Die Kölner Saison im Rückblick:Maat et joot!

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Ständiger Abstiegskampf, zahlreiche Rücktritte, Alkohol-Eskapaden auf Bahngleisen und immer irgendwie Karneval - die abstruse, abwegige, aberwitzige Saison des 1. FC Köln gibt Anlass zum Nachdenken: Besteht dieser Klub, der an diesem Wochenende um seine letzte Chance in der Bundesliga kämpft, wirklich nur aus einem Haufen jecker Spaßvögel?

Philipp Selldorf, Köln

Markus Ritterbach, der Präsident des Festkomitees des Kölner Karnevals und neuerdings auch der Vizepräsident des 1. FC Köln, wollte in seiner Einstandsrede auf der Mitgliederversammlung vor zwei Wochen erläutern, dass er als Karnevalist ein seriöser Mann und der Karneval eine ernste Sache sei. Aber so weit kam er nicht, die Zuhörer unterbrachen seine Ansprache mit lautem Gelächter, nachdem er erklärt hatte: "Da gibt es einige, die sagen, der Ritterbach will den FC zum Karnevalsverein machen ..." Zum Karnevalsverein machen? Das sind wir doch schon längst!

Zum Abschied noch ein paar olle Kamellen: Lukas Podolski wird Köln verlassen - mit ihm geht der rheinländischste aller Kölner. (Foto: imago sportfotodienst)

Ähnlich lehrreich waren die Reaktionen, als der neue Präsident Werner Spinner seinen Vortrag hielt und ein wenig Trost zu spenden versuchte: "Nicht alles in diesem Klub ist mies", stellte er fest. Stimmt. Vieles, was in dieser Saison in diesem Verein geschehen ist, war außer mies auch abstrus, abwegig und aberwitzig, vor allem aber: unfreiwillig komisch. Ach ja: Am Wochenende kämpft der FC noch darum, das Relegations-Spiel zu erreichen. Eine kleine Chronik in Meilensteinen und Jahreszeiten.

Podolskis Entmachtung

Cheftrainer Stale Solbakken (inzwischen natürlich entlassen/Anm. d. Red.) hat außer einem Hotelzimmer noch keinen festen Wohnsitz in Köln, da muss er schon die erste Affäre bewältigen. Es kommt der berechtigte Verdacht auf, dass er Lukas Podolski als Kapitän absetzen will. Riesen-Empörung, als er den Plan in die Tat umsetzt. Solbakken hat sich den Schritt aus sachlichen Gründen zwar gut überlegt, aber es war natürlich ein naiver Irrtum zu glauben, dass irgendjemand sich für diese sachlichen Gründe interessieren könnte. Hätte er vorgeschlagen, an die Stelle dieser überdimensionierten gotischen Kathedrale ein Einkaufszentrum zu setzen, wäre der Aufschrei nicht lauter gewesen.

In den Zeitungen hieß es, Solbakken habe Podolski "entmachtet", "degradiert", "gedemütigt", Experten riefen "höchste Explosionsgefahr" aus. Instanzen schalteten sich ein. Christoph Daum forderte: "Präsident Wolfgang Overath muss reagieren", Udo Lattek verlangte klaren Kurs ("wer was dagegen hat, der kriegt aufs Maul"), und Toni Schumacher ätzte: "Ich sehe keinen anderen Kapitän als Lukas, es gibt keinen Besseren. Ich verstehe diese ganze Diskussion nicht."

Weil Solbakken aber sympathisch ist und bereits jetzt beliebt beim Publikum, muss der unbeliebte Sportdirektor Volker Finke als intriganter Bösewicht im Hintergrund herhalten. Finke wehrt sich erfolglos, und der Klub ist überwältigt von der Entwicklung. Während Solbakken die Kapitänsentscheidung immerhin rhetorisch geschickt verkauft ("Lukas bleibt der Kapitän der Stadt und der Fans"), betreibt der FC ungewollt Satire: Poldi erhalte ab sofort "Matchwinner-Funktion", hieß es in der Pressemitteilung. Die Bild-Zeitung darf bereits am 24. Juli das erste Mal die Standard-Schlagzeile setzen: "Chaos in Köln!"

