Diego Contento in Aschheim:Der Unterschiedsbruder

Lesezeit: 4 min

Vier Brüder, eine Mission: Domenico, Alessandro, Diego und Vincenzo Contento (v.li.) wollen mit dem FC Aschheim in die Landesliga. (Foto: Mark Siaulys Pfeiffer)

Nach seiner Profikarriere hat sich der Münchner Champions-League-Sieger Diego Contento dem Bezirksligisten FC Aschheim angeschlossen - und komplettiert dort ein Familienquartett, das zusammen aufsteigen könnte. Ein Besuch.

Von Stefan Galler

Ein kleiner Junge im Musiala-Trikot möchte es ganz genau wissen: "Welcher ist denn der Contento?", fragt er seinen Freund, der die Antwort jedoch schuldig bleibt. Ganz so eindeutig lässt sich die Frage ja auch nicht beantworten, schließlich spielen am Freitag beim Auftaktspiel des FC Aschheim gegen SK Srbija München gleich drei Contentos, dazu steht der vierte als Trainer am Spielfeldrand.

Diego Contento, 33, der ehemalige Außenverteidiger des FC Bayern München, hat seine Profikarriere beendet, Fußball spielt er aber weiterhin - nun eben in der siebthöchsten Spielklasse, der Bezirksliga. Er tut das im Kreise seiner drei Brüder. Für den Amateurfußball im Großraum München ist es eine große Sache, dass ein Champions-League-Sieger nun in der Bezirksliga antritt. Die einschlägigen Internetportale haben die Nachricht im großen Stil verbreitet. Und doch hält sich an diesem Freitag die Resonanz in Grenzen: Nur etwa 120 Zuschauer sind in den schmucken Sportpark gekommen, den früher schon mal Jugend- oder Frauenmannschaften des FC Bayern als Ausweichspielstätte genutzt haben.

Diego Contento bei Girondins Bordeaux
:Dem FC Bayern gehen die Münchner aus

Diego Contento erreichte drei Champions-League-Finals, danach verschwand der gebürtige Münchner Richtung Frankreich. Seine Geschichte verdeutlicht das Nachwuchs-Dilemma bei Bayern.

Von Jonas Beckenkamp

Es gibt keine Contento-Sprechchöre, der ehemalige Profi wird auch nicht von einer Horde Autogrammjäger verfolgt, lediglich ein Bub bittet ihn nach dem Spiel um ein gemeinsames Selfie. Dabei beweist Diego, dass er in dieser Liga natürlich ein Unterschiedsspieler ist. Er ist der Initiator der ersten beiden Aschheimer Tore: Beim 1:0 kurz vor der Pause schlägt er einen weiten Freistoß hoch aufs Tor der Münchner Serben, der Torhüter klatscht den Ball weg, die Aschheimer setzen zweimal nach, der erste Schuss landet am Querbalken, der zweite ist drin. Eine Viertelstunde vor Schluss holt Contento extrem ausgebufft einen Eckball heraus, wie beim 1:0 profitiert Falk Schubert, der infolge der Standardsituation sein zweites Tor erzielt.

Diego Contento ist der Spieler des Spiels, vor allem in der zweiten Halbzeit sieht man das: Sobald er das Tempo anzieht, können die Gegner nicht folgen. Aber er muss auch einstecken, einmal fährt ein Verteidiger fies das Bein aus. Doch Diego Armando Valentin Contento macht kein großes Gezeter. Er trägt die Rückennummer 90, 1990 ist er geboren, 1990 feierte der Lieblingsklub der Familie, die SSC Neapel, den letzten italienischen Meistertitel vor jenem in diesem Sommer. Damals mit dem großen Maradona. Diego Armando - natürlich kein Zufall.

Gleich nach dem 2:0 wird er ausgewechselt - und dann sieht man, wie sehr er sich mit dem Projekt identifiziert: Er coacht gemeinsam mit seinem älteren Bruder Vincenzo und läuft als erster Gratulant zum Schützen des abschließenden 3:0, Alessandro de Marco, quer übers Feld. Nach dem Schlusspfiff ist er mittendrin im Spielerkreis, während Vincenzo seine Mannschaft lobt: "Wir haben Charakter gezeigt und Geduld gehabt", ruft er begeistert aus. Die Stimmung ist ausgelassen, auch die Vorsitzenden Matthias Trägner und Thomas Preschel feiern mit und unterstreichen, dass Diegos Mitwirken nichts daran ändern werde, dass der FC Aschheim bodenständig und familiär bleiben soll.

Contentos älterer Bruder Enzo ist der Spielertrainer, Alessandro und Domenico spielen auf den Außenpositionen

Aber natürlich gehen die Klubchefs nun euphorisch in die Saison, gleiches gilt für die Brüder: "Das ist wirklich eine coole Geschichte, ich freue mich auf das Abenteuer", sagt Vincenzo, 40, der Spielertrainer. Dass er nun seine drei jüngeren Brüder sportlich anleiten soll, kommentiert "Enzo", wie er von allen genannt wird, süffisant: "Wenn ich sie von klein auf nicht habe erziehen können, wie soll mir das jetzt gelingen?", sagt er - und lacht schallend.

