RB Leipzig:Die neue Philosophie scheint durch

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RB-Mittelfeldspieler Tyler Adams brachte Paris Saint-Germain mit einem Fehlpass zurück ins Spiel. (Foto: Christophe Ena/AP)

RB Leipzig hat nach dem 2:3 gegen PSG enorm schlechte Chancen auf ein Weiterkommen in der Champions League. Trotzdem demonstriert der Klub großen Stolz in Paris - auch weil die Ideen von Trainer Jesse Marsch immer mehr umgesetzt werden.

Von Javier Cáceres, Paris

Die Dimension der Chance, die RB Leipzig am Dienstagabend in Paris liegen gelassen hatte, ließ sich vielleicht am besten bemessen, als Mauricio Pochettino kurz vor Mitternacht im Presseraum des Prinzenparkstadions seine Botschaften streute. So vorsichtig, zart und subtil, dass man meinen konnte, der Trainer von Paris Saint-Germain wolle vor allem dies vermeiden, jemanden aus seinem sündhaft teuren Ensemble in seiner Eitelkeit zu verletzen.

3:2 (1:1) hatte PSG gegen RB Leipzig gewonnen und die mühsam errungene Tabellenführung in der Gruppe A der Champions League verteidigt. Seine Mannschaft habe Charakter gezeigt, sagte Pochettino, weil sie einen 1:2-Rückstand gegen einen, wie er fand, großartigen Gegner gedreht habe. Und weil Paris selbst den Status einer "im Aufbau steckenden Mannschaft", die "noch viel Arbeit vor sich hat", noch nicht überwunden habe. Und, ganz grundsätzlich, weil PSG glücklich sein könne über Führungskräfte wie die Torschützen Kylian Mbappé (9.) und Lionel Messi (67./74.): "Sie bieten Lösungen, wenn die Mannschaft" - Achtung: Kritik! - "kollektiv keine Antworten findet", oder "zu viele nicht erzwungene Fehler" begehe, so der Coach.

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Wie eben gegen Leipzig, als PSG nur "torkelnd zum Sieg" kam, wie die Sportzeitung L'Équipe am Mittwoch befand, oder, wie das gleiche Blatt naserümpfend auf der Frontseite notierte, "von seinen Künstlern gerettet" werden musste, weil das Team "nicht brilliert" hatte, wie eben auch Pochettino eingestand. Die Gelegenheit war für Leipzig also extrem günstig gewesen, dem teuersten Projekt des Weltfußballs beizukommen, es in eine Sinnkrise zu stürzen, mehr als nur "Angst" zu verbreiten, wie Le Parisien bemerkte. Doch am Ende musste Leipzigs Trainer Jesse Marsch eine bittere Wahrheit eingestehen: "Wir haben die Niederlage verdient", lautete sein Fazit, "es war gut. Aber nicht gut genug."

Leipzig legt die erstaunlichen, strukturellen Schwächen von Paris bloß

Marsch bezog sich darauf, dass Leipzig sich die Pleite selbst zuzuschreiben hatte, sich eklatante Fehler leistete und Gegentore heraufbeschwor, die eine schwere Hypothek für die weiteren europäischen Perspektiven von RB bedeuten. Beim frühen 0:1 durch Mbappé war der Bundesligist einem Konter heillos ausgeliefert, in dessen Entstehung zwingend ein Foul von Messi an André Silva hätte gepfiffen werden müssen. Doch Silva war vor den Augen des Schiedsrichters eine Spur zu pompös zu Boden gegangen.

Leipzig kam zurück, legte die erstaunlichen strukturellen Schwächen der PSG-Abwehr bloß und kam, jeweils nach Vorarbeit von Linksverteidiger Angeliño, durch Treffer von Silva (28.) und Nordi Mukiele (57.) zur zwischenzeitlichen 2:1-Führung. Dann aber versuchte sich Leipzigs Mittelfeldspieler Tyler Adams an einem haarsträubenden Rückpass, den Mbappé abfing und zu einer Vorlage für Messi verarbeitete - 2:2. Und dem Pariser Siegtreffer - einem perfekt gelupften Foulelfmeter des ansonsten unscheinbaren Messi - ging ein beinahe infantiles Foul des schon vorher bedenklich schwächelnden RB-Innenverteidigers Mohamed Simakan im Strafraum gegen Mbappé voraus.

Mohamed Simakan "krönte" einen wackligen Auftritt gegen PSG mit einem Foul im Strafraum gegen Kylian Mbappé. (Foto: Anne-Christine Poujoulat/AFP)

"Man kann uns höchstens vorwerfen, dass wir in der ein oder anderen Situation zu naiv, zu jung, zu wild waren", sagte Mittelfeld-Abräumer Konrad Laimer. Aber ansonsten? "Wir können stolz sein auf diese Leistung gegen eine solche Mannschaft, weil wir nicht einen Deut schlechter waren. Eher besser", fügte der Österreicher hinzu. Und das ließ vor allem Stolz erkennen - darüber, dass man die Direktiven von Trainer Marsch gut umgesetzt hatte.

Marsch war ebenfalls begeistert ob der Befolgung des Matchplans, der eine Reihe überfallartiger Angriffe durch Konter umfasste. "Yes!", rief Marsch, als er gefragt wurde, ob die Aufführung seines Teams der Spielidee und Philosophie entsprochen habe, die ihm für RB Leipzig vorschwebe: "Es war unser bestes Spiel in dieser Saison."

Bemerkenswert war Marschs Verve vor allem deshalb, weil das Spiel die bislang wohl eindringlichste Abkehr vom Vorgängermodell in Leipzig bedeutete. Von jener Mannschaft also, die im vergangenen Jahr in jedem Spiel gegen jeden Gegner Protagonist sein wollte, war wenig zu sehen. Leipzig war gewissermaßen der Prototyp eines Oxymorons, das im modernen Fußball um sich greift: eine zwar nach vorn, aber eben doch verteidigende Mannschaft, die sich hinter dem Ball gruppierte. Und auf seinen eigenen Fantasista, Emil Forsberg, fast das ganze Spiel über verzichtete.

Erst als Pochettino PSG neu strukturiert, verliert Leipzig die Oberhand

PSG hatte am Ende knapp 70 Prozent Spielanteile, fand aber vor allem deshalb nicht zu einer erdrückenden Dominanz, weil die Leipziger im Vorfeld die kapitale Bedeutung von Mittelfeldlenker Marco Verratti für das PSG-Spiel erkannt und viel Aufwand betrieben hatten, um den italienischen Europameister von allen Versorgungswegen abzuschneiden. Leipzig presste hoch und brach - "mit viel Energie und Aggressivität", wie Pochettino sagte - den Gegner entzwei: Die Pariser Sturmabteilung mit Messi, Mbappé und Julian Draxler hing lange Zeit in der Luft. Als aber Pochettino nach gut einer Stunde sein Team neu strukturierte, die Außenverteidiger Nuno Mendes (links) und Achraf Hakimi (rechts) nach vorn und Draxler sowie Messi nach innen schob, vermochte es PSG, das Spiel in den Griff zu bekommen. Und zu gewinnen.

Die Folgen der Niederlage für Leipzig sind bemerkenswert. Nicht, dass RB vorab als Favorit einer Gruppe gegolten hätte, in der neben PSG auch Manchester City spielt. Aber derart schlechte Perspektiven auf ein europäisches Fortkommen nach lediglich drei von sechs Spielen musste man nicht erwarten. Leipzig ist punktloser Tabellenletzter der Gruppe A.

"Ich weiß nicht, ob es unmöglich ist, aber es ist sehr, sehr schwer", erklärte Marsch mit Blick auf den Einzug in die K.-o.-Phase. Selbst der Rückstand auf den FC Brügge beläuft sich auf vier Zähler, der dritte Tabellenplatz würde am Ende immerhin das Weiterspielen in einem anderen kontinentalen Wettbewerb bedeuten. "Die Europa League muss noch ein Ziel sein, aber wir müssen auch für diese Position kämpfen", sagte Marsch: "Wir stehen mit dem Rücken zur Wand."

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