Deutsche Mannschaft:DFB-Spione grübeln über das Achtelfinale

Lesezeit: 3 min

Das DFB-Team arbeitet bei großen Turnieren akribisch wie die CIA, um sich auf den ersten Gegner der K.-o.-Runde vorzubereiten - ein Dilemma beim neuen EM-Modus.

Von Philipp Selldorf, Évian

Um halb zehn am Montagmorgen setzte sich in Évian der deutsche Konvoi in Bewegung, mit Blaulichtern vorneweg und hinterdrein und mit großer Eskorte ging es Richtung Flughafen Annecy. Dort erfolgte der Abflug nach Paris, wo am Dienstagabend um sechs im Prinzenpark die dritte Vorrundenpartie gegen Nordirland stattfindet (ab 18 Uhr im SZ-Liveticker).

Klare Sache, dass der Weltmeister das Spiel gewinnen will, um als Gruppenerster ins Achtelfinale zu gehen. "Ich kenne nur einen Weg", hat der Bundestrainer gesagt, "und der führt nach Lille." In Lille, so bestimmt das Tableau, findet das Achtelfinale Nummer 5 statt: Sieger Gruppe C gegen Dritter A B F. Aber welcher Gegner verbirgt sich hinter dieser Buchstaben-Chiffre? "Man weiß gar nix mehr", stellte Jogi Löw mit kulturpessimistischem Unterton fest.

Üblicherweise sind die Deutschen bei Welt- und Europameisterschaften stets auf alle Eventualitäten vorbereitet. Das Büro der Nationalmannschaft sorgt dafür, dass zum Wohl der Nationalspieler höchste Ansprüche an Mobilität, Sicherheit, Ernährung, Nachtruhe und Freizeitgestaltung erfüllt werden, hinter den 23 Fußballern steht ein gewaltiger logistischer Apparat. Umfassende Vorkehrungen richten sich nicht nur auf den Küchenplan, den Mondphasenkalender und die Matratzenbeschaffenheit, sondern auch auf die Vorbereitung der Turnierspiele.

Scouts beschäftigen sich mit mehreren Gegnern

Die Nachrichtendienste, die der DFB beschäftigt - unter anderem eine Kohorte von Wissenschaftlern und Studenten der Sporthochschule Köln -, arbeiten an der Analyse des nächsten, übernächsten und überübernächsten Gegners. Die CIA-Zentrale in Langley ist nichts dagegen. Und jetzt dies: Vor Mittwochabend werden die Deutschen - sollten sie Gruppensieger werden - nicht wissen, wer ihnen am Sonntag in Lille gegenüberstehen wird. Nicht mal das Spekulieren lohnt, weil das Turnierreglement der Uefa so komplex ist.

Als Joachim Löw nach Paris aufbrach, kamen für die Lille-Lösung folgende Gegner aus drei anderen Gruppen in Betracht: Albanien aus Gruppe A, die Slowakei aus Gruppe B sowie aus Gruppe F Ungarn, Island, Portugal und Österreich. Mal ehrlich: Wie soll Löws CIA mit so einer Auswahl klarkommen?

"Kein Problem", behauptet der Bundestrainer, "unsere Scouts beschäftigen sich nicht mit einem möglichen Gegner, sondern mit mehreren." Die Frage ist, ob diese Beschäftigung aus der Lektüre von alten kicker-Artikeln und dem Studium von Reiseführern zur Ergründung der gegnerischen Volkskultur besteht oder einer profunden Datenmenge.

Einfacher hätten es die Spione, wenn die Deutschen Gruppenzweiter würden. Dann wäre am Samstag in Saint-Étienne die Schweiz der Gegner im Achtelfinale, deren Spieler sowieso vorwiegend in der Bundesliga beschäftigt sind. Wenn die DFB-Elf nur den dritten Gruppenplatz schaffen sollte, dann drohten Frankreich oder aus Gruppe B zum Beispiel England. Die Unübersichtlichkeit des Spielplans resultiert aus der Erweiterung des Teilnehmerfeldes. Der dezidierte Fußball-Gourmet Löw hat früher verschiedentlich erklärt, dass ihm der neue Modus nicht gefalle, und dass er zumindest für den ersten Teil des Turniers eine sportliche Entwertung vorhersehe.

Von Kritik am sportlichen Niveau hat er zwar bei seinen jüngsten Stellungnahmen abgesehen, das starke Auftreten von Außenseitern wie Albanien, Island, Wales oder Nordirland hat da neue Einsichten geschaffen. Aber so euphorisch, wie die Uefa das Verfahren beurteilt, bewertet der Bundestrainer das Verfahren nicht. "16 Mannschaften waren top", sagt er, "klasse Begegnungen vom ersten Spieltag an." Hoffnung auf die Wiederherstellung dieser Verhältnisse hat er nicht mehr. Es werde "keinen Rückgang" geben, prophezeite er, erneut mit kulturpessimistischem Unterton.

Deutsche Nationalelf bei der Fußball-EM
:Löws eigener spanischer Weg

Und der führt eben nicht über trickreiche Außenverteidiger - sondern ausschließlich durch die Mitte.

Von Philipp Selldorf

Änderungen in der deutschen Mannschaft

Diese Anflüge von Verdruss hatten aber nichts damit zu tun, dass Löw am Dienstagnachmittag im Prinzenpark bei der von der Uefa vorgeschriebenen Pressekonferenz fehlte. Eine aus Évian importierte Erkältung hielt ihn von dem Termin ab. Anstelle von Löw erklärte daher dessen Assistent Thomas Schneider, dass es bei der Aufstellung der deutschen Mannschaft einige Änderungen geben könne, dass über diese eventuellen Änderungen aber auf gar keinen Fall etwas verraten werde.

Ob statt des falschen Neuners Mario Götze der echte Neuner Mario Gomez spielt, ob - wie so viele spekulieren - André Schürrle statt Julian Draxler den linken Flügel besetzt, oder ob Leroy Sané sein Turnierdebüt feiert - Schneider hat zu diesen nationalen Sicherheitsfragen die kunstvollsten Allgemeinplätze entworfen. Sané habe gut trainiert - "wie alle Jungs hier", verriet er.

Bloß Mats Hummels hat wissen lassen, dass es in Paris nicht nur ums Spiel gegen Nordirland geht, sondern auch ums geheimnisvolle Achtelfinale - in dem es die Deutschen lieber als Gruppensieger mit einem großen Unbekannten in Lille zu tun bekommen als mit der Schweiz in Saint-Étienne. Hummels: "Nehmen wir mal an, die Polen führen 3:0, und bei uns steht es 1:0. Dann wären wir theoretisch Zweiter. Dann werden wir uns sicher nicht verschanzen, sondern auf das zweite Tor gehen."

© SZ vom 21.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Deutsche Nationalelf
:Löw deutet Schweinsteiger-Einsatz an

Darf der DFB-Kapitän gegen Nordirland wieder ran? "Ich denke schon", sagt der Bundestrainer. Dafür gibt es zwei Wackelkandidaten.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: