DFB-Team vor Testspiel:Regierungserklärung des Joachim Löw

Lesezeit: 4 min

Pressekonferenz vor dem Testspiel gegen Argentinien: Beim ersten Auftritt nach der Fußball-Europameisterschaft geht Bundestrainer Joachim Löw ins Grundsätzliche. Die Leitwolf-Diskussion ermüde ihn. Profis, die die Hymne nicht singen, seien ebenso gute Deutsche wie alle anderen. Er gibt eigene Fehler im Halbfinale gegen Italien zu und plant weiterhin mit Miroslav Klose.

Thomas Hummel

Zum ersten Mal seit der Europameisterschaft saßen Pressesprecher Harald Stenger und Bundestrainer Joachim Löw wieder auf einem Podium, vor ihnen blitzten die Kameras, hinter ihnen leuchteten die Namen der Sponsoren in den Raum. Für den einen war dieser Termin in Frankfurt eine Veranstaltung, die das Ende eines Lebensabschnittes einläutete, für den anderen bedeutete er einen Neustart.

Stenger hatte kürzlich den Bescheid erhalten, dass sein Vertrag beim Deutschen Fußball-Bund nach elf Jahren nicht verlängert wird. Damit ist das Länderspiel am Mittwoch gegen Argentinien und alles, was rundherum dazu gehört, die letzte Amtshandlung des 61-Jährigen. Immerhin feiert der Hesse seinen Abschied zu Hause in Frankfurt. Bei dieser ersten Pressekonferenz in der Zentrale des DFB sagt Stenger relativ wenig. Im Gegensatz zum Bundestrainer, der sieben Wochen nach dem schlimmen Aus im Warschauer Halbfinale gegen Italien einiges zu sagen hatte.

Zuerst einmal tat er kund, dass eine "voll umfassende" Analyse "in der Kürze der Zeit" nicht möglich sei. Dann analysierte er doch. Zum Beispiel, dass die kurze und zerrissene Vorbereitung auf die EM dazu geführt habe, "dass wir manche Dinge, die wir geplant hatten, nicht ausführen konnten". Dennoch stellte Löw fest: "Das Ziel der letzten zwei Jahre war es, eine Mannschaft zu formen, die einen dominanten Spielstil zeigt und Titel gewinnen kann. Daran wird man ja auch gemessen. Deshalb war die Niederlage gegen Italien auch besonders enttäuschend und schmerzhaft." Er und sein Team müssten nun Fehler aufarbeiten und Lösungen für die Zukunft finden.

Doch nach dieser etwas demütigen Einleitung ging Joachim Löw in die Offensive. Und ins Grundsätzliche: "Fakt ist auf jeden Fall eines", betonte er und ließ die Worte drei Sekunden lang in der Luft stehen: "Unser Weg, den wir eingeschlagen haben vor einigen Jahren, der stimmt." Am langfristigen Konzept werde er festhalten.

Sportliche Kritik nach dem Italien-Spiel nehme er "mit aller Demut an" und werde versuchen, die Konsequenzen daraus zu ziehen. Aber: "Teile der Kritik halte ich nicht für zielführend und sie ermüden mich." Löws Stimme wurde immer lauter und eindringlicher. Aus der Pressekonferenz war eine Regierungserklärung des obersten deutschen Fußball-Lehrers geworden.

Löws Kritikpunkt Nummer eins: "Die Leitwolf-Diskussion. Mit dieser Mannschaft und mit diesen Führungsspielern haben wir in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht und haben fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt." Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger oder Miroslav Klose hätten das gemacht, was der Bundestrainer von ihnen verlangt habe. "Heute haben wir einen anderen Typus von Fußballer und Führungsspieler. Wir haben keine flachen Hierarchien. Wir haben Spieler, die absolut in die Verantwortung gehen, die ihre Meinung sagen, die für Ehrgeiz, Disziplin, den Willen stehen, die Spiele zu gewinnen." Er sprach nun die Reporter vor ihm im Saal an, und jetzt schien der gesammelte Ärger der vergangenen Wochen über das Echo der EM zu entladen. "Sie glauben doch nicht, dass Millionen von Leuten vor dem Fernseher sitzen oder auf die Straßen zum Public Viewing kommen würden, wenn auf dem Platz keine Siegertypen stehen würden?"

Deutsche Elf in der Einzelkritik
:Der respektlose Jogi und seine lustige Kopfhörer-Bande

Mario Gomez schwankt zwischen Heldenstatus und Scholl`schem Krankenschwester-Einsatz, Mesut Özil explodiert zwar nicht, hat aber immerhin mehr Energie als Bastian Schweinsteiger. Während Sami Khedira Superlative sammelt, lässt sich Philipp Lahm selbst von der Statue Balotelli nicht einschüchtern. Die Deutsche Elf bei der EM 2012 in der Einzelkritik.

