İlkay Gündoğan:"Ich war nervös"

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Hörte Pfiffe, aber auch Applaus - und bedankte sich beim Publikum: Nationalspieler İlkay Gündoğan. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • DFB-Spieler İlkay Gündoğan, der vor der WM bei einem Testspiel in Leverkusen ausgepfiffen wurde, hört bei seiner Einwechslung gegen Frankreich wieder Pfiffe, aber auch Applaus.
  • Später gibt er Einblicke in seine Gefühlswelt nach den Erdoğan-Fotos - und erwähnt ein "gutes Gespräch" mit DFB-Präsident Grindel.

Aus dem Stadion von Martin Schneider

Um wie viel lauter ist eigentlich ein Pfiff im Vergleich zu einem Händeklatschen? Das war eine Frage, die sich nach dem 0:0 gegen Frankreich sowohl İlkay Gündoğan als auch Leon Goretzka stellten. Denn als Goretzka in der 66. Minute das Feld verließ und Gündoğan für ihn das Feld betreten sollte, da hörte man in der Arena ein seltenes Gemisch aus Pfiffen und Applaus. Einige Leute im Stadion haben İlkay Gündoğan die Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan offenbar immer noch nicht verziehen, andere fanden, dass er Aufmunterung verdient habe. Goretzka sagte jedenfalls: "Die Erfahrung habe ich auf Schalke gemacht. Wenn ein paar Leute pfeifen, hört man es deutlicher, als wenn viele Leute klatschen." Wahrscheinlich waren die Applaus-Spender in der Mehrheit.

Trotzdem sagte Goretzka auch: "Ich habe mich bei der Auswechslung beeilt, weil ich mir nicht sicher war, wie das Publikum reagiert." Gündoğan sagte: "Ich war nervös, als ich mich fertig machen sollte."

Als Goretzka sah, dass Gündoğan für ihn eingewechselt wurde, hatte er also Angst, dass die Arena immer noch lospfeift. Es war ein kurzer, ehrlicher Blick in die Gefühlswelt der Mannschaft, der zeigt, wie sensibilisiert und unsicher zumindest Goretzka bei dem Thema ist. Sind die Leute noch sauer? Ist es jetzt mal gut? Gündoğan hatte sich im Gegensatz zu Özil ja früh erklärt (er begründete das Foto mit Höflichkeit gegenüber dem Präsidenten des Landes seiner Eltern; damit, dass er kein politisches Statement setzen wollte und dass er sich zu deutschen Werten und den Werten des DFB bekenne), und vor allem trat er nicht voller Wut zurück. Gündoğan sagte in einem Interview, er habe sich zwar nach den Pfiffen beim Spiel gegen Leverkusen vor der WM zehn Minuten auf der Toilette einschließen müssen - aber er wolle trotzdem weiter für Deutschland spielen.

"Gutes" Gespräch mit DFB-Präsident Grindel

"Ich wusste nicht, wie ein Großteil der Leute reagiert", sagte Gündoğan. Aber es habe ihn gefreut, dass es Applaus gab. Er applaudierte an der Seitenlinie zurück, spielte ein gutes Spiel und hatte noch eine Schusschance zur Führung. Hinterher lobte er den Auftritt der Mannschaft. Aber dass nach den Geschehnissen der vergangenen Monate noch eine gewisse Unsicherheit da sei, das sei klar.

Er sagte, er habe sich am Dienstag nochmals mit DFB-Präsident Reinhard Grindel unterhalten. "Wir hatten ein gutes Gespräch, einen guten Austausch. Er hat gesagt, dass er froh ist, dass ich weitermache und dass ich Teil der Gruppe bin. Aber wir hatten auch nie Probleme untereinander", sagte Gündoğan. Was insofern eine bemerkenswerte Aussage ist, weil Mesut Özil - der ja wie Gündoğan Fotos mit Erdoğan machte - in seiner Rücktrittserklärung insbesondere Reinhard Grindel massiv angriff und ausdrücklich ihm Rassismus unterstellte.

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Auch über Mesut Özil wurde noch ein bisschen gesprochen. Im Vorfeld des Spiels, ob man ihn als klassische Nummer Zehn eins-zu-eins ersetzen könne (Antwort Löw: Eher nein, man habe nun mit Reus und Müller andere Spielertypen) und von Toni Kroos, der meinte, man müsse in der Rassismus-Debatte Özil als Einzelfall sehen. Nach dem Spiel sagte Löw dann noch im ZDF, er sei menschlich enttäuscht von seinem 92-fachen Nationalspieler - und er habe ihn immer noch nicht ans Telefon bekommen. Gleichwohl werde er es weiter probieren.

Gündoğan hatte sich im Gegensatz zu Özil aber von Anfang an fürs Reden und auch fürs Bleiben entschieden. Das wurde honoriert - obwohl über ihn berichtet wurde, dass er in der Türkei größere Immobilien-Geschäfte vorantreibe und eine gute Beziehung zur Regierungspartei AKP dabei wohl förderlich wäre. Und auch Gündoğan kam zu dem Schluss, dass es nicht bei Kritik an den Erdoğan-Fotos blieb, sondern dass die Grenze zum Rassismus überschritten wurde und dass der DFB mit der Situation hätte besser umgehen können. Dazu passte vielleicht auch, dass vor dem Spiel immer noch das alte Schwarz-und-weiß-Lied von Oliver Pocher lief, den manche Komiker nennen. Pocher hatte sich während der WM Glubschaugen aufgeklebt, um sich über Özil lustig zu machen - sein Lied spielt der DFB trotzdem immer noch.

Dennoch: Gündoğan ist nicht Özil, er trat in der ganzen Debatte versöhnlicher auf. Es heißt, die Kritik habe ihn sehr mitgenommen. Bei seinem einzigen Einsatz bei der Weltmeisterschaft, als er gegen Schweden für den verletzten Sebastian Rudy kam, war er auch völlig von der Rolle. Gündoğan sagte im Gespräch mit der WAZ, er habe mit dem Teampsychologen der Nationalelf gesprochen, aber er glaube nicht, dass ihm in seiner Situation jemand helfen könne. Thomas Müller sagte vor dem Spiel, man müsse sich noch bewusster vor İlkay Gündoğan stellen. Nach dem Applaus von Teilen des Publikums wirkte er gegen Frankreich gelöster - und auch danach hörte er sich erleichtert an.

"Ich bin nach wie vor stolz, Teil dieser Mannschaft zu sein", sagte Gündoğan. Und dann wurde er noch gefragt, ob er einen Gruß an seinen alten Teamkollegen Roman Weidenfeller habe, der in diesen Tagen sein Abschiedsspiel spielt. Gündoğan lachte und richtete Grüße aus - er war froh, auch mal wieder über ein anderes Thema reden zu können.

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