Probleme, aber keine Lösungen

Auch sonst ist Solbakkens erster Sommer ein Vorgeschmack auf künftige Jahreszeiten. Morten Olsen, der dänische Nationaltrainer und ehemalige Kölner Spieler, hatte ihn gewarnt: "In Köln glühen die Trainerstühle." Nach dem Pokalsieg beim SC Wiedenbrück mit Toren von Podolski und Novakovic (Express: "Das Colonia-Duett macht wieder die Musik") herrscht zwar unvermittelt Hochstimmung, nach den Niederlagen gegen Wolfsburg und in Schalke aber auch gleich das Gegenteil. Die Spieler verstehen das Konzept des Trainers nicht, heißt es. Und Solbakkens Landsmann Jan-Age Fjörtoft wundert sich: "Ich bin überrascht, dass Stale noch im Amt ist."

Auch Christoph Daum meldet sich zu Wort: "So kommt Köln nicht zur Ruhe. Intern wird mehr Energie verbraucht als gegen die Gegner." Volker Finke hält eine Job-Garantie für nötig: "Ich habe Stale für mindestens zwei Jahre geholt, nicht für zwei, drei Spiele." Wahrscheinlich wieder eine Intrige. Nach dem 1:2 gegen Nürnberg fasst der Kölner Stadt-Anzeiger die Lage deprimierend zusammen: "FC-Krise: Viele Probleme, keine Lösungen". Zwei gewonnene Spiele später sind aber alle Probleme gelöst, der Stadt-Anzeiger lobt Solbakkens typische Spielweise: "Ballgewinn, Ballbesitz, Torchance, das alles in wenigen Sekunden".

Schöne Tage im Spätsommer, aber ein Schatten fällt darauf, den keiner bemerkt: Der Termin für die nächste Jahreshauptversammlung steht fest.

Unterlegen wie auf der Playstation

Der Herbst beginnt mit einem Lob von höchster Stelle. Nicht vom Kardinal Meisner aus dem erzbischöflichen Palais, sondern von Jogi Löw aus Freiburg. Der Bundestrainer sagt: "Der FC spielt mittlerweile Struktur-Fußball, lebt mehr vom Kombinationsspiel als vom Kampf." Kaum ausgesprochen, tritt der FC zum Punktspiel in Dortmund an.

Nach dem Kölner 0:5 sagt Borussia-Verteidiger Neven Subotic, ein so einseitiges Spiel habe er zuletzt "auf der Playstation" erlebt. Auch die Expertise des Fachblattes kicker nach 100 Tagen Saison klingt aus heutiger Sicht sehr interessant: Besser eingekauft als die Kölner hatten laut dieser Analyse nur Stuttgart, Bayern und - Hertha BSC.

Overaths Abschied

Die Jahreshauptversammlung fällt in eine Länderspielwoche. Mühelos schaffen es die Kölner, die Aufmerksamkeit des ganzen Landes auf sich zu lenken. Vor dem Treffen hatte der Verein eine Magna Charta entworfen, die dem FC als Verfassung dienen soll. Es sind einfache Prinzipien, die jeder verstehen kann, selbst wenn er kein Kölsch spricht. Zum Beispiel: "FC jeff Jas" (Ziele), "Rut un Wiess, du biss Jesetz" (Grundgesetz), "levve und levve losse" (soziale Werte).

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Bevor die Tagesordnung eröffnet wird, gibt es einen Film und an dessen Ende eine Botschaft: "Wir müssen alle an einem Strang ziehen, lasst bitte nicht los." Zwanzig Minuten später ergreift der Präsident Wolfgang Overath das Wort und lüftet ein Geheimnis - er tritt zurück. Weil ihn die Opposition geärgert hatte: "Ich musste mich plötzlich mit juristischen Dingen beschäftigen, die nichts bringen, Geld kosten und keinen Spaß machen." Zweifellos einer der närrischen Höhepunkte der Saison. Maat et joot!, ruft Overath in den Saal.

Typisch Kölsch!

Die neue Magna Charta und die Vision des Geschäftsführers Claus Horstmann ("wir leben Fußball in der für Köln typischen Art") finden prompt weitere Verwirklichung: Anhänger des Overath-Flügels prügeln sich mit Anhängern der Opposition. Beste Nachricht des Tages: Ein Mitglied aus Nippes wird gewählt, nachdem er bei seiner auf drei Minuten beschränkten Selbstdarstellung erklärt hatte: "Hier darf ich länger reden als bei meiner Frau zu Hause."

