Deutsche Nationalmannschaft:Es fehlt Müllers Effizienz

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Thomas Müller (re.): Sein Comeback würde der Nationalmannschaft gut tun. (Foto: REUTERS)

Leicht spielen, schwer siegen: Nach dem 1:0 in Rumänien spricht immer mehr dafür, dass Thomas Müller der Elf von Joachim Löw extrem weiterhelfen würde. Er könnte den begabten Buben das Daddeln austreiben.

Von Christof Kneer, München

Bei den Franzosen spielt Hugo Lloris im Tor, ein guter Mann, Experten zählen ihn zu den besten Torhütern der Welt. Im defensiven Mittelfeld der Franzosen spielt N'golo Kanté, ein ausgezeichneter Mann, so viele bessere Sechser gibt es nicht auf dem Markt. Und in der Abwehr spielen mehr gute Leute als in eine Innenverteidigung passen, Varane von Real Madrid, Lenglet aus Barcelona, Kimpembe aus Paris, Zouma vom FC Chelsea, Upamecano aus Leipzig und noch ein paar andere. Dazu kommt, dass die Franzosen einen Trainer besitzen, Didier Deschamps, der selbst ein defensiver Mittelfeldspieler war und ein robustes Mandat zu schätzen weiß.

Es gibt also, um das zusammenzufassen, leichtere Aufgaben im Fußball, als ausgerechnet gegen Frankreich ein Tor zu schießen.

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Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft lebt seit mehreren Jahrhunderten mit dem Ruf, immer Losglück zu haben, gerüchteweise hat sie bei Europameisterschaften auch schon karibische Inselstaaten zugeteilt bekommen (aber gut, das sind Gerüchte). Die anstehende Europameisterschaft 2021, die in Wahrheit noch die Europameisterschaft 2020 ist, ist in diesem Sinne aber eher rufschädigend: Die DFB-Elf beginnt mit dem Spiel gegen die möglicherweise unüberwindlichen Franzosen, es folgen die ebenfalls gut beleumundeten Portugiesen, bevor ein Duell mit dem ambitionierten Außenseiter Ungarn die Vorrunde beschließt.

EM-Auftaktgegner Frankreich steht immer mit auf dem Platz

All das muss man immer mitdenken, wenn man die deutsche Mannschaft im Moment Fußball spielen sieht. Der Turnier-Auftaktgegner Frankreich steht immer mit auf dem Platz, auch bei einem WM-Qualifikationsspiel wie jenem in Rumänien, das Jogi Löws Elf am Sonntagabend ebenso knapp wie verdient 1:0 gewonnen hat. Die Geschichte dieses Spiels wurde umgehend hochgerechnet auf die EM: Wird es sich die deutsche Mannschaft auch bei einem Turnier erlauben können, so kolossal viele Torchancen zu verschwenden wie in Rumänien?

Die Antwort dürfte bereits feststehen: Gegen ein karibisches Eiland vermutlich ja. Gegen Frankreich auf keinen Fall. Die Franzosen werden den Deutschen keineswegs - je nach Zählung - vier, fünf, sechs Großchancen gewähren, die sie dann vergeben dürfen wie am Sonntagabend zum Beispiel Leon Goretzka (50.), Serge Gnabry (58.), Ilkay Gündogan (60.) und Leroy Sané (63.).

Es ist selbst unter Experten umstritten, ob das nun ein sehr gutes, ein gutes, ein ganz ordentliches oder ein sehr bedenkliches Spiel der deutschen Nationalmannschaft gewesen ist. Der Bundestrainer schwankte in seiner Analyse zwischen "sehr gut" und "gut", muss dabei aber als befangen gelten. Seine Mannschaft habe "das Spiel lange kontrolliert", meinte Löw, sie habe "kaum Torchancen zugelassen", das Mittelfeld habe "gut gearbeitet" und "einige Balleroberungen" gehabt. Auch vom Tor des Tages schwärmte Löw, zu Recht, mit Antonio Rüdigers Pass sauste Kai Havertz davon, seinen Querpass schubste Gnabry dann lässig ins Tor (17.).

Aber klar: Ein weiteres Tor wäre "für die Psyche besser" gewesen, das räumte Löw immerhin ein. Seine Spieler kamen zügiger zur Sache als ihr Vorgesetzter, in ihren Analysen drehte sich alles um "haben es uns selber schwer gemacht" (Serge Gnabry), "hätten es uns leichter machen können" (Joshua Kimmich) oder "hätten früher den Deckel drauf machen müssen" (Manuel Neuer). Das Spielen ist ihnen leicht gefallen, aber das Siegen war schwer.

Löws Mannschaft kann zauberhaft spielen - bisweilen verschwendet sie sich aber in Schönheit

Bis in seine letzten Bundestrainer-Monate verfolgt Löw das alte Muster: Seine Mannschaft kann wirklich gut und an manchen Tagen sogar zauberhaft kicken, aber solange im Fußball keine B-Noten für den künstlerischen Wert eingeführt werden, gerät die Elf immer wieder in die Gefahr, sich selbst stolpern zu lassen. In der 90. Minute traf der Rumäne Stanciu das Außennetz, kurz zuvor war der eingewechselte Puscas (nicht verwandt und verschwägert mit ...) freistehend an Manuel Neuer gescheitert. "Das wäre die Rache gewesen", meinte Kimmich später drastisch.

"Chancenverwertung" ist ein banales Fußballwort, aber es könnte darüber entscheiden, welchen Abschied Joachim Löw bekommt. Gegen Frankreich und Portugal werden seine Spieler gleich zum Turnierauftakt eine extreme Effizienz brauchen, und der Trainer wird ihnen dafür das passende Milieu bereitstellen müssen - erst recht, weil er über keinen klassischen Mittelstürmer verfügt. Löw wird so straff und klar coachen müssen, wie er dies bei der WM 2014 in Brasilien getan hat, und nach diesem Spiel in Bukarest drängt sich immer mehr die Erkenntnis auf, dass er auch einen Spieler von damals sehr gut gebrauchen könnte. Der Münchner Thomas Müller hat all das, was diese Nationalelf dringend benötigt, um ihr Talent auch wirklich ins Ziel zu bringen: Müller hat im Moment eine geradezu brachiale Effizienz in seinem Spiel, und er hat sich spätestens in den leeren Geisterstadien zu einem mitreißenden Animateur entwickelt. Er könnte den begabten Buben das Daddeln austreiben. Beim FC Bayern ist Müller der Superspreader, er steckt die ganze Mannschaft an mit seinem Enthusiasmus und seiner kämpferischen Haltung. Neulich, beim 4:0 gegen den VfB Stuttgart, hat Müller die bayerische Unterzahl derart leidenschaftlich ignoriert, dass die eingeschüchterten Stuttgarter mit dem Zählen ganz durcheinanderkamen. Sie haben gedacht, sie seien selber einer weniger.

Beim Versuch, das bayerische Champions-League-Sieger-Modul in seine Elf zu transportieren, hat Löw längst bemerkt, dass er den Polen Robert Lewandowski nicht nehmen kann - bekäme er Müller, hätte er zumindest die Hälfte dieser bemerkenswert aggressiven, bayerischen Zugmaschine. Und dass man vor diesem Müller Respekt haben muss, wissen seit dem Champions-League-Turnier in Lissabon auch die französischen Verteidiger Lenglet (FC Barcelona) und Kimpembe (Paris St. Germain).

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