Er selbst wolle nur noch aktiv eingreifen, wenn personell Not am Mann ist, sagt er. "Der Spielerpass liegt noch beim Verein, aber wir sind auch in der Breite richtig gut aufgestellt." Mittelfristiges Ziel sei der Aufstieg in die Landesliga. "Man hat immer Ziele, wir wollen den Klub neu aufbauen, von der Jugend an." Aber es gebe überhaupt keinen Zeitdruck.

Eine zentrale Rolle soll dabei sein Bruder Diego spielen - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, denn während seine beiden anderen Brüder Alessandro, 23, und Domenico, 38, die Außenpositionen in der Viererkette besetzen, ist der langjährige Profi eben nicht für seine frühere Stammposition beim FC Bayern als linker Verteidiger vorgesehen. Beim Ligaauftakt beginnt er als Sechser und spielt in der zweiten Halbzeit sogar noch eine Position weiter vorne. "In der Jugend habe ich bereits im zentralen Mittelfeld und als Außenstürmer gespielt. Ich will einfach wieder Tore schießen", sagt der 33-Jährige.

In Bordeaux trainierte Diego unter Willy Sagnol, in Düsseldorf "stimmte es nicht"

Das ist ihm in seiner Karriere eher selten geglückt. Nur fünf Tore waren es in seiner Profilaufbahn, davon zwei für die zweite Mannschaft des FC Bayern in der dritten Liga und drei für den französischen Traditionsverein Girondins Bordeaux, bei dem er nach seinem Weggang aus München 2014 insgesamt vier Jahre unter Vertrag stand. "Das waren vier tolle Jahre nach den goldenen Zeiten beim FC Bayern", sagt er rückblickend. "Die Stadt ist überragend, ich habe viel gespielt und hatte in Willy Sagnol anfangs einen Trainer, den ich schon aus München kannte." Dass der sechsfache französische Meister nun schon in seine zweite Zweitligasaison nacheinander startet, bekümmert Contento: "Alleine schon wegen der tollen Fans und dem Stadion muss Bordeaux wieder hoch."

Es folgten zwei Jahre bei Fortuna Düsseldorf, die schon schlecht begannen: Zu Saisonbeginn im Sommer 2018 zog sich Diego Contento einen Kreuzbandriss zu. Als er zur darauffolgenden Saison wieder fit war, scheiterte er beim Versuch, sich unter den Trainern Friedhelm Funkel und später Uwe Rösler einen Stammplatz zu erkämpfen, und verbrachte das ganze Jahr auf der Bank und auf der Tribüne. "Ich hätte der Fortuna damals sehr gerne im Bundesliga-Abstiegskampf geholfen, aber manchmal stimmt es eben nicht."

Legenden unter sich: Diego Contento mit Bastian Schweinsteiger und Claudio Pizarro (von rechts) beim Sieg des FC Bayern in der Neuauflage des Champions-League-Finales von 2013 gegen Borussia Dortmund vor wenigen Tagen. (Foto: Mladen Lackovic/Imago)

Nach der Profikarriere hilft er seiner Frau Jessica bei deren Online-Nachhilfe-Portal, das mittlerweile mit etwa 70 Prozent der Profiklubs zusammenarbeitet: Tutoren unterstützen dort Nachwuchskicker, die mit dem Lernstoff Probleme haben. Diego Contento macht nun seinen ersten Trainerschein, besonderes Interesse hat er am Scouting. Er kann sich vorstellen, sich hier künftig stärker zu engagieren. Der 33-Jährige repräsentiert zudem den FC Bayern bei Veranstaltungen mit Sponsoren, er spielt in der Legendenmannschaft des Vereins, war zuletzt auch beim Jubiläumsspiel der 2013-er Mannschaft gegen Dortmund mit dabei, das die Münchner um Schweinsteiger, Pizarro, Maakay oder Dante ebenso wie das Champions-League-Finale von 2013 mit 2:1 gewannen.

Wenn er an das Spiel vor zehn Jahren in Wembley zurückdenkt, sprudelt es nur so aus ihm heraus, auch wenn er gar nicht zum Einsatz kam - im Gegensatz zum verlorenen "Finale dahoam" ein Jahr zuvor gegen Chelsea, bei dem er 120 Minuten lang auf dem Platz stand. "Die Niederlage damals war heftig, aber sie hat uns stärker gemacht", bilanziert Contento. Nach dem Triple-Sieg sei er mit der Mannschaft "in allen Münchner Clubs" gewesen. "Eintritt mussten wir nirgends zahlen", sagt er lachend. Dass das auch der Fall sein wird, wenn er in die Landesliga aufsteigen sollte, ist unwahrscheinlich. Ob sich ein Aufstieg mit seinen Brüdern und dem FC Aschheim ähnlich feiern ließe, wird auch er erst ausprobieren müssen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSadio Mané und der FC Bayern
:Der traurige Abschied des Königstransfers

Gegen Kawasaki steht Sadio Mané nicht mehr im Kader der Münchner, mit Kopfhörern und Käppi sitzt er neben der Ersatzbank. Bald wird er Richtung Saudi-Arabien ziehen - und als ein Spieler gehen, den die Bayern aus den falschen Gründen holten.

Von Philipp Schneider

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: