Clásico am Sonntag:Rollentausch der Großmächte

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Teurer Neuzugang: Barcelonas Philippe Coutinho. (Foto: Lluis Gene/AFP)
  • Allein in den vergangenen zwei Jahren hat der FC Barcelona mehr als 360 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben, eigene Talente dürfen sich kaum noch beweisen.
  • Der letzte Großtransfer von Real Madrid liegt vier Jahre zurück.
  • Madrid setzt inzwischen auf die eigene Jugend und will die Durchlässigkeit in den Profibereich verbessern.

Von Christoph Söller

In 180 Länder wird die Begegnung übertragen, weltweit werden etwa 600 Millionen Menschen zuschauen - der Clásico zwischen Barcelona und Real Madrid ist das meistbeachtete Fußballspiel der Welt. Sie alle sehen ein Duell, in dem zwei Vereine mit unterschiedlichen Vereinsphilosophien aufeinandertreffen. Lange Zeit war man in Barcelona, das sich als Repräsentant der Region Katalonien versteht, stolz auf die eigene Talentschmiede La Masia. Spieler wie Gerad Piqué, Carles Puyol, Xavi und Andrés Iniesta stammten allesamt aus der eigenen Nachwuchsförderung und prägten jahrelang das Spiel des FC Barcelona. Der schaffte sich damit eine eigene Identät, das Motto més que un club (mehr als ein Verein) wurde zum Programm.

Real Madrid dagegen schmückte sich gerne mit teuren Attraktionen. Die Königlichen gaben regelmäßig Rekordsummen aus, um große Namen in die spanische Hauptstadt zu locken. Für Luís Figo zahlte Real im Jahr 2000 die damals astronomisch hohe Summe von 58 Millionen Euro, später kamen Zinedine Zidane, David Beckham und der brasilianische Ronaldo - die "Galaktischen" wurden zum Motto. Weitere Rekordtransfers wie Cristiano Ronaldo und Gareth Bale folgten. Jedes Jahr bekam das anspruchsvolle Publikum im Santiago Bernabeau neue klangvolle Namen präsentiert.

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Auch Barça kaufte Spieler, etwa Neymar oder Luis Suarez, bildete Leistungsträger aber immer wieder auch selbst aus. Unter anderen einen gewissen Lionel Messi. Der fünfmalige Weltfußballer kam mit 14 Jahren in die katalanische Hauptstadt, wurde in La Masia ausgebildet und ist der Vorzeigeschüler der Akademie. Am Sonntag wird er verletzt fehlen. Das Kapitänsamt übernimmt Sergio Busquets - auch einer aus La Masia.

Zuletzt wurden die großen Transfers in Barcelona getätigt

Vermutlich nur zwei Spieler aus der eigenen Akademie (Piqué und Busquets) werden am Sonntag in der Anfangsformation stehen. Im jüngsten Duell im Mai waren es noch sechs. Doch mit 25 Jahren war Sergi Roberto der jüngste unter ihnen, seit geraumer Zeit hakt es in der berühmten Jugendakademie. Der Clásico, oder "die Schlacht um Spanien" wie die Zeitung Marca das Spiel einst taufte, steht auch unter dem Vorzeichen veränderter Transferphilosophien beider Klubs. Der letzte Großeinkauf Reals ist über vier Jahre her. Für den WM-Torschützenkönig von 2014, James Rodríguez, zahlte der Hauptstadtklub knapp 80 Millionen Euro an den AS Monaco, mittlerweile wurde er an den FC Bayern verliehen. Seitdem machte nicht Real, sondern Barça mit teuren Verpflichtungen auf sich aufmerksam.

Im Januar wechselte Phillipe Coutinho aus Liverpool in die katalanische Hauptstadt für eine von britischen und spanischen Medien geschätzte Ablöse von etwa 120 Millionen Euro. Und einige Monate zuvor, im August vergangenen Jahres, sicherte sich Barcelona nach wochenlangem Hin und Her die Dienste von Ousmane Dembélé. Dafür zahlte der spanische Meister an Borussia Dortmund 105 Millionen Euro als Sockelablöse, zu denen noch Bonuszahlungen von rund 40 Millionen Euro hinzukommen können. Auch der Kauf von Bayern-Spieler Arturo Vidal ist ein barça-untypischer Transfer. Vidal, ein eher raubeiniger Provokateur, passt so gar nicht in das filigrane Kurzpassspiel der Katalanen. Deswegen sitzt er meist auf der Bank.

Real Madrid arbeitet an einer besseren Durchlässigkeit

Wahrscheinlich ist, dass Real Madrid in Zukunft wieder kräftig zupackt auf dem Markt, wenn die Erfolge ausbleiben. Doch vor dem 293. Clásico ist ein Rollentausch der beiden Großmächte unverkennbar. Der Hauptstadtklub setzt inzwischen auf junge Spanier wie Marco Asensio und Isco und fördert den eigenen Nachwuchs. Lucas Vázquez ist das beste Beispiel für die gewachsene Durchlässigkeit zwischen Jugendbereich und Profiteam und mit Verteidiger Nacho Fernández hat es sogar ein echter Madrileño in die 1. Mannschaft geschafft.

