Ungarn und seine Fans:Feindseliges Klima

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Der ungarische Fanblock - hier während des Vorrundenspiels der EM in Budapest gegen Frankreich. (Foto: Franck Fife/AFP)

Immer wieder fallen ungarische Fans mit rassistischem Verhalten auf, radikale Gruppen benutzen den Fußball als Plattform für Nationalismus und Hass. Die Ursachen wurzeln tief - und auch die Politik spielt dabei ihre Rolle.

Von Ronny Blaschke

Die ungarische Nationalmannschaft hat während der Fußball-Europameisterschaft im vergangenen Jahr vor allem wegen ihrer Fans für Aufsehen gesorgt. Eine radikale Minderheit von in schwarz gekleideten Männern hatte bei den Vorrundenspielen des Turniers rassistische Rufe von sich gegeben und rechtsextreme Symbole gezeigt. Unvergessen ist die Geste des deutschen Nationalspielers Leon Goretzka, der nach seinem späten Tor zum 2:2 im dritten Gruppenspiel in München den ungarischen Fans als Antwort ein Herz zeigte, geformt aus Daumen und Fingern.

Der europäische Verband Uefa bestrafte Ungarn am Ende mit einem Heimspiel ohne Zuschauer, dazu ein weiteres auf Bewährung. Aber: Bei Strafspielen unter Ausschluss der Öffentlichkeit erlaubt die Uefa die Anwesenheit von Kindern bis 14 Jahren, in Begleitung eines Erwachsenen. Und so verfolgten am vergangenen Samstag in Budapest dann doch immerhin 30 000 Zuschauer den Auftakt in der Nations League gegen England. Als die englischen Spieler vor dem Anpfiff auf die Knie gingen, um abermals ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen, waren zudem Buh-Rufe vieler Zuschauer zu hören.

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Diese Rufe sind nur ein Symptom eines feindseligen Klimas, das sich in Ungarn in Fußball und Gesellschaft herausgebildet hat. Jahrelang hatte die "Carpathian Brigade", die Karpaten-Brigade, für Schlagzeilen gesorgt. Diese paramilitärisch anmutende Gruppe vereint einige hunderte gewaltbereite Neonazis aus dem Umfeld mehrerer Klubs. In ihrer Symbolik wünscht sie sich die Gebiete des alten Königreichs zurück, träumt von "Großungarn".

Der ungarische Fußballverband ließ die rechtsradikalen Fans lange gewähren

Innerhalb der ungarischen Fanszene ist die "Carpathian Brigade" eine Minderheit. Doch ihre Hitlergrüße, Affenlaute und Hasstiraden blieben bei anderen Gruppen in der schlecht besuchten ungarischen Liga lange Zeit unwidersprochen. Die rechtsextreme ungarische Partei Jobbik erkannte in der Mobilisierungskraft der Hooligans und Ultras Potenzial und rekrutierte etliche von ihnen für ihre Straßenarbeit.

Der ungarische Fußballverband ließ die rechtsradikalen Fans lange gewähren. Dann hallten 2012 bei einem Heimspiel der ungarischen Auswahl gegen Israel Auschwitz-Gesänge von der Tribüne. Aus Sorge vor Geldstrafen verhängten Verband und Vereine vermehrt Stadionverbote und führten personalisierte Tickets ein. Vorübergehend blieben Hooligans den Stadien in Gruppenstärke fern. Doch im Umfeld - in Zügen, Kneipen und Internetforen - nutzten sie den Fußball als Plattform für Nationalismus und Hass.

Die Ursachen dafür wurzeln tief. Während des Kommunismus war der Nationalismus auch in Ungarn offiziell verboten. Doch schon in den siebziger und achtziger Jahren ließen viele Fußballfans ihren sozialen Frust in der Anonymität der Stadien heraus, mitunter in Form von Antisemitismus. Seit der Demokratisierung in den Neunzigern haben es linke und antirassistische Parteien in Ungarn schwer. Nur wenige NGOs im Land konnten langfristige Projekte gegen Diskriminierung im Fußball anstoßen. Für einen Wandel reichte das nicht, und so kehrte die "Carpathian Brigade" für Höhepunkte wie die Fußball-EM 2016 in Frankreich oder im vergangenen Jahr auf die prominente Bühne zurück.

Viktor Orbán will mit diesem extremen Block offiziell nichts zu tun haben, doch auch der ungarische Ministerpräsident betrachtet Fußball als patriotisches Werkzeug. Hartnäckig hält sich die Erzählung, dass Orbán Ende der Achtziger seine politischen Mitstreiter beim Studentenfußball besser kennenlernte. In den Nullerjahren schürte Orbán Protest gegen den sozialistischen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány. Ein Mob stürmte 2006 den nationalen Fernsehsender, darunter Anhänger des Vereins Ferencváros Budapest.

Für Viktor Orbán wäre ein Sieg der ungarischen Mannschaft gegen Deutschland besonders wertvoll

Seit Antritt als Ministerpräsident 2010 hat Viktor Orbán den Fußball in politische Machtstrukturen eingebettet. Die Regierung brachte Bauten und Sanierungen von Stadien, Hallen und Sportschulen auf den Weg, vereinzelt auch für ungarischstämmige Minderheiten in Nachbarstaaten, die ebenfalls nostalgisch auf das historische "Großungarn" blicken. Orbán regte Unternehmen mit Steuererleichterungen dazu an, mehr in Fußball zu investieren. Führende Mitglieder seiner Regierungspartei Fidesz sind in Vorständen der Klubs vertreten. Oft treffen sie sich mit Entscheidern aus Justiz und Bankwesen in der neuen Stadionloge in Felcsút, der kleinen Heimatgemeinde von Orbán. An der Spitze des Rekordmeisters Ferencváros steht Gábor Kubatov, Vorstandsmitglied von Fidesz. Mehrfach wurden rechte Hooligans als Ordner auf Parteikundgebungen gesichtet.

Für den ungarischen Ministerpräsidenten wäre ein Sieg der ungarischen Mannschaft gegen Deutschland von besonderem Wert. Schließlich verortet Orbán die Politik der Bundesregierung oft als Beleg für die angebliche internationale Verschwörung gegen sein Land. Der DFB hat wie üblich nur personengebundene Tickets an die mitreisenden deutschen Fans verkauft. Doch Fanbetreuer halten es für möglich, dass auch rechte Hooligans aus Deutschland über andere Wege an Eintrittskarten gelangen, wie schon häufig zuvor bei Spielen im östlichen Europa. Es dürfte ein also eine Herausforderung werden - sportlich und politisch.

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