Paderborn-Trainer Baumgart:Vier Minuten Zorn

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Steffen Baumgart, hier beim ARD-Interview vor dem Spiel gegen Dortmund. (Foto: Frederic Scheidemann/Getty Images)

Weil Schiedsrichter Stieler das Dortmunder 3:2 im Pokalachtelfinale nicht am Bildschirm überprüft, platzt Paderborn-Trainer Baumgart am Fernsehmikrofon der Kragen.

Von Martin Schneider

Am Ende sagte Steffen Baumgart noch den schönen Satz, dass er gespannt sei, ob er nun einen Brief vom DFB zugestellt bekomme, weil er sich "etwas zu doll aufgeregt habe". Naja. Etwas. Davor hatte er gesagt, dass es eine "Frechheit" sei, konkret meinte er: "Daraus eine Berührung des Balles zu machen, finde ich frech." Langsam werde es "lächerlich", man mache sich "zum Affen" und bevor ihm nun einer erkläre, man müsse respektvoll miteinander umgehen, erklärte Baumgart: "Respekt bedeutet auch, sich den Scheiß anzugucken und dann eine Entscheidung zu treffen."

Den ganzen Abend über hatte Paderborns Trainer im T-Shirt dem Dortmunder Februar-Regen getrotzt, seine Mannschaft, der Zweitligist, der Außenseiter, hatte einen 0:2-Rückstand gegen den Champions-League-Teilnehmer Borussia Dortmund aufgeholt und die Verlängerung dieses Pokal-Achtelfinales erreicht. Aber vorm ARD-Mikrofon floss die ganze Wut eines Mannes, der sich ungerecht behandelt fühlte, in eine vierminütige Zornesrede: "Es geht hier gerade für uns um zwei Millionen. Ich bin keine Aktiengesellschaft, wir kämpfen um jede müde Mark und dann kommt mir so jemand so entgegen - völlig arrogant, muss ich ehrlich sagen."

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Mit "zwei Millionen" meinte Baumgart die Prämie fürs Weiterkommen im Pokal, für Zweitligisten wie Paderborn ist das in Pandemie-Zeiten nochmal mehr Geld als sowieso schon, die Aktiengesellschaft ist ein Verweis auf den Gegner, der als AG antritt und mit "so jemand" meinte Baumgart Schiedsrichter Tobias Stieler.

Minutenlang stehen alle Beteiligten im Regen und warten

Was war eigentlich passiert? In der 95. Minute der Verlängerung gewinnt Thomas Delaney in der eigenen Hälfte den Ball und tut das, was ein BVB-Spieler in dieser Situation tun sollte - er sucht Erling Haaland. Der Däne passt sofort steil, der Paderborner Svante Ingelsson versucht, den halbhohen Pass mit einer Grätsche zu verhindern, Haaland startet, läuft durch, trifft. Der Norweger jubelt erleichtert, in der Nachspielzeit der regulären Spielzeit hatte ihm der Videoassistent (VAR) schon ein Tor aberkannt und stattdessen Paderborn einen Elfmeter zugesprochen.

Und auch diesmal gibt Stieler den Anstoß zunächst nicht frei. Er kommuniziert mit Matthias Jöllenbeck im Kölner Keller und kommuniziert und kommuniziert - minutenlang stehen alle Beteiligten nicht nur metaphorisch, sondern tatsächlich im Regen. Als Fernsehzuschauer sieht man, dass Haaland beim Pass von Delaney im Abseits gestanden haben könnte, aber normalerweise dauert das Anlegen der sogenannten kalibrierten Linie keine vier Minuten. Nach einer gefühlten Ewigkeit geht Stieler zu Baumgart, erklärt ihm etwas - und gibt das Tor. Im Fernsehen bleibt die Szene unaufgelöst, nur Regelexperten ahnen, dass es etwas mit Ingelssons Grätsche zu tun haben könnte.

