DFB-Team in der Einzelkritik:Timo Werner sucht das Glück

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Der Stürmer findet es auf seinen weiten Wegen noch nicht, Joshua Kimmich erzwingt die Spielwende und Thilo Kehrer steht zu oft im Fokus. Die deutsche Mannschaft in der Einzelkritik.

Von Martin Schneider

Manuel Neuer

(Foto: Alberto Lingria/Reuters)

Kommt seit Kurzem rege in den Berichten der Tegernseer Stimme vor, weil er in Reichweite seines Wohnsitzes am gleichnamigen See einen alten Berggasthof ("Forsthaus Valepp") renovieren möchte und er dabei, wie jeder andere Deutsche, auf die Zustimmung der lokalen Gremien angewiesen ist. Wäre mal interessant zu wissen, was ihn eigentlich mehr stresst: So ein Länderspiel in Bologna oder eine Sitzung des Schlierseer Bauausschusses.

Tendenz am Samstag: Schon noch sein Hauptberuf. Dafür tauchten die Italiener zu oft vor ihm und seiner roten Arbeitskleidung auf. Fischte nach einer halben Stunde eine gefährlich Flanke runter, sah kurz darauf einen Schuss an seinen Pfosten fliegen, spielte sogar zwei Pässe direkt ins Aus und da war die wilde zweite Halbzeit noch gar nicht berücksichtigt. Keine Frage: Das Leben als Hüttenwirt ist ruhiger.

Benjamin Henrichs

(Foto: Marco Iacobucci/Independent Photo Agency/Imago)

War zu einer Zeit, in der Hansi Flick als Trainer des FC Bayern wahnsinnig gern einen Rechtsverteidiger gehabt hätte, als Rechtsverteidiger auf dem Markt. Ging dann aber nach Leipzig. Vorteil als Nationaltrainer: Da kann man einfach nominieren.

Und war es nun ein Zeichen, dass Flick Henrichs anstelle von Lukas Klostermann oder Jonas Hofmann präferierte? Klare Antwort: Weiß man nicht. Sehr aktiv, aber auch vom taktischen System bevorzugt, sollte deutlich offensiver agieren als Kollege Kehrer (siehe dort) auf der anderen Seite. War oft am Ball, war aber auch oft folgenlos am Ball, zuweilen mit Abstimmungsschwierigkeiten mit Serge Gnabry, ging nach einer Stunde für Hofmann Tendenz: Seine Position ist offen.

Niklas Süle

(Foto: Antonio Calanni/AP)

Kommende Saison Spieler von Borussia Dortmund und gerade aus München mit ein paar spitzen Rufen verabschiedet. Wird er aushalten. Könnte in der Nationalmannschaft zusammen mit Nico Schlotterbeck bald einen Borussen-Riegel bilden, sah sich aber zunächst neben Antonio Rüdiger und agierte gewohnt mit vielen Pässen, auch mal mit einem Ausflug nach vorne und mit für Kenner von Süles Spiel nicht-überraschend schnellen Sprints nach hinten. Unglücklich beim Gegentor, weil er sich zum Gegenspieler und nicht zum Ball orientierte.

Antonio Rüdiger

(Foto: Alberto Lingria/Reuters)

Kommende Saison Spieler von Real Madrid und wenn man ganz ehrlich ist, dann hätte man ihm das, als er 2014 noch als ungestümer Stuttgarter sein erstes Länderspiel machte, nicht wirklich zugetraut. Hat aber gerade in den vergangenen Jahren einen gewaltigen Entwicklungssprung gemacht, der ihm aktuell den Platz vor dem ebenfalls entwicklungssprunghaften Nico Schlotterbeck sichert.

Nach 20 Minuten sehr aufmerksam, als er einen gefährlichen Querpass blockte. Nach 35 Minuten ließ er sich von Gianluca Scamacca austricksen, allerdings mit einem Trick, mit dem Scamacca mutmaßlich selbst nicht rechnete. Zunächst gute Abstimmung mit Süle, was man unter anderem daran sah, dass die Italiener sehr oft im Abseits standen. In der italienischen Drangphase dann mit mehr Schwierigkeiten und mit erkennbaren Abstimmungsproblemen.

Thilo Kehrer

(Foto: ActionPictures/Imago)

Hält seine Serie: Steht auch in der zehnten Partie von Hansi Flick in der Startelf - öfter als jeder andere Spieler. Spielte dabei schon Innenverteidiger, Rechtsverteidiger oder wie diesmal gegen Italien asymetrischer Linksverteidiger (er lieb hinten, Henrichs rückte vor).

Wurde zunächst ein wenig Opfer dieses taktischen Systems und war wenig präsent. War dann nach der Pause in der starken Phase der Italiener sehr viel präsenter, aber nicht so, wie man sich das als Abwehrspieler vorstellt. Hatte sichtbare Schwierigkeiten gegen den agilen Alessandro Florenzi. Holte sich kurz darauf Gelb nach einem Foul an Matteo Politano ab, was ihn noch weiter in seinen Aktionen einschränkte. Ließ dann dem eingewechselten Wilfried Gnonto zu viel Platz - der bereitete das italienische Tor vor.

