Bundesliga gegen Torlinientechnik:Mehrheit für die Fehlentscheidung

Bundesliga gegen Torlinientechnik: Historisch: Thomas Helmer vom FC Bayern erzielt in der Saison 1993/94 gegen Nürnberg den berühmtesten (Nicht)-Treffer der Bundesliga-Geschichte.

Historisch: Thomas Helmer vom FC Bayern erzielt in der Saison 1993/94 gegen Nürnberg den berühmtesten (Nicht)-Treffer der Bundesliga-Geschichte.

Der deutsche Fußball überrascht sich selbst: Die meisten der 36 deutschen Profiklubs stimmen gegen die Einführung der Torlinientechnik. Die Gründe: Sie wollen das Spiel nicht mit Technik überladen - und fürchten die Extra-Kosten.

Von Philipp Selldorf

Einige Teilnehmer, so berichteten Zeugen am Tagungsort in einem Frankfurter Flughafenhotel, verließen verärgert den Konferenzsaal, in dem sich der deutsche Fußball selbst überrascht hatte. Es war zwar erwartet worden, dass es bei der Abstimmung über die Einführung der Torlinientechnik kein einstimmiges Ergebnis geben würde, aber dass das Votum nun so eindeutig zweistimmig ausgefallen ist, das hat dann doch alle gewaltig erstaunt. Von der breiten Mehrheit, die mit der Materie befasste Kenner vorausgesetzt hatten, kann lediglich in gegenteiliger Hinsicht die Rede sein: Eine qualifizierte Mehrheit der 36 deutschen Profi-Klubs entschied nicht für, sondern gegen die Einführung der technischen Hilfsmittel.

Neun Erstliga- und 15 Zweitligaklubs verweigerten die Zustimmung, es gab also eine negative, statt der nötigen positiven Zwei-Drittel-Mehrheit. "Bis auf weiteres hat sich das Thema damit für uns erledigt", sagte Reinhard Rauball, der Präsident des Ligaverbandes.

Christian Seifert, der Vorsitzende der Geschäftsführung der Deutschen Fußball Liga (DFL), sprach von einem "demokratischen Votum, das es zu akzeptieren gilt. Der Grad der Professionalität der Bundes- liga steht und fällt nicht mit einer Torlinientechnik. Die Bundesliga hat sich ihren Ruf ja auch ohne diese Technik erarbeitet." Was Seifert nicht sagte: Dass es gute Argumente dafür gab, die Professionalität der Bundesliga zu verbessern - aus sportlichen und aus geschäftlichen Gründen. Derzeit ist die DFL verschärft darum bemüht, die Erlöse für den Export von Fernsehbildern aus der deutschen Liga zu steigern.

Der mächtigste Konkurrent bei der Auslandsvermarktung ist die englische Liga, die beim Verkauf ihrer globalen TV-Rechte fabelhafte 800 Millionen Euro erwirtschaftet. Pro Premier-League-Klub (die First Division geht leer aus) werden dafür 40 Millionen Euro ausgeschüttet. Und die Premier League ist bisher die einzige Liga auf der Welt, in der flächendeckend eine Torlinientechnik (das sogenannte Hawk Eye) zum Einsatz kommt - nach den Erfahrungen in der laufenden Saison zur vollen Zufriedenheit der Beteiligten. Darüber hinaus baut auch der Weltverband Fifa auf technische Hilfsmittel, während der WM in Brasilien nimmt er ein kamerabasiertes System ("GoalControl") in Betrieb.

Seifert wies allerdings darauf hin, dass es "in Europa kein einheitliches Bild" gebe. Die Europäische Fußball-Verband (Uefa) lehnt Technik strikt ab, und "es scheint sicher zu sein, dass Frankreich und Italien weiter auf Torrichter setzen", sagte Seifert.

Noch am Wochenende hatten die deutschen Ligen praktisches Anschauungs- material erhalten, das Argumente für ein Verfahren zur Beweissicherung lieferte. Beim Zweitliga-Spiel zwischen dem 1. FC Köln und dem VfR Aalen (0:0) gelang dem Kölner Torwart Timo Horn eine großartige Parade - leider weiß aber bis jetzt weder Timo Horn noch sonst ein Mensch, ob der Ball nicht trotzdem die Linie überschritten hatte. Die Kamerabilder des Fernsehens gaben keinen Aufschluss, der Schiedsrichter ließ das Spiel weiterlaufen.

Am Morgen vor der Abstimmung hatte sich der FC Bayern für die neue Technik ausgesprochen. Nach dem gegenteiligen Votum sagte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge: "Als Demokraten haben wir

das zu akzeptieren, aber wir vom FC Bayern bedauern dies. Wir werden in Zukunft weiter mit Fehlentscheidungen leben müssen. Es sollte dann aber auch nicht weiter darüber lamentiert werden."

Das Kosten-Nutzen-Argument

Auch Werder Bremen, der VfB Stuttgart, Borussia Mönchengladbach, die TSG Hoffenheim und Mainz 05 hatten sich zu ihrem Reformwunsch bekannt. Und Rudi Völler, der traditionsbewusste Sportchef von Bayer Leverkusen, entwickelte spätestens nach dem Phantomtor von Hoffenheim im Herbst und den daraus folgenden Diskussionen eine klare Präferenz. "Bei so elementaren Entscheidungen wie Tor-oder-nicht-Tor sollte die Technik kommen", sagte Völler.

Heribert Bruchhagen, Vorstandschef von Eintracht Frankfurt und ebenfalls ein überzeugter Traditionalist, vertrat die gegenteilige Position: "Wir werden dagegen stimmen, weil wir glauben, dass der Reiz des Fußballs auch darin liegt, dass sich Dinge entwickeln. Wegen der fünf Szenen jetzt solche Investitionen vorzunehmen, einen solchen technischen Aufwand zu betreiben . .

." Ähnlich argumentierte Carl-Edgar Jarchow im Namen des Hamburger SV: "Wir glauben, dass man im Fußball am Regelwerk möglichst wenig verändern soll und sehen da keinen großen Vorteil drin." Schalkes Manager Horst Heldt sprach sich gegen die Torlinientechnik aus, aber für einen Videobeweis ("das ist sinnvoller").

Unter den Zweitliga-Klubs beeinflussten nach Auskunft von Sitzungsteilnehmern besonders die Extra-Kosten das Meinungsbild. Die Abstimmung, die auf die Präsentation durch die DFL erfolgte, wurde nach Ligen getrennt durchgeführt. Beim klar mehrheitlichen Nein der Zweit- ligisten habe "das Kosten-Nutzen-Argument" entschieden, berichtete der Kölner Sportchef Jörg Schmadtke, es sei "eine pragmatische Entscheidung" gewesen. Er selbst hatte zuvor erklärt: "Wir diskutieren heute immer noch über Wembley, und das hat dem Fußball nicht schlecht getan."

Für ein System, das auf Hochgeschwindigkeitskameras gründet, hätten die Vereine mit Kosten von rund 500 000 Euro für drei bis dreieinhalb Jahre rechnen müssen, bei einem Magnetfeldsystem wäre die "gedeckelte Obergrenze bei 250 000 Euro" gewesen, rechnete DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig vor. Die Einsetzung von Torrichtern komme "überhaupt nicht infrage", sagte Rettig: "Dazu gab es schon im Vorfeld ein klares Votum."

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