Streit im belgischen Nationalteam:Gekränkte Eitelkeiten

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Einer der besten Torhüter der Welt: Thibaut Courtois (Mitte) aus Belgien. (Foto: Kurt Desplenter/Belga/Imago)

Belgiens Torwart Thibaut Courtois reist plötzlich von der Nationalmannschaft ab. Weil er wegen einer Kapitänsentscheidung beleidigt ist, sagt Nationaltrainer Domenico Tedesco. Unsinn, sagt Courtois und wehrt sich heftig.

Von Sven Haist, London

So richtig zufrieden wirkte Thibaut Courtois am Samstag nicht, sowohl vor als auch nach Belgiens 1:1 gegen Österreich in der EM-Qualifikation. Die Laune des Nationaltorwarts, der sich immerzu nicht ausreichend wertgeschätzt fühlt, hatte weniger mit dem Spiel und dessen Resultat zu tun als mit seiner persönlichen Situation. Vor dem Heimspiel wurde Courtois aus Anlass seines bereits bei der WM 2022 absolvierten 100. Länderspiels für Belgien vom Königlichen Fußballverband ausgezeichnet. Seine Freundin überreichte ihm unter anderem eine kleine Trophäe und Blumen. Doch der Gesichtsausdruck des Weltklassetorhüters drückte Zerknirschung aus (was seiner tadellosen Leistung anschließend keinen Abbruch tat). Nach Abpfiff schlug Courtois dann gut sichtbar mit der Faust auf die Auswechselbank ein und stellte anschließend seinen Trainer, den Deutschen Domenico Tedesco, zur Rede. Denn dieser schien ihm diesen besonderen Tag vermasselt zu haben - weil er sein Land nicht als Kapitän auf den Platz führen durfte.

In Abwesenheit des verletzten Spielführers Kevin De Bruyne, dem Amtsnachfolger des zurückgetretenen Eden Hazard, musste sich Tedesco, 37, für die beiden EM-Qualifikationsspiele gegen Österreich und Estland am Dienstag bei der Kapitänswahl zwischen den Stellvertretern Courtois (Real Madrid) und Romelu Lukaku (Inter Mailand) entscheiden. Im Gespräch mit den beiden legte Tedesco vorab fest, Lukaku solle die Binde im Spitzenspiel gegen Österreich tragen und Courtois in Estland. Obwohl es angeblich zunächst keine Einwände gab, sah es später so aus, als würde dem verdienten Courtois die ziemlich ungeschickte Aufteilung seines Trainers missfallen. Als Konsequenz entschied sich der 31-Jährige offenbar, vorzeitig aus dem Quartier der Nationalmannschaft abzureisen. Von diesem Entschluss zeigte sich Tedesco am Montag "überrascht und schockiert" und begründete die Abreise erstaunlich offen damit, dass Courtois "beleidigt und enttäuscht" sei. Er, Tedesco, wünschte sogar, Courtois' Abwesenheit sei "einer Verletzung" geschuldet, aber er könne nicht "lügen".

Die Schilderung der Ereignisse, die Tedesco wohl unfreiwillig provokant vortrug, empfand Courtois offenbar als eklatanten Angriff auf die eigene Ehre. Wenige Stunden später konterte Courtois in einer Instagram-Nachricht, dass die Darstellung des Trainers "nicht der Realität" entspreche. Denn er selbst habe sich am Tag nach dem Spiel einer Untersuchung wegen eines Problems im rechten Knie unterzogen. Gemeinsam sei daraufhin mit den medizinischen Betreuern entschieden worden, das Trainingslager zu verlassen.

Im selben Schreiben griff Courtois Tedesco weiter an, indem er sich "zutiefst enttäuscht" darüber zeigte, dass jener "ein privates Gespräch" öffentlich gemacht habe. Ihm, Courtois, sei es bei der Unterredung keinesfalls "um einen direkten Vorteil" gegangen. Vielmehr wolle er Situationen vermeiden, die dem Team "in der Vergangenheit geschadet" hätten. Damit dürfte er zweifelsfrei auf die anhaltend starken atmosphärischen Störungen im Kader angespielt haben, die bei der WM zu einem handfesten Zerwürfnis und zum Aus nach der Vorrunde geführt hatten. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, innerhalb des Teams würden zwischen den eitlen Spitzenspielern ähnlich viele Konflikte toben wie in Belgien zwischen Flamen und Wallonen.

Das Missverhältnis in der Mannschaft sollte der neu geholte Tedesco im Zuge eines notwendigen Generationswechsels lösen. Allerdings deutet sich nach viermonatiger Amtszeit an, dass sich die Vorbehalte im belgischen Team gegen ihn verfestigen. Dies liegt zum einen an Tedescos eher unscheinbarer Karriere; zuletzt wurde er im September 2022 nach weniger als einem Jahr bei RB Leipzig abserviert. Und zum anderen mutmaßlich an seiner Entscheidung, den nicht unumstrittenen Lukaku auf derselben Hierarchieebene wie Courtois anzusiedeln. Gerade im Hinblick auf seine zahlreichen Erfolge mit Real Madrid dürfte Courtois dieser Umstand gekränkt haben. Erst kürzlich lobte Tedesco Lukaku überschwänglich als "einen der besten Stürmer der Welt in den vergangenen zehn Jahren". Dabei ist es in der Branche hinlänglich bekannt, wie wenig der sensible Lukaku als Führungskraft geeignet ist. Rechtfertigt dies jedoch Courtois' heftige Reaktion?

Belgiens Rekordnationalspieler Jan Vertonghen, der selbst als stellvertretender Kapitän von Tedesco kürzlich abgesetzt worden war, bekannte diplomatisch, er würde sich so (wie Courtois) nicht verhalten - aber er sei auch nicht der beste Torwart der Welt. Er, Vertonghen, hoffe, dass Courtois bald in die Nationalelf zurückkehre. Ob es dazu kommt? Ein erster Schritt ist getan: Courtois postete ein Bild von sich und Lukaku, das die beiden Arm in Arm beim Singen der Nationalhymne zeigt.

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