Debatte um olympisches Fußball-Team:Wir sind Briten! Nein, sind wir nicht!

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Angeführt vom Engländer David Beckham und vom Waliser Ryan Giggs könnte eine gesamtbritische Fußball-Auswahl bei den Olympischen Spielen in London moderne Völkerverständigung betreiben. Doch auf der Insel finden längst nicht alle Gefallen an dieser Vorstellung - Trainer Stuart Pearce steht vor einer schweren Aufgabe.

Nachdenklich blickte Stuart Pearce in das weite Rund des Londoner Wembley-Stadions. Der Trainer des britischen Fußball-Olympia-Teams mochte sich kürzlich bei einem Ortstermin nicht wirklich freuen. Auf dem Weg zu den Olympischen Sommerspielen in London haben Pearce und sein "Team GB" mit vielen Widerständen zu kämpfen. Von vielen Seiten hatte es harsche Kritik für das ehrgeizigste Fußball-Projekt in Großbritannien seit der Einführung der Premier League (1992) gegeben.

David Beckham würde so gerne - ob er als Kapitän die britischen Auswahl in London anführen darf, ist aber noch unklar. (Foto: AFP)

Die Nationalverbände von Nordirland, Schottland und Wales sehen in dieser Mannschaft eine Bedrohung ihrer sportlichen wie institutionellen Eigenständigkeit. Zusammen mit den Engländern zu spielen, passt nicht in ihr Selbstverständnis. "Schottische Spieler, die bei Olympia antreten, könnten bei ihren Fans von der Tartan Army in Ungnade fallen", befürchtet Stewart Reagan, Geschäftsführer der Scottish FA. In mehreren Stadien in Schottland und Wales hatte es zuvor Proteste gegen das britische Einheitsteam gegeben.

Verbandsobere und Branchengrößen wie Manchester Uniteds schottische Trainerlegende Sir Alex Ferguson (ein überzeugter Labour-Wähler) distanzierten sich von der Auswahl. "Ich finde es traurig, dass die Verbände das Team ablehnen", erklärte Pearce der BBC, "denn bei der Fifa hat niemand ihre Unabhängigkeit angezweifelt."

Dabei wäre der Auftritt der Briten in ihrer Heimat vielleicht auch eine große Chance: Erstmals seit 1960 startet das Vereinigte Königreich bei Olympia 2012 wieder mit einer Fußball-Auswahl. Die könnte zu einer publikumswirksamen Show werden, denn alte Helden wie David Beckham oder Ryan Giggs sollen das "Team GB" zu olympischen Ehren führen.

Als Pearce sich an die Arbeit machte, diesen interessanten Mix aus vier Mannschaften zu bilden, die normalerweise eigenständig an den Wettbewerben der Fifa und Uefa teilnehmen, war die Resonanz noch äußerst positiv. Das Votum der 191 kontaktierten Spieler fiel überwältigend aus. Trotz aller Widrigkeiten bekam der 49-jährige Coach im Januar die Zusage von 184 Profis aus allen Ecken der Insel. Auch die Waliser Gareth Bale von Tottenham Hotspur und Aaron Ramsey, beim FC Arsenal Teamkollege des deutschen Nationalspielers Per Mertesacker, wollen dabei sein.

Prominenteste Befürworter des britischen Olympia-Abenteuers sind jedoch Beckham vom US-Profiklub Los Angeles Galaxy und Ryan Giggs von Manchester United, der in seiner illustren Karriere einen Makel hat: Nie spielte er bei einem großen internationalen Turnier.

Mit der Führung der britischen Auswahl könnte sich der 38-jährige Giggs fast fünf Jahre nach seinem Abschied aus der walisischen Nationalmannschaft einen Traum erfüllen. Eine Sonderregelung lässt die Teilnahme von älteren Spielern ("Over Agers") wie Giggs und dem 36-jährigen Beckham zu.

Da das Internationale Olympische Komitee im Gegensatz zur Fifa und zur Uefa nur eine Mannschaft pro Nation zulässt, ist es für die vier britischen Verbände nicht möglich, ihre eigenen Teams zu Olympia zu schicken - Schotten wie der Tennisprofi Andy Murray müssen daher unter britischer Fahne antreten. Bis 1972 gab es eine gemeinsame britische Amateur-Nationalmannschaft, die den Fußball-Olympiasieger von 1908 und 1912 bei Olympischen Spielen hätte vertreten können.

Nach 1964 aber konnte sich das Vereinigte Königreich nicht mehr für Olympia qualifizieren und so wurde ab 1976 auf die Teilnahme verzichtet. Für Londons OK-Chef Sebastian Coe hat das Turnier bei den Spielen in London jetzt aber eine hohe Signalwirkung: "Fußball ist ein Teil unserer nationalen Seele", sagte der ehemalige Weltklasse-Leichtathlet der Zeitung The Guardian.

Der Konflikt zwischen Coach Stuart Pearce und den britischen Verbänden lässt jedoch kaum olympische Vorfreude aufkommen. Vor allem wegen Beckham zanken sich die verschiedenen Völker auf der Insel. "Er wird dem britischen Team mit Sicherheit helfen", sagt der Fußball-Ökonom Tom Cannon von der Universität Liverpool, "aber Beckham ist eine englische Symbolfigur und schottische, nordirische oder walisische Fans werden ihn ungern in der Mannschaft sehen wollen."

Für Beckham selbst ist Olympia eine Frage der Ehre. "Es wäre für mich etwas ganz Besonderes, dieses Team zu führen", sagte der im Londoner Osten aufgewachsene Mittelfeldspieler. Ob er dabei sein wird, ist noch ungewiss. Pearce hat bis zum ersten Anstoß am 26. Juli in Manchester andere Probleme. Der 78-fache englische Nationalspieler, den sie früher "Psycho" nannten, muss aus rund 180 Kandidaten einen 18-Mann-Kader bilden. Außerdem jobbt er in diesen Tagen nebenbei als Übergangs-Nationaltrainer der englischen EM-Elf, nachdem Fabio Capello zurücktrat. Ob sich Pearce wenigstens darüber freute, ist nicht überliefert.

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