Deutsche Basketball-Nationalmannschaft:Rotzig gegen die Lobhudelei

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Immer ein Pass voraus: Heiko Schaffartzik (Foto: dpa)

Nach dem überraschenden Sieg gegen Frankreich zum EM-Auftakt bemühen sich die deutschen Basketballer, die Euphorie in die richtigen Bahnen zu lenken. Kapitän Heiko Schaffartzik reagiert rotzig, Trainer Frank Menz widerspricht seinen Kritikern.

Von Ralf Tögel, Ljubljana

Um 22.40 Uhr war der erste Arbeitstag der deutschen Basketball-Nationalmannschaft zu Ende. Ein bisschen durfte die Mannschaft schon kosten von dem Gefühl, wie es ist, wenn man Großes im Sport vollbringt. Ein recht neues Gefühl für die deutschen Spieler, denn Bundestrainer Frank Menz hat bei der Europameisterschaft in Slowenien ein Ensemble an den Start gebracht, das zu solchen Leistungen bisher noch gar keine Gelegenheit hatte. Für die meisten Spieler ist es nämlich das erste internationale Turnier ihrer Karriere - und der Start in selbiges hätte spektakulärer nicht gelingen können.

Mit 80:74 Punkten hat das junge deutsche Team Favorit Frankreich bezwungen und damit die erste Sensation der EM fabriziert. Selbst Tony Parker Superstar, hoch dekorierter NBA-Profi in den Reihen des Titelkandidaten, konnte das entfesselt aufspielende deutsche Team trotz aller Anstrengungen nicht aufhalten.

Die größte Anstrengung besteht für das deutsche Team nun darin, die Euphorie in die richtigen Bahnen zu lenken, denn dieser Triumph ist trefflich dafür geeignet, den Blick auf das Wesentliche zu vernebeln. Auf Frankreich folgen schließlichh die Gegner Belgien und Ukraine. Kontrahenten der unangenehmen Art, die es erst noch zu schlagen gilt, um dem Triumph gegen den Turnierfavoriten Gewicht zu verleihen. Und die selbstredend sofort steigenden Erwartungen schnell zu dämpfen.

"Das bedeutet überhaupt nix"

Also schickte Menz seinen besten Athleten in die Arena, Routinier Heiko Schaffartzik. Der Mannschaftskapitän erschien in der Mixed Zone mit entschlossenem Blick und parierte alle Versuche der Lobhudelei mit der ihm eigenen Rotzigkeit. Überrascht von der Sensation? Welche Sensation? "Wir haben das nicht für so unmöglich gehalten wie ihr." Die Mannschaft sei immer in der Lage sich Chancen zu erarbeiten, gegen jeden Gegner. Und: "Heute haben wir sie genutzt." Punkt. Aber jetzt geht man doch mit viel Rückenwind in die nächsten Spiele? Schaffartzik blickte noch ernster, fast finster: "Das bedeutet überhaupt nix."

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Wenigstens Bundestrainer Frank Menz hatte ein bisschen Mühe, seine Freude zu verbergen: "Natürlich bin ich stolz auf die Mannschaft und glücklich über den Sieg. Aber es gibt nichts zu feiern. Wir kennen schon unsere Grenzen." Eines will der Bundestrainer aber noch loswerden, nach all der Kritik in der Vorbereitung. Zu starke Gegner habe er ausgesucht, war im vorgeworfen worden, zu viele klare Niederlagen kurz vor dem Turnier, so etwas kratze an der Psyche. Menz hatte die Kritik nonchalant weggelächelt. Auch jetzt war ihm nicht nach einer Abrechnung, aber er sagte: "Ich glaube, das war hilfreich."

War es wohl, denn wie die deutsche Mannschaft auftrat, lässt kaum Raum für Kritik. Von der ersten Sekunde an war das Team hellwach, die Franzosen wurden regelrecht überrumpelt. Das gab auch Trainer Vincent Collet zu: "Wir sind sehr langsam ins Spiel gekommen, das hat ihnen geholfen, Selbstvertrauen zu tanken. Wenn der Gegner 60 Prozent aus dem Feld trifft, dann hat man etwas falsch gemacht."

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Was natürlich zum Großteil am Gegner lag, denn die Deutschen spielten im ersten Viertel nahezu fehlerlos. Der 27:14-Vorsprung brachte die Franzosen früh ins Grübeln, was sich zunehmend verstärkte, weil das deutsche Team jederzeit dagegenhalten konnte. Mehrfach wurde die Partie eng, die bessere Antwort aber hatte stets der Außenseiter parat. Als Nicolas Batum, einer der vier französischen NBA-Profis, die Partie drei Minuten vor dem Ende zu drehen schien, ebnete der Neu-Münchner Lucca Staiger (14 Punkte) mit zwei Dreiern den Weg zum 75:72.

Der überragende Topscorer Robin Benzing (19) machte den Triumph dann mit fünf weiteren Punkten perfekt. Neben den beiden Bayern-Spielern punkteten noch Tibor Pleiß (11), Niels Giffey (14) und Schaffartzik (12) zweistellig. Vor allem Debütant Giffey überraschte mit einer unglaublichen Quote: Der 22-Jährige brachte jeden Wurf ins Ziel und holte fünf Rebounds. Schaffartzik führte gekonnt Regie, sammelte elf Assists und setzte Glanzlichter mit spektakulären No-Look-Pässen.

Auf Seiten der Franzosen, die die Niederlage als heilsamen Schuss vor den Bug abhaken wollen, punktete neben Topscorer Parker (18) nur Mickael Gelabale (11) zweistellig. Vor allem Parkers Teamkollegen vom NBA-Finalisten San Antonio Spurs, Nando de Colo (9) und Boris Diaw (7), blieben vieles schuldig.

Es war bereits halb zwölf, als sich der deutsche Mannschaftsbus in Richtung Teamhotel in Bewegung setzte. Eskortiert von zwei slowenischen Polizeimotorrädern - ganz wie es sich für große Sieger gehört.

Auch nach dem Überraschungserfolg gegen die Franzosen bleiben Belgien und die Ukraine die Gegner, die es für die Deutschen zu schlagen gilt. Diese beiden Kontrahenten standen sich vor der Partie der Deutschen gegenüber, in einem engen Spiel zweier defensivstarker Mannschaften setzte sich die Ukraine, die zur Pause noch mit zehn Punkten im Rückstand lag (26:36), letztendlich etwas glücklich durch.

Die Belgier lagen im gesamten Spielverlauf meist deutlich vorne, doch drei Sekunden vor dem Ende gelang Eugene Jeter dem Dritten, passender Weise mit einem Dreipunktespiel, die Entscheidung. Der eingebürgerte Amerikaner ist der jüngere Bruder der amerikanischen Sprinterin Carmelita Jeter, die bei der Weltmeisterschaft im August Bronze gewonnen hat und die zweitschnellste Frau aller Zeiten über 100 Meter ist.

Topscorer der Ukrainer war Ihor Zaytsev (16) vor Sergii Gladyr (11), größter Trumpf der Ukrainer war ihre Physis unter dem Korb. Acht Spieler im Team der NBA-Trainerlegende Mike Fratello, der seit 2011 ukrainischer Cheftrainer ist, sind zwei Meter oder länger, angeführt wird die Garde von Center Artem Pustovyi, der 2,18 Meter misst.

Trotzdem sahen die Belgier, deren beste Scorer Jonathan Tabu (13) und Christophe Beghin (14) waren, lange wie der sichere Sieger aus, ehe sie in den letzten Minuten die Partie aus der Hand gaben und einfache Würfe ungenutzt ließen.

Auch das Eröffnungsspiel der Gruppe A hatte viel Spannung zu bieten, dafür aber wenig Niveau. Vor allem das israelische Team, das bis dato als Wundertüte der Gruppe galt, enttäuschte bei der 71:75-Pleite nach Verlängerung gegen Großbritannien auf der ganzen Linie. Vor der Partie noch hatte Englands Forward Myles Hesson versprochen, dass "wir einige überraschen werden". Hesson, der 14 Punkte erzielte, wechselt in der Bundesliga in der kommenden Saison von Ulm zu den Gießen 64ers, er kennt also auch die meisten deutschen Spieler bestens.

Die Israelis jedenfalls haben die Briten bereits übertölpelt, bei denen neben Hesson noch Kyle Johnson (22) und Kieron Achara (18) zweifach punkteten. Im israelischen Team blieb besonders NBA-Profi Omri Casspi (13, Houston Rockets) hinter den Erwartungen zurück. Auch Kapitän Yotam Halperin (12), der vom FC Bayern München nach Tel Aviv gewechselt war, sowie Topscorer Afik Nissim (17, Hapoel Eliat), konnten die Pleite nicht verhindern.

Israel dürfte damit im Kampf um den Einzug in die zweite Runde bereits entscheidend an Boden verloren haben, zumal das älteste Team der EM (29,1 Jahre im Durchschnitt) den schlechtesten Eindruck in der Gruppe hinterlassen hat.

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