EM 2020:Eine "Hammergruppe", die die Sinne schärft

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Drei Trainer, ein Pott: Jogi Löw (Mitte) trifft bei der EM auf seine Kollegen Fernando Santos (Portugal, links) und Dider Deschamps (Frankreich). (Foto: Christian Charisius/dpa)
  • Die DFB-Elf hat mit Portugal und Frankreich die schwerstmögliche EM-Vorrundengruppe erwischt.
  • Nach den Playoffs im März könnte auch noch Island hinzukommen.
  • Weil es dadurch in der Punkteverteilung noch enger zugehen könnte, fiele womöglich sogar die Hintertür ins Achtelfinale zu.

Von Philipp Selldorf

Wie kein zweiter Vertreter seines Berufsstands hat der Bundestrainer Erfahrungen mit Auslosungen vor großen Nationen-Turnieren gesammelt. Niemand hat öfter Stellung zum Prozedere bezogen, nach dem ehrenwerten Kollegen Oscar Tabarez aus Uruguay (seit Februar 2006 im Dienst) ist Jogi Löw der am längsten amtierende Nationaltrainer der Welt. Bevor er nun nach Bukarest gefahren ist, um der Auslosung für die EM 2020 beizuwohnen, teilte Löw nach bewährter Art mit, er sei "gelassen", und er wiederholte, was er bei dieser Gelegenheit fast immer zu sagen pflegte: Er nehme es, "wie es kommt". Lediglich 2017 ist er vor dem Gang zur Gegnerwahl für die WM 2018 vom eigenen Protokoll abgewichen: "Egal, wie es kommt", sagte er, "nervös werden wir deshalb nicht." Die Folgen sind bekannt: Etwas Nervosität hätte dem Coach und seinem Team gut getan vor dem Treffen mit Mexiko, Schweden und Südkorea.

Diesmal dürfte es keinen Zweifel geben, dass die Sinne im deutschen Lager ausreichend geschärft sind. Das DFB-Team trifft zum Start in der Vorrundengruppe F auf den aktuellen Weltmeister Frankreich und anschließend auf den aktuellen Europameister Portugal. Im dritten Vorrundenspiel könnte es, je nach Ausgang der Playoffs im März, eine Begegnung mit Bulgarien, Island oder Ungarn oder, dem komplexen Reglement folgend, eine Art Bonusspiel geben. Dann würde sich der Gegner aus dem Quartett der Fußball-Kleinstaaten Georgien, Nordmazedonien, Kosovo und Weißrussland rekrutieren.

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Augenzeugen meinten, sie hätten beim Bundestrainer Spuren der Irritation ausgemacht und ein Lächeln, das nicht frei war von Gezwungenheit, als die Lose fielen. Löw wählte später den Fachbegriff "Hammergruppe", um die Konstellation in Gruppe F zu beschreiben, tatsächlich ließen sich Untertöne des Vorbehalts in seinen Kommentaren zum Ausgang des Verfahrens vernehmen: "Meine Freude ist irgendwie vorhanden", sagte Löw. Klingt nicht nach restloser Begeisterung, und womöglich hat er seine Forderung, die verantwortliche Losfee Philipp Lahm zu "entlassen", nicht nur zum Spaß ausgesprochen. Dass sein Team in München dreimal Heimrecht genießt, das sei schön für die hiesigen Fans, aber nicht zwingend von Vorteil: Sowohl Frankreich als auch Portugal hätten "gute Konterspieler" im Team, die den vermeintlichen Auswärts-Nachteil in einen eigenen Vorteil wandeln könnten.

Im gebotenen Bemühen um einen erwartungsfrohen Eindruck fügte der Bundestrainer aber auch Tröstliches hinzu: "Turniere sind toll, und gegen solche Mannschaften zu spielen, ist eine große Herausforderung für unsere junge Mannschaft." Diese Partien seien "ja auch irgendwie Highlight-Spiele - da können wir uns mit großer Vorfreude ins nächste Jahr begeben." Irgendwie zumindest.

