeweglich." Maradonas Psychoanalytiker Rubén Navedo sagte: "Damit er ein Idol bleibt, müsste er jetzt sterben."

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Nur Nationaltrainer Alfio Basile hielt zu seinem Star. Er hatte ihn nach einem 0:5 gegen Kolumbien zurückgeholt. "Wieder Fußball zu spielen, das ist wie das Gehen neu zu lernen", sagte Maradona. "Aber ich werde bei der WM in Topform sein. Es gibt viele Leute, die mich gerne tot sehen wollen, denen werde ich es zeigen."

Pässe aus dem Fußgelenk, wie nur er sie zu schlagen vermochte

Er musste wieder Fußball spielen, weil er nichts anderes konnte. Und wenn er Fußball spielte, musste er gewinnen, weil er nichts anderes ertrug. Denn der Ballartist war von ganz unten gekommen, aus der bitterarmen Wellblechsiedlung Fiorito in Buenos Aires. Nach der WM 1986 war ihm die Gesellschaft zu Füßen gelegen, hatte sich an Ereignissen wie seiner Kolossalhochzeit mit Claudia Villafañe ergötzt.

Maradona wollte das Rad zurückdrehen.

Die Geschichte im Land der unbegrenzten Möglichkeiten begann viel zu gut, um wahr zu sein. Der Wunderknabe, mittlerweile fast 34 Jahre alt, kehrte beifallumtost auf die Bühne zurück. Und er hatte unglaublich schnell abgenommen. Zwar gewann er kaum einen Zweikampf, erst recht kein Laufduell mehr, aber er erzielte beim 4:0 über Griechenland einen Treffer, schlug wieder Pässe aus dem Fußgelenk, wie nur er sie zu schlagen vermochte, und dankte mit einem feinen Diener, als ihm die 54 000 Zuschauer donnernden Applaus schenkten. Beim zweiten Sieg, am 25. Juni 1994, dem 2:1 gegen Nigeria, bereitete er die beiden Treffer von Caniggia mit Freistößen vor und ließ sich als Matchwinner feiern.

Alles nur Fassade. Als Maradona nach seinem Tor auf die Fernsehkameras zustürmte, zeigte seine dämonisch verzerrte Fratze schon ein Wetterleuchten des Wahnsinns, dem er zum Opfer gefallen war. Ein paar Tage später flossen Tränen. Den letzten Auftritt vollzog Maradona nicht auf dem Rasen, sondern in seinem Hotelzimmer im abgeriegelten siebten Stock des Sheraton-Hotels, nahe den lichtweißen Betonmegalithen von Dallas.

Und natürlich tat er auch dies vertragsgemäß: Dem Fernsehsender Canal 13 aus Buenos Aires, der ihn exklusiv für die WM eingekauft hatte, öffnete der Mann mit flehender Mimik sein Herz. "Die wissen nicht, was sie mir antun", sprach Maradona mit feuchten Augen live in Argentiniens Wohnzimmer, "es ist, als hätten sie mir meine Beine abgeschnitten."

Gewissermaßen war es so. Wenige Stunden zuvor hatte die Fifa bekannt gegeben, dass Maradonas B-Probe vom WM-Spiel gegen Nigeria für positiv befunden sei: Neben dem Stimulantium Ephedrin wurde auch Norephedrin im Urin gefunden. Ein Mittel, das - wie Michel D'Hooghe, Chef der Medizinischen Kommission der Fifa, erklärte - der Gewichtsabnahme dient. Insgesamt fünf Aufputschstoffe wurden ermittelt, die in dieser Kombination in keinem Medikament vorkommen. Daraus schloss D'Hooghe: "Es muss ein Cocktail gewesen sein."

"Mit der Riesendosis könnte man sechs Monate Schnupfen behandeln"

Die versehentliche Einnahme eines Grippemittels, wie von Maradona behauptet, schied aus. Die Tageszeitung El Diario berichtete nach Rücksprache mit dem Labor in Los Angeles: "Mit der Riesendosis könnte man sechs Monate Schnupfen behandeln."

Maradona sagte, er habe von allem nichts gewusst. War er tatsächlich im Unklaren gelassen worden über die Wirkstoffe, die er von seinem Leibarzt Daniel Cerrini erhalten hatte, um binnen sechs Wochen gut 14 Kilogramm abzuspecken? Mannschaftsarzt Ernesto Ugalde ging empört auf Distanz. Er habe mit der Behandlung des Superstars nichts zu tun. Maradona habe ihm erst nach dem Dopingtest von Arzneimitteln berichtet, die er geschluckt habe. Doch protestiert hatte der Arzt auch nicht zur rechten Zeit, obwohl Maradona schmarotzenden Schamanen vertraute wie Elvis Presley in der Spätphase - oder wie Kanadas Skandalsprinter Ben Johnson.

Maradona klang wie ein Johnson-Double: "Ich brauche keine Stimulantien. Menschen und Maschinen können viel behaupten. Ich danke nur Gott für meine schnellen Beine. Man hat mein Glück zerstört - und das Glück der Menschen, die mich lieben." Umfragen in Buenos Aires zufolge glaubten fast zwei Drittel der Argentinier, dass Maradona Opfer einer Verschwörung war. Verschwörungstheorien hatte er seit Jahren verbreitet. In Rom 1990, nach der Niederlage im Endspiel gegen Deutschland, hatte er die Schuld bei der Mafia gesucht. 1991, als die Polizei von Buenos Aires sein Apartment gestürmt und ihn mit zwei Freunden und einem Päckchen Kokain verhaftet hatte, wähnte er sich als Opfer einer Rauschgift-Falle, gestellt von Polizisten und einer Prostituierten. Unpassend nur, dass Maradona zu jener Zeit gerade eine 15-monatige Sperre verbüßte, weil ihm in Neapel Kokainkonsum nachgewiesen worden war.

Und nun in Boston - die nächste Falle, ausgehoben von der Fifa? Die war unverdächtig, sie hatte alles versucht, den gefallenen Engel und Kassenmagneten zu rehabilitieren.

Vergeblich. Als ihn die Fifa im Jahr 2000 zum "Fußballer des Jahrhunderts" kürte, war der Göttliche wieder dick und krank. 2004 wog er 128 Kilo. Im Frühjahr beteten Tausende vor der Klinik Suizo Argentina. Lungenentzündung, Herzschwäche, Atemnot, Diabetes. Maradona lag im Sterben. Aber er stand wieder auf. Ließ sich den Magen verkleinern, verlor fast 60 Kilo, sah fast aus wie früher.

Es war sein größter Sieg. Seine schlimmste Niederlage konnte er auch danach nicht vergessen. Er glaubte noch immer: "Wäre ich nicht erwischt worden, wäre Argentinien 1994 Weltmeister geworden."

Dieser Text erschien bereits 2006 in dem Buch "Süddeutsche Zeitung WM-Bibliothek 1994".

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