Thomas Hummel

Es ging weiter mit Löws Kritikpunkt Nummer zwei: Spieler mit Migrationshintergrund singen die deutsche Hymne nicht. Unterschwellig höre man den Vorwurf heraus, dass diese Spieler keine guten Deutschen seien oder nicht kämpfen würden auf dem Platz. "Das finde ich schlecht. Die Hymne zu singen, ja, das ist schön, das ist wunderschön. Aber das ist noch lange kein Beleg für die Qualität einer Mannschaft und kein Beweis für die Unlust zu kämpfen." Die Spieler mit Migrationshintergrund wie Mesut Özil oder Sami Khedira hätten hinlänglich bewiesen, dass sie alles auf dem Platz geben für die Nationalmannschaft.

Deutsche Elf in der Einzelkritik
:Der respektlose Jogi und seine lustige Kopfhörer-Bande

Mario Gomez schwankt zwischen Heldenstatus und Scholl`schem Krankenschwester-Einsatz, Mesut Özil explodiert zwar nicht, hat aber immerhin mehr Energie als Bastian Schweinsteiger. Während Sami Khedira Superlative sammelt, lässt sich Philipp Lahm selbst von der Statue Balotelli nicht einschüchtern. Die Deutsche Elf bei der EM 2012 in der Einzelkritik.

Thomas Hummel

Und Löw hatte noch einen Punkt: Der Vorwurf, seine Spieler seien verwöhnt. "Wir erwarten Spitzenleistungen, eine Top-Performance. Dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen." Auch die spanische Mannschaft hätte einen Koch, fahre nicht immer mit dem Bus. Die Spieler hätten alles dafür getan, um erfolgreich zu sein.

Bei diesem ersten Auftritt nach der EM stellte sich Löw groß und breit vor seine Spieler, wollte sie schützen vor Hieben von allen Seiten der EM-Enttäuschung. Und er verteidigte sich selbst gegen den Vorwurf, er habe sich im Halbfinale zu sehr an Gegner Italien orientiert. "Das ist falsch." Seine Mannschaft habe sich wie immer 15 bis 20 Prozent nach dem Gegner gerichtet, das werde sie auch am Mittwoch gegen Argentinien tun, wenn Lionel Messi auf der anderen Seite stehe. "Aber wir haben gegen Italien selbstverständlich versucht, unser eigenes Spiel durchzubringen." Er wollte der starken italienischen Mittelachse Paroli bieten, und erklärte damit die Maßnahme, einen rechten Flügelstürmer herauszunehmen und dafür Toni Kroos zusätzlich in die Mitte zu stellen. "Hier muss man sagen: Das haben wir nicht geschafft. Wir haben nicht mit unseren eigenen Waffen gekämpft, haben nicht unseren eigenen Rhythmus gefunden und nicht unser eigenes Spiel durchgesetzt"

Nach der Aufarbeitung der Vergangenheit kam Löw auch noch zur Zukunft. So war er aufgeladen genug, um Hoffenheims Trainer Markus Babbel zurückzuweisen, der sich über die Nichtnominierung seines Torwarts Tim Wiese beschwerte. "Bei Tim Wiese hat niemand gesagt, dass es ein Ausschluss für alle Zeiten ist. Das hätte ich dann selbst machen müssen", sagte der 52-Jährige. Babbel hatte öffentlich kritisiert, dass nicht Löw selbst, sondern Assistent Hansi Flick und Torwarttrainer Andreas Köpke Wiese unterrichtet hätten. "Andy Köpke ist der erste Ansprechpartner für Torhüter", stellte Löw klar: "Wie, wann oder wo wir das machen, ist unsere Entscheidung. Deswegen ist es eine Respektlosigkeit von Babbel gegenüber Flick und Köpke."

Löw argumentierte, dass man nun junge Torhüter wie Ron-Robert Zieler (Hannover 96), der gegen Argentinien nach der Absage von Stammkeeper Manuel Neuer wohl im Tor steht, den nachnominierten Marc-André ter Stegen (Borussia Mönchengladbach) oder Bernd Leno (Bayer 04 Leverkusen) heranführen wolle.

Auch für die andere Seite des Spielfeldes gab Löw Einblicke in seine Pläne: Im Angriff soll weiterhin Miroslav Klose stehen. "Ich sehe bei ihm keine Altersgrenze. Wenn er seine Physis hat, gehört er weiter zu den weltbesten Stürmern. Ich werde auch in den kommenden zwei Jahren mit ihm planen." Klose, der seit einem Jahr bei Lazio Rom spielt, würde bei der WM in Brasilien 36 Jahre alt sein.

Mit Material von dpa/dapd/sid

© SZ.de/ebc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: