Union Berlin bei Real Madrid:Die Pointe gerät fatal

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Dann war es doch noch passiert: Jude Bellingham schafft den Ball irgendwie über die Linie - das 1:0 für Real gegen Union. (Foto: Thomas Coex/AFP)

Bei seinem Champions-League-Debüt schafft es Union Berlin, bis in die Nachspielzeit ein torloses Remis beim Rekordsieger Real Madrid zu halten. Doch dann trifft ein alter Bekannter aus Bundesligatagen.

Von Javier Cáceres, Madrid

Die Reisekader des 1. FC Union Berlin begannen ihren erstmaligen Trip durch die Champions League an symbolträchtigen Stätten. Ganz in der Nähe des edlen Mannschaftshotels trafen sich die Fans der Unioner an der Puerta del Sol und machten auf dezente Weise Radau. Auf dem Platz vor dem Sitz der Regionalregierung ist ein Stein eingelassen, der den "Kilómetro cero" markiert: den Nukleus des radialen Straßensystems Spaniens. Die Mannschaft Unions fand sich am Abend an einem anderen "Kilometer Null" wieder, dem "Kilómetro cero" der Champions League.

Im Estadio Santiago Bernabéu, Heimstatt des 14-maligen Rekordsiegers. Das Königsklassendebüt der Berliner hinterließ dann einen bitteren Nachgeschmack. Denn nachdem die Unioner Real Madrid bis in die vierte Minute der Nachspielzeit standgehalten hatten, kam das Heimteam durch ein absurdes Tor doch zu einem 1:0-Sieg. Real Madrid ist und bleibt halt doch Real Madrid.

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Unions Trainer Urs Fischer hatte die Abwehr notgedrungen umbauen müssen. Robin Knoche musste verletzt daheimbleiben. Das sorgte für ein Promi-Debüt bei Union: Der Italiener Leonardo Bonucci, der sich bei Union bislang nur hatte warm machen dürfen, dirigierte die Defensive. Mag sein, dass das den fünf Champions-League-Debütanten in den Reihen Unions Sicherheit verlieh. Bonucci hatte bis zum Mittwoch 84 Einsätze im wichtigsten Klubwettbewerb der Welt aufzuweisen und allein gegen Real Madrid schon fünf Mal gespielt. Zuletzt 2015, auf der letzten Etappe vor dem Finale von Berlin, das Juventus gegen den FC Barcelona verlor. Aber womöglich war das eine unangebrachte oder übertriebene Interpretation. Denn wenn Union vom Start weg und bis zum Ende etwas nicht war, dann rotwangig oder schüchtern.

Im Gegenteil. "Heute braucht's viel Mut", hatte Fischer vor Beginn der Partie erklärt, und solche Worte müssen auch in der Kabine gefallen sein. Schon in der dritten Minute ließen die Berliner aufhorchen. Bonucci öffnete das Feld mit einem Pass in die Tiefe auf Sheraldo Becker, und wäre Real Madrids Verteidiger Antonio Rüdiger nicht auf der Hut gewesen, hätte Kevin Behrens eine großartige Chance gehabt.

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Was folgte, waren zunächst zwei Kopfbälle des einstigen Bundesligaprofis Joselu (Hoffenheim/Eintracht Frankfurt), der den Flanken von Jude Bellingham (3.) und Lucas Vázquez einen Sinn verlieh. Und eine Defensivleistung der Berliner, die den Matchplan von Urs Fischer und seinem Trainerteam adelte. Union spielte ohne Komplexe und - bei aller Fixierung auf die Defensive - auch nach vorn mit wohltemperiertem Mut.

Union vermochte es, die Räume derart umsichtig zu verengen, dass Real zusehends verzweifelte. Lucas Tousart, der sein Startelfdebüt feierte, und Alex Kral patrouillierten im defensiven Mittelfeld so verlässlich und wachsam, dass den Madrilenen kaum etwas einfiel. Der Ex-Dortmunder Bellingham, den die Presse in Madrid wegen seines Trikots mit der Rückennummer 5 und dem guten Saisonstart als neuen Zidane verklärt, fand kaum statt.

Das Bild änderte sich kurz nach der Pause, als Reals Rodrygo daran erinnerte, dass er auch auf dem Platz stand. Erst rannte er nach einem Lupfer von Vázquez auf Rönnow zu und schoss dem Union-Torwart aus kurzer Distanz auf die Brust (51.); wenige Sekunden später setzte er den Ball per Scherenschlag an den Pfosten. In der 63. Minute hallte neuerlich ein "Uyyyy" durchs Bernabéu, weil ein Kopfball Joselus von Rönnöw spektakulär an den Pfosten gepatscht wurde (63.). Rönnow war auch sechs Minuten später wieder präsent, als er einen 20-Meter-Schuss von Luka Modric über die Querlatte lenkte (69.).

Sheraldo Becker (Mitte) und seine Berliner brauchten sich wahrlich nicht zu schämen für ihren Auftritt. (Foto: Gonzalo Arroyo Moreno/Getty Images)

Zu diesem Zeitpunkt hatte Real-Trainer Carlo Ancelotti eingesehen, dass seiner Mannschaft trotz der Chancen ordnende Ideen und Füße fehlten: Fede Valverde und Toni Kroos wurden eingewechselt. Erst danach verwandelte sich das Spiel definitiv zu einer Abwehrschlacht für die Berliner.

Die Unioner überstanden noch zwei Situationen, die Herzrasen verursachten. Joselu schoss im Strafraum gegen die Hand, mit der sich Union-Verteidiger Danilho Doekhi abgestützt hatte, was Proteste der Madrilenen nach sich zog. Der Norweger Espen Eskes ließ weiterspielen. Dann verzog Joselu mit einem Drehschuss nur knapp (83.).

Die Pointe aber, sie geriet fatal: Nach einer kurz ausgeführten Ecke landete der Ball bei Valverde, dessen Schuss prallte vom Schienbein des eingewechselten Paul Jäckel an die Wade von Kral und von dort wieder zurück, ehe Bellingham den Ball zum Siegtreffer über die Linie ins leere Tor drücken konnte. Mochte der Flipper-Treffer auch ein Stich ins Herz gewesen sein - auf der Nordtribüne feierten die Union-Fans dennoch ihre Mannschaft nach Art des Hauses: mit gehörigem Stolz.

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