Deutsche Nationalmannschaft:Löw braucht seinen Götze - Tuchel auch?

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Mario Götze muss sich unter Joachim Löw mit der Rolle in der Sturmspitze anfreunden. (Foto: dpa)

Mario Götze spaltet die Meinungen seiner Trainer. In Dortmund erwartet den Dienstreisenden nach der WM-Quali eine knifflige Situation.

Von Christof Kneer, Oslo

Am Tag nach dem Länderspiel war trainingsfrei in Dortmund, aber an diesem Dienstag bittet Thomas Tuchel wieder zur Arbeit. Mario Götze, davon darf man ausgehen, wird wieder sehr engagiert mitmachen, und vielleicht wird er zwischen den beiden Trainingseinheiten seinem Kumpel André Schürrle kurz erzählen, was er mit der Nationalmannschaft in Oslo erlebt hat. Schürrle, obwohl zuletzt vor Kraft und Form strotzend, hatte die DFB-Reise ja wegen Rückenproblemen kurzfristig abgesagt; Götze, obwohl zuletzt überhaupt nicht strotzend, hat die Spiele gegen Finnland und in Norwegen dagegen von Anfang an bestritten, was der Branche eine kuriose Fachdebatte beschert hat. Thema: Wie fit ist eigentlich "fit"? Untertitel: Warum hält ein kompetenter Trainer (Tuchel) den Spieler Götze noch nicht für startelftauglich, während ein anderer kompetenter Trainer (Löw) ihn in zwei Partien insgesamt 162 Minuten spielen lässt?

Wer möchte, kann nach Abschluss der ersten Länderspielwoche der neuen Saison nun beiden Fachleuten Recht geben. Löw hatte Recht, weil Götze keineswegs unter der Last der Minuten zusammengebrochen ist; er ist viel gelaufen und hat dabei sogar etwas Fußball gespielt. Und auch Tuchel hatte Recht, weil Götze in den 162 Minuten nicht so spielte, dass man am Wochenende in der Bundesliga unbedingt die Startelf um ihn herum bauen muss.

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Alle deutschen Offensivspieler haben in Oslo profitiert von Löws neuer Stilvorgabe mit unverbogenem, direktem Spiel in die Spitze, mit Außenstürmern, die nach innen ziehen (Müller, Draxler) und Außenverteidigern (Kimmich, Hector), die stattdessen die Flanken besetzen - alle außer Götze. Müller hat endlich wieder eines seiner saukomischen Holperstolpertore geschossen, sogar der kleine Kimmich kam aussichtsreich zum Schuss; nur Mario Götze, obwohl als zentraler Angreifer eigentlich am Ende der Verwertungskette platziert, gelang es, dem Spiel trotzdem irgendwie abhanden zu kommen.

Mario Götze brauche "Spielpraxis", dann werde er "wieder der Mario Götze sein, den wir kennen", sagte Joachim Löw später, und er ist gerne bereit, diesem immer noch außergewöhnlichen Talent große Teile jener wenigen Spielpraxis zur Verfügung zu stellen, die er als Bundestrainer anzubieten hat. Löw braucht seinen Götze dringend, er hat ja außer dem guten alten Mario Gomez sonst keinen anderen für den Job da vorne drin, und das ist möglicherweise der Punkt, an dem sich die beiden Trainer markant unterscheiden. Thomas Tuchels Mittelstürmer heißt Pierre-Emerick Aubameyang, und seine anderen Offensivspieler heißen zum Beispiel Schürrle, Kagawa, Dembele, Mor und übrigens irgendwann auch wieder Reus.

Tuchel hätte Mario Götze deutlich lieber bei sich auf dem Trainingsplatz gesehen

Tuchel hätte Mario Götze in den vergangenen Tagen deutlich lieber bei sich auf dem Trainingsplatz gesehen, er hätte ihn gerne so trainiert, dass er ihn bald mal für die Startelf nominieren kann, ohne Kagawa, Dembele oder Mor Unrecht zu tun. Dennoch hat Tuchel auch die Spielpraxis-Theorie von Löw und Götze akzeptiert, offenbar hat er sich sogar einen ursprünglich ausgehandelten Kompromiss ausreden lassen. In Dortmund heißt es, Götze hätte nach dem Finnland-Testspiel eigentlich zum BVB zurückkehren sollen, aber offenbar hat der Spieler dann seinen Klubtrainer gebeten, beim Nationalteam bleiben zu dürfen - weil Löw ihm auch in Oslo einen Startplatz in Aussicht gestellt hatte.

Einstweilen könnte es Götze nun ergehen wie einem Arbeitnehmer, der eine Weile auf Dienstreise war und jetzt in ein Büro heim kommt, in dem in seiner Abwesenheit ein paar sehr motivierte Konkurrenten an ihrer Unverzichtbarkeit gearbeitet haben. André Schürrle etwa hat mit Mario Götze gemeinsam Urlaub gemacht, aber er ist aus diesem Urlaub in einer Verfassung zurückgekehrt, als habe er ein geheimes Trainingslager hinter sich. Im Grunde hatte Tuchel gar keine Wahl, der ultrafitte Schürrle hat sich quasi selbst aufgestellt.

"In Dortmund, glaube ich, wird man die nächsten Jahre auf Mario Götze setzen", sagte Löw in Oslo. Und in Dortmund gehen sie im Moment schon noch davon aus, dass sie das auch glauben.

© SZ vom 06.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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