"90 Prozent der A-Jugendspieler kommen aus Madrid und Umgebung", erklärt Stefan Kohfahl. Der gebürtige Hamburger ist Direktor der Real Madrid Foundation Clincs Western Europe, der offiziellen Fußballschule der Königlichen in acht europäischen Ländern, darunter auch Deutschland. Anders als bei den Profis, gehe es im Nachwuchsbereich nicht darum, jeden Erfolg mitzunehmen, sondern in Ruhe Spieler auszubilden.

Das war lange Zeit auch das Konzept in Barcelona. Der Verein spielte jahrzehntelang im 4-3-3-System, das auf dominantem Ballbesitz basierte. Rinus Michels führte es in den 1970er Jahren in Barcelona ein, nachdem die Nationalelf der Niederlande und Ajax Amsterdam damit für Aufsehen gesorgt hatten. Unter Johann Cruyff, in den achtziger und neunziger Jahren Trainer bei Barça, wurde der totale Fußball endgültig etabliert und später unter Pep Guardiola perfektioniert.

In all den Jahren durfte freilich jeder Trainer seine eigene Handschrift einbringen, aber die Grundausrichtung war unumstößlich. Unter Cruyffs Leitung wurde der gesamte Verein an dieser Spielphilosophie ausgerichtet. In La Masia wurden junge Spieler perfekt auf die seit Jahren gepflegte Spielkultur der 1. Mannschaft vorbereitet. Alle, die in der Akademie ausgebildet wurden, sollten am Ende auch die sportliche DNA des Klubs in sich tragen, so die Idee.

Die Ausbildung Barças galt lange Zeit als beispielhaft, doch inzwischen ist man vom Universalansatz abgerückt, es geht nicht mehr nur um die Pflege einer Spielkultur, sondern auch um nachweisbare Erfolge. 2014 und 2018 gewann die Jugend des FC Barcelona die Uefa Youth League, das Pendant zur Champions League. "Da ging es um Titel, aber nicht um die Zukunft", meint Kohfahl. Bei Real dagegen verfolge man einen "langfristig angelegten Ausbildungsweg". Seit 2005 trainieren in Valdebebas im Nordosten der Hauptstadt die Nachwuchsspieler mit den Profis. Laut Uefa Ranking hat Real Madrid inzwischen sogar die beste Nachwuchsarbeit in ganz Europa - gemessen an der Anzahl der ausgebildeten Spieler, die in Europas fünf besten Ligen spielen.

"Wir bieten den Jungs die fußballerische Ausbildung und seelische Rückendeckung"

Sechs Spieler mit madrilenischem Stallgeruch stehen im aktuellen Profikader und die nächsten Jahre "gehören ganz klar Real Madrid", prophezeiht Kohfahl, der das allerdings durch die Vereinsbrille beurteilt: "Es stehen schon ganz viele Talente Schlange." Ehemalige Spieler wie Raul oder Xabi Alonso sind Trainer in La Fabrica, der Talentfabrik von Madrid. Doch nicht nur auf die sportliche Ausbildung, auch auf soziale Kompetenzen legt man dort Wert.

"Sin respeto no hay juego" - das wird den Nachwuchskickern von klein auf beigebracht. Ohne Respekt gibt es kein Spiel. "Die Jungs müssen begleitet werden, sonst schafft man eine Profikarriere bei Real nicht", sagt Kohfahl: "Wir bieten ihnen die fußballerische Ausbildung, aber auch die seelische Rückendeckung, die sie brauchen." Dieser ganzheitliche Ansatz ist nicht neu - bei Barça verfolgen sie ihn schon lange. Eine Garantie, dass es talentierte Jungs dann auch tatsächlich bis ganz nach oben schaffen, ist das nicht.

In Katalonien verfolgen Fans und Verantwortliche die Krise im Nachwuchs mit wachsendem Unbehagen. Zwar ist allen bewusst, dass Xavi, Iniesta und Messi Ausnahmespieler waren, doch neue Schmuckstücke aus der eigenen Akademie haben den Klub aufgrund fehlender Perspektive bereits verlassen. Adrián Bernabé, Jahrgang 2001, wechselte zu Manchester City, Jordi Mboula, nur zwei Jahre älter, wurde nach Monaco abgegeben und Sergio Gomez will künftig beim BVB durchstarten. Und der legitime Nachfolger von Andrés Iniesta, Thiago Alcantâra , reifte in München zum Weltstar. Im Sommer hätte er sich eine Rückkehr zu seinem Heimatklub vorstellen können. Doch Barça verzichtete.

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