Springreiten:Tradition oder Zirkusmanege

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Auch für Maurice Tebbel aus Deutschland auf 'Quasi Top' ist Aachen immer ein Höhepunkt. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Für die Springreiter waren die Wettbewerbe in der Aachener Soers immer ein Höhepunkt. Nun aber konkurrieren andere Turniere mit lukrativen Preisgeldern.

Von Gabriele Pochhammer

Wovon träumen junge Springreiter? Wahrscheinlich vom Olympiasieg. Wahrscheinlich aber auch davon, einmal in Aachen für Deutschland zu reiten, im Nationenpreis bei Flutlicht vor mehr als 40 000 Zuschauern. Wer das darf, der gehört dazu, zur Elite im Roten Rock. So war es jedenfalls über viele Jahrzehnte, inzwischen aber bekommt Bundestrainer Otto Becker immer häufiger einen Korb, weil die Reiter, die er gerne im Team hätte, auf anderen lukrativeren Turnieren unterwegs sind. Vor allem die hochdotierte Global Champions Tour (GCT) ist beliebt, zudem der dazugehörige Mannschaftswettbewerb Global Champions League (GCL).

Otto Becker wollte eigentlich Christian Kukuk in die Aachen-Mannschaft berufen. Doch der Top-Bereiter im Stall von Ludger Beerbaum und Teil des GCL-Teams "Riesenbeck", sagte ab. Offizieller Grund war der Boden: In Aachen wird auf Rasen geritten, auf fast allen Plätzen der Global Tour hingegen auf Sand. Kukuks Pferd Mumbai läuft zurzeit ohne Eisen, wie andere Spitzenpferde auch. Gras wird bei Regen schnell rutschig, dann müssen den Pferden Stollen in die Hufeisen gedreht werden. "Und eigens für Aachen das Pferd beschlagen lassen, wollte er nicht, dafür habe ich Verständnis", sagt Otto Becker.

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Um Kukuk trotzdem für die EM in Mailand im September im Auge zu behalten, sollte er beim Nationenpreis von CHIO Rotterdam eine Woche zuvor auf Sand starten. Doch auch hier sagte Kukuk ab. Er musste für einen verletzten Reiter des GCL-Riesenbeck-Teams in Stockholm einspringen - sonst hätte eine Konventionalstrafe gedroht, so sehen es die Verträge vor. "Das ist sehr unglücklich, eine Notsituation", sagt Becker vorsichtig. Das Riesenbeck-Team führt in der GCL-Saisonwertung, Kukuk liegt in der Einzelwertung auf Platz drei, und alle wollen zum Finale nach Prag im Herbst, wo ein Preisgeld insgesamt in zweistelliger Millionenhöhe möglich ist. Die Prioritäten sind also offensichtlich. Statt in der Soers wird Kukuk nun an diesem Wochenende bei der Global Station in Cannes reiten, auf den Rängen die Fürstenfamilie, die Arena unwesentlich größer als eine Zirkusmanege.

Sportpferde dürfen nicht überfordert werden. Zuerst geht es um ihre Gesundheit

Otto Becker muss sich mit den Fakten arrangieren. Auch Erfolge in der Global Tour zählen für ihn, aber Nationenpreise mit zwei Umläufen seien weit wichtiger. "Beides ist auf Fünfsterne-Niveau, aber der Nationenpreis mit zwei Runden und dann noch der Große Preis von Aachen am Sonntag - da sehe ich doch weit mehr."

Zur Mannschaft zählen drei Reiter, die, obgleich vielfach erfolgreich, im Aachen-Team debütieren: Mario Stevens auf Starissa, Hans-Dieter Dreher auf Elysium, und Gerrit Nieberg auf Ben, plus Routinier Marcus Ehning auf Stargold und Jana Wargers auf Limbridge, die schon im vergangenen Jahr zum siegreichen Team zählte. Welche vier davon am Donnerstagabend reiten, will Becker nach den ersten Turniertagen entscheiden.

Der niederländische frühere Springreiter Jan Tops hat mit der von ihm inszenierten Global Champions Tour einen millionenschweren Parallel-Sport geschaffen, der immer stärker in das traditionelle Turniergefüge eingreift. "In den letzten sechs Wochen gab es sechs GCT-Turniere und sechs Nationenpreise, alle auf Fünfsterne-Niveau. Wie soll das gehen? Langfristige Planungen werden immer schwieriger", sagt Otto Becker. Er hat bereits Olympia 2024 in Paris im Auge und möchte schon zu Saisonbeginn mit den Reitern die Einsätze der Spitzenpferde auf dem Weg dahin absprechen. Sie dürfen nicht überfordert werden, das ist keine Frage des Geldverdienens, sondern vor allem der Pferdegesundheit und damit des Tierschutzes.

Das hat der Weltverband FEI vielleicht verdrängt, als er die Global Tour genehmigte. "Die FEI hat die Nationenpreise jahrelang vernachlässigt und das Dilemma herbeigeführt", sagt Becker. Eine neue hochdotierte Superliga der Nationenpreise soll dem entgegensteuern, in Europa werden nur vier Turniere daran beteiligt ein. Wer das sein wird, steht noch nicht fest. Und es ist zu befürchten, dass nicht sportliche Kriterien den Ausschlag geben, sondern finanzielle.

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