Die Uefa muss auch für die Interessen der kleineren Mitgliedstaaten sorgen

Der Veranstalter, die europäische Fußball-Union Uefa, sieht sich wegen des rastlosen Turnier-Modus mit Spielorten in zwölf Gastgeberländern und wegen der unübersichtlichen, sportlich teils widersinnigen Qualifikationsordnung vielerlei Vorwürfen ausgesetzt. Der belgische Starspieler Kevin De Bruyne (Manchester City) sprach kürzlich von einer "Schande", der Auslosung seien durch die Setzlisten die "Spannung und das Vergnügen" genommen worden, Fußball sei "mehr und mehr ein Geschäft geworden". Letzteres hört sich geradezu amüsant an, der Großverdiener De Bruyne ist als Angehöriger eines von arabischem Geld finanzierten Konzernklubs nun mal mitten drin im Geschäft.

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Aber auch in sportlicher Beziehung sind die üblichen Proteste aus den elitären Ligen zwiespältig. Die Uefa vertritt als Verband 52 Nationen, sie muss auch für die Interessen der kleineren Mitgliedstaaten sorgen. Man mag es bedauern, dass nicht mehr 16 ausgewählte Top-Teams im Turnier antreten, sondern 24 Mannschaften, die nicht alle Spitzenniveau versprechen. Aber es ist auch zu sehen, dass durch die Expansion die fußballerische Entwicklung in der Mittelklasse vorankommt. Ein kleines Land wie Wales nimmt nun zum zweiten Mal hintereinander an einer EM teil, und dem DFB-Team ist es nicht unbedingt zu wünschen, dass Island im März den gleichen Erfolg erreicht. In der Qualifikation wurden die kampfkräftigen Nordseeinsulaner hinter Frankreich und der Türkei mit guten Resultaten Dritter, 2016 besiegten sie England und standen im Viertelfinale.

Cristiano Ronaldo ist nicht mehr der Alleinunterhalter

Mit Island wäre die deutsche Gruppe F eine Hammergruppe der Oberklasse. Weil es dadurch in der Punkteverteilung noch enger zugehen könnte, fiele womöglich auch die Hintertür ins Achtelfinale zu: Auch die vier besten Dritten der sechs Vorrundengruppen gelangen - quasi durch den Seiteneingang - in die K.o.-Runde, zwei müssen nach Hause fahren.

An die Treffen mit Portugal habe man gute Erinnerungen, sagte Löw unter Verweis auf die EM 2008 (3:2 im Viertelfinale) und die WM 2014 (4:0 im ersten Vorrundenspiel), aber 2020 wird es eine andere portugiesische Mannschaft sein, mit der es die Deutschen zu tun bekommen. Cristiano Ronaldo ist nicht mehr der Alleinunterhalter, dem alle anderen untertänigen Gehorsam schulden. International versierte Spieler wie Bernardo Silva und João Cancelo (beide Manchester City), João Félix (Atlético Madrid), Bruno Fernandes (Sporting Lissabon) und Ruben Neves (Wolverhampton) prägen ein neues Team. "Portugal ist immer schwer zu berechnen: Sie sind immer technisch stark und haben Spieler aus großen Klubs, aber sie sind auch immer zu schlagen", stellte DFB-Direktor Oliver Bierhoff fest und sprach von der "unliebsamsten" aller möglichen Auslosungen.

Die Idee, im März ein Testspiel gegen Portugal zu bestreiten, hat der DFB nun übrigens aufgegeben. Außer dem bereits verabredeten Spiel in Spanien ist nun Belgien als Gegner im Gespräch.

"Einen ausgemachten Favoriten in der Gruppe würde ich jetzt nicht sehen", hat Löw tapfer behauptet, ehrfürchtige Komplimente an den Weltmeister Frankreich erübrigen sich aber ohnehin. Der Kollege Didier Deschamps betreue Spieler, "die schon ewig in der Weltklasse sind" - dort, wo die deutsche Nationalmannschaft erst wieder hinfinden muss.

© SZ vom 02.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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