DFL-Absage an Torlinientechnik:Klubs diskriminieren Schiedsrichter

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Fehlentscheidung: Der Schuss von Frank Lampard auf das Tor von Manuel Neuer war 2010 drin. (Foto: dpa)

Die Entscheidung der Bundesligisten gegen die Torlinientechnik erfreut die Historiker - manifestiert aber extreme Nachteile für die Schiedsrichter. Sie wollen die technische Hilfe, sind in der Deutschen Fußball Liga allerdings ohne jede Stimme.

Ein Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Nichts gegen Demokratie, überhaupt nichts, im Gegenteil, aber manchmal ist sie schwer erträglich. Beispielsweise dann, wenn eine Entscheidung, die demokratisch genannt wird, dazu führt, dass Minderheiten daraus extreme Nachteile beziehen. Im aktuellen Fall die Gruppe der deutschen Fußball-Schiedsrichter.

Diese Gruppe bekommt längst ein ordentliches Schmerzensgeld dafür, dass sie auf dem Rasen den Verkehr regelt und sich Samstag für Samstag beschimpfen und bepöbeln lassen muss. Aber sie hatte in der Torlinientechnik eine Haltung: Sie bat dringend um Einführung, quasi um eine Assistenz auf der Linie.

Argumentiert hatten die Schiedsrichter mit dem stetig wachsenden Tempo im Spiel. Mit der Verdichtung des Geschehens. Mit den Vollversammlungen im Strafraum. Besonders aber mit dem weltweit belächelten Phantomtor vom Oktober 2013. Damals flog der Ball durch ein Loch im Außennetz ins Hoffenheimer Tor. Schiedsrichter Brych sah nicht gut - und nicht gut aus. Der vermeintliche Leverkusener Torschütze Kießling erklärte auf dem Spielfeld auf Befragen, er habe ebenfalls "nicht genug" gesehen und sieht sich bis heute von Internet-Schmähungen verfolgt.

Bundesliga gegen Torlinientechnik
:Mehrheit für die Fehlentscheidung

Der deutsche Fußball überrascht sich selbst: Die meisten der 36 deutschen Profiklubs stimmen gegen die Einführung der Torlinientechnik. Die Gründe: Sie wollen das Spiel nicht mit Technik überladen - und fürchten die Extra-Kosten.

Von Philipp Selldorf

Doch all die Beteiligten an dieser Phantomtor-Debatte haben verloren an diesem tristen Montag für Fairness und Gerechtigkeit: Zwar stimmten Hoffenheimer und Leverkusener für die technischen Assistenz, blieben aber ohne Mehrheit. Die Schiedsrichter selbst sind in der Deutschen Fußball Liga (DFL) ohnehin ohne Stimme, dort sind die 36 Erst- und Zweitliga-Demokraten unter sich.

Von den Gegnern kommen zwei Argumente: die Finanzen - und die Romantik. Mit Kosten von 250 000 bis 500 000 Euro hätten die Klubs in der Einführungsphase rechnen müssen, je nachdem, für welches System man sich in einem zweiten Schritt entschieden hätte. Überschaubare Beträge verglichen damit, was in dieser Branche alljährlich in malade Innenverteidiger und fordernde Spielerberater investiert wird.

Und die Romantiker, die sich noch heute bei einem Glas Wein an der Schönheit der Debatten über das Wembley-Tor (1966), das Helmer-Tor (1994) oder das Kießling-Tor (2013) erbauen können - an diesen großen Irrtümern für die Ewigkeit -, übersehen dabei, dass sie inzwischen nur noch Historiker sind. Nicht etwa die besseren Pfleger einer Tradition.

Diese Pflege läuft längst anderswo, nämlich dort, wo das Spiel erfunden wurde, in England. Nahezu geräuschlos hat die Premier League zu dieser Saison das "Hawk-Eye"-System eingeführt. Jedes Mal, wenn der Ball die Torlinie vollumfänglich überquert, vibriert die Uhr des Schiedsrichters; vibriert sie nicht, geht es weiter. Keine Unterbrechung - kein Wembley, kein Hoffenheim. Klassisches Fairplay, überzeugend reduziert auf die Schlüsselfrage: Drin? Oder nicht drin?

Klar, die Engländer hatten es einfach. Anders als die Deutschen haben sie noch ein großes Tennis-Turnier, und in Wimbledon hatten sie bereits erlebt, dass das "Hawk-Eye", das Adlerauge, funktioniert. Dass Fairness sogar Spaß macht, wenn die strittige Szene auf der Videoleinwand nachvollzogen werden kann.

Zudem hatten die Engländer jenes traumatische Erlebnis bei der Fußball-WM 2010. Jenen Moment im 1:4 verlorenen Achtelfinale gegen Deutschland, in dem der Fernschuss von Frank Lampard vom Querbalken gut einen Meter hinter die Linie ins Tor sprang - und wieder hinaus. Auch mit dieser Szene begründet der sonst eher nicht als innovativ bekannte Weltfußball-Verband Fifa, dass er in Kürze bei der WM in Brasilien die Torlinien-Technik zulassen wird.

Es ist eine andere Technik als in England, aber Felix Brych, der deutsche WM-Schiedsrichter, wird sie begrüßen. Anders als im Oktober 2013 in Hoffenheim hat auch er in Brasilien die Chance zu erkennen, was jeder Zuschauer via Handy-Nachricht oder Handy-Live-Bild sekundenschnell auf der Tribüne auf- klären kann. Tor? Kein Tor? Brych wird nicht mehr der einzige im Stadion sein, der künstlich dumm gehalten wird.

© SZ vom 25.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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