Die Auflösung der Szene lieferte der DFB dann um 22:53 Uhr via Twitter: Stieler und sein Assistent hätten eine Berührung von Ingelsson gesehen - somit wäre der Ball vom Gegner gekommen und Haaland nicht im Abseits gewesen. Der Videoschiedsrichter hätte diesen Eindruck nicht klar widerlegen können - also blieb es bei der ursprünglich getroffenen Entscheidung. Kein Abseits, Tor. Stieler wollte sich selbst nicht äußern.

Baumgarts Zorn entlud sich nun an der Tatsache, dass Stieler zwar vier Minuten lang mit Köln sprach - aber sich die entsprechende Szene nicht selbst am Bildschirm angeschaut hat. Tatsächlich zeigten die Lupen der Fernsehkameras, dass Ingelsson den Ball wahrscheinlich nicht mehr berührte, zumindest änderte sich augenscheinlich nichts an der Rotation des Spielgeräts. Ironischerweise erklärte der DFB noch am 31. Januar ebenfalls via Twitter: "Technische Hilfsmittel, wie z.B. Lupenvergrößerung, werden im Überprüfungsprozess des Videoassistenten grundsätzlich nicht eingesetzt, weil bewusst auf eine detektivische Suche verzichtet werden soll."

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Stielers Vorgehen war also korrekt - es gilt das Prinzip, dass der VAR nur bei klaren Fehlentscheidungen eingreift und eine Berührung konnte anhand der Bilder und vor allem anhand von Bildern ohne Lupe nicht ausgeschlossen werden.

Auch dieses Spiel zeigt: Das BVB-Schiff schaukelt gewaltig

Baumgarts Rage über diesen Prozess konnte man aber ebenso nachvollziehen, er war ja der Leidtragende, zumal seine Mannschaft wieder eine außergewöhnliche Vorstellung in Dortmund geboten hatte. Wie schon in seinem Bundesligajahr setzte der gebürtige Rostocker mit seiner Außenseiter-Truppe auf technisch anspruchsvollen Fußball gegen den Favoriten - das Pokal-Lehrbuch sieht eigentlich vor, dass der Zweitligist probiert, das Spiel des Favoriten zu zerstören.

Der SC zahlte auch vermeintlich früh den Preis dafür. Emre Can nach einer Ecke und Jadon Sancho sorgten schon nach 16 Minuten für eine komfortable 2:0-Führung - aber Paderborn spielte mit Mut und Technik und unermüdlicher Laufbereitschaft weiter nach vorne, traf in der 79. Minute durch Julian Justvan zum verdienten Anschlusstreffer und bekam in der Nachspielzeit einen Elfmeter - weil Felix Passlack Sebastian Schonlau umtrat. Das sah Stieler übrigens erst am Bildschirm, das Foul war allerdings so klar, dass man es auch so hätte sehen können.

"Ich hoffe, dass es für die Zuschauer ein geiler Pokal-Abend war. Für uns war es hart", sagte Dortmunds Thomas Delaney in der ARD. Er als Passgeber habe übrigens eine Berührung wahrgenommen.

Unabhängig davon sah man Dortmunds Trainer Edin Terzic die Erleichterung an, diesen Pokalfight überstanden zu haben. Das BVB-Schiff schaukelt ja immer noch gewaltig und auch die Tatsache, dass man eine 2:0-Führung gegen einen Zweitligisten nicht über die Zeit kriegt, trägt erstmal nicht zum Selbstvertrauen bei. Auf der anderen Seite sieht man vor allem in solchen Spielen, wie sehr die Corona-Saison an der Substanz der Spitzenteams nagt. Der FC Bayern ist gegen einen solchen Zweitligisten ausgeschieden, Leverkusen bei einem Regionalligisten, Dortmund ist noch dabei - auch wenn es am Schluss an der Frage hing, ob der Ball noch irgendeinen Stofffaden eines Paderborner Stutzen berührt hat oder nicht.

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