Joshua Kimmich

(Foto: Andrea Staccioli /Insidefoto/Imago)

Was macht man als abgezockter Spieler, wenn man merkt, dass es für die eigene Mannschaft nicht läuft? Richtig - man unterbricht erstmal den Lauf. Rempelte bei einer Spielunterbrechung den italienischen Kapitän Florenzi ein wenig weg, dieser griff Kimmich an den Hals, Aufregung, Rudelbildung, Gelb für Florenzi.

Und was macht man als abgezockter Spieler, wenn es noch schlechter läuft? Richtig - einfach selbst das Tor. Riskierte den Lauf in den Strafraum und verwertete den von Timo Werner abgeprallten Ball.

Und was macht man als abgezockter Spieler, wenn man noch mehr will? ... nein, sein Siegtor scheiterte an einer Parade von Gianluigi Donnarumma. Änderte aber nichts daran, dass Kimmich bewies, dass er ein abgezockter Spieler ist und mit deutlich über 100 Ballkontakten klar das Zentrum des deutschen Spiels.

Leon Goretzka

(Foto: ActionPictures/Imago)

Läuft deutlich runder als noch vor ein paar Wochen im Bayern-Trikot, was die beruhigende Botschaft vermittelt: Auch so ein Athletenkörper wie der von Goretzka braucht nach einer langen Verletzungspause Zeit zur Regeneration. Sein Fokus sollte nun darauf liegen, den Ball flach zu halten. Also wortwörtlich, nicht metaphorisch. Zwei wunderbare Schusschancen löffelte er über das italienische Tor (Foto).

Leroy Sané

(Foto: Giuseppe Maffia/NurPhoto/Imago)

Begann das Spiel mit einem Tunnel gegen Frattesi, setzte es fort mit einem eher schwachen Abschluss aus guter Position. Der fiel aber nicht so auf, weil es vielen seiner Mitspieler (siehe Goretzka, Müller, Gnabry) genau so ging. Und dann ... ja ... dann kam nicht mehr so viel von Sané. Verließ das Spiel früh für Jamal Musiala.

Thomas Müller

(Foto: Miguel Medina/AFP)

Wurde nach gut 50 Minuten von Lorenzo Pellegrini im Mittelkreis umgesenst, aber Amore hat er vermutlich in der Stadt von Tante Ceccarelli nicht erwartet. Hatte in der ersten Halbzeit einen guten Abschluss, der von Florenzi geblockt wurde, lief wie immer weite Wege und muss sich deswegen nicht so arg wie Sané den Unsichtbarkeitsvorwurf gefallen lassen. Aber irre viel gelang ihm auch nicht.

Serge Gnabry

(Foto: Eibner-Pressefoto/Imago)

Der mit Abstand aktivste Spieler des DFB-Teams in den ersten 45 Minuten, als wollte er dafür sorgen, dass ja kein Reporter nach dem Spiel schon wieder nach seinem nicht-verlängerten Vertrag in München fragt. Dribbelte mit seiner beeindruckenden Mähne einmal allein durch das blaue Dickicht namens Italien-Abwehr und scheiterte erst am wandschrankartigen Donnarumma. Hätte dann das 1:0 machen müssen - kam kurz vor der Pause frei aus zwölf Metern zu einem astreinen Den-muss-er-machen-Abschluss (Foto). Wer ihn öfter kicken sieht muss leider sagen: typisches Gnabry-Spiel. Sehr viel Aufwand, wenig zählbarer Ertrag.

Timo Werner

(Foto: Miguel Medina/AFP)

Sein Stürmerleben ist manchmal aber auch hundsgemein: Da schießt er für Chelsea ein Tor im legendären Santiago Bernabéu gegen Real Madrid, sogar ein ziemlich schönes - bei manchen Angreifern reicht das, um sich eine Saison lang Kritik vom Hals zu halten - und dann redet keiner mehr drüber, weil auf der anderen Seite ein anderer Stürmer namens Karim Benzema die spektakulärere Show abzieht.

Timo Werner, so viel kann man sagen, muss das Glück nicht nur suchen wie es in Italien Herr Rossi tat, er muss es sich hart erarbeiten. Rannte vorne auf und ab, machte mehr Meter als ein Student diesen Sommer mit Neun-Euro-Ticket, vertändelte einmal den Ball, wurde einmal hart von Donnarumma abgeräumt oder der Schlussmann war vor ihm am Ball (Foto). Wurde dann - zumindest irgendwie - belohnt, weil eine Hofmann-Flanke von ihm zu Kimmich flipperte, was ihn zum Torvorbereiter machte.

Einwechselspieler

Jamal Musiala hat allein schon deswegen in diesem Spiel gewonnen, weil er nicht Leroy Sané ist, auch Jonas Hofmann machte nicht nur wegen seiner Vorbereitung vor dem 1:1 einen guten Eindruck. Wo Ilkay Gündogan seinen Platz finden soll, ist weiter ein Rätsel, auch ein Kai Havertz kann eigentlich nicht auf der Bank sitzen bleiben. David Raum kam spät - schaffte aber trotzdem noch eine seiner gefürchteten scharfen Flanken.

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