Weniger Beifall bekommt der zurückgetretene Vizepräsident Jürgen Glowacz, als er bekennt: "Ich bin happy, an der Installierung von Volker Finke mitgearbeitet zu haben."

Finke vs Solbakken

Das Verhältnis von Finke und Solbakken ist nach einem halben Jahr in etwa so gelungen wie die Beziehung zwischen Nord- und Südkorea. Sie streiten zwar nicht ständig miteinander, das liegt aber bloß daran, dass sie nicht miteinander reden. Beim 1. FC Köln ist es jetzt wirklich Winter geworden. Geschäftsführer Horstmann und ein paar andere Funktionäre versuchen zu vermitteln, aber eine psychologische Paarberatung für feindlich gesonnene sportliche Führungskräfte gibt es leider nicht.

Es passieren aber auch schöne Dinge: Mittelfeldspieler Kevin Pezzoni macht Ferien in New York: "Es ist unglaublich schön hier, gerade um die Weihnachtszeit, es war schon immer ein Traum, zu dieser Zeit mal in New York zu sein."

Im April, nachdem Geschäftsführer Horstmann beide vor die Tür gesetzt hat, zuerst den Sportdirektor Finke, dann den Trainer Solbakken, schildert Claus Horstmann die Not der Führungsetage: "Wir sind mit zwei hoch kompetenten Männern in die Saison gegangen. Aber sie haben nicht miteinander gearbeitet."

Alle wollen Poldi

Außer den unversöhnlich nebeneinander lebenden Chefs, der mühseligen Suche nach einem neuen Präsidium, dem krassen sportlichen Abwärtstrend, den ständig wiederholten kriminellen Umtrieben wilder Fans und der Entdeckung neuer Schuldenlöcher läuft es im neuen Jahr eigentlich ziemlich rund beim 1. FC Köln. Lukas Podolski steigert seine Bestmarke als Torschütze und auf dem Transfermarkt sammeln sich mehr Bewerber als es Vereine in Europa gibt.

Galatasaray Istanbul, ZSKA Moskau, Inter und AC Mailand, Juventus Turin, Lazio Rom, Tottenham Hotspur, FC Chelsea. "Mit dem Thema werden wir noch Spaß kriegen", sagt Volker Finke, als er noch im Amt ist. Bloß den FC Arsenal macht das alles nicht nervös. Anfang März kommt raus, dass er sich längst mit Podolski einig ist. Die Kölner reagieren darauf ohne Schrecken.

Breckos Gleis-Exkurs

Nicht zuletzt die Ereignisse, die der Karneval brachte, hat sie gelehrt, dass sie Podolski diesen Klub nicht mehr zumuten dürfen. Der slowenische Verteidiger Miso Brecko wird nachts in der Altstadt von der Polizei ergriffen, nachdem er mit seinem Wagen eine Straßenbahn verfolgt hat - in deren Gleisbett! Auf die Ausrede, er habe im Dienst getrunken, weil er von der traditionellen FC-Sitzung kam, verzichtet er klugerweise.

Mittelfeldspieler Pezzoni, inzwischen zurück aus New York, bekommt auf einer Kostümparty einen Faustschlag ins Gesicht. Angeblich ganz unverschuldet. Ein paar Wochen später wird Flügelstürmer Slawomir Peszko von der Polizei in die Ausnüchterungszelle geschafft. Er hatte betrunken in einem Taxi Krawall gemacht.

Das "FC-Syndrom"

Auch sportlich ist der FC längst ein Fall für höhere fachliche Anwendungen. Die Krankheit, an der die Mannschaft seit Beginn der Saison leidet hat mittlerweile ein akutes Stadium erreicht. Torwart Michael Rensing taufte sie "das FC-Syndrom". Sie äußert sich dadurch, dass das Team nach einem Gegentreffer umgehend auseinanderfällt und sich dann vom Gegner in alle Einzelteile zerlegen lässt.

Schalkes Professor Ralf Rangnick hatte bereits am zweiten Spieltag nach dem 5:1-Sieg typische Symptome diagnostiziert: "Als wir das zweite und dritte Tor geschossen haben, gingen bei den Kölnern alle Köpfe nach unten."

© SZ vom 05.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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