Leipzig in der Champions League:"So kann man einfach kein Spiel gewinnen"

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Macht seinem Ärger Luft: Leipzigs Torhüter Peter Gulacsi. (Foto: Adam Pretty/Getty Images)

RB Leipzig drohen früh in der Saison alle Ziele zu entgleiten: Nach dem 1:2 gegen den FC Brügge in der Champions League übt Trainer Jesse Marsch erstmals deutlich Kritik an der Mannschaft.

Von Saskia Aleythe, Leipzig

Nordi Mukiele bewegte sich nicht. Neben ihm verschmolzen blauschwarzgestreifte Trikots zu einer Jubelmasse, Mukiele guckte weder nach links noch nach rechts. Er breitete ein Mal die Arme aus und ließ sie wieder hängen, wirkte dann genauso regungs- wie fassungslos. Der 23-Jährige von RB Leipzig hat schon einige Treffer verhindert in seiner Verteidigerkarriere, aber an diesem Abend gegen den FC Brügge stand er nun da, der Ball von Hans Vanaken fegte zwischen seinen Beinen hindurch, wenig später stand es 1:2. Da lief gerade mal die 40. Minute, aber eines war schon klar: Glück ist eine hinterlistige Angelegenheit.

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Hatten sie nicht gerade erst Hertha BSC mit 6:0 in der Bundesliga zerpflückt und waren befreit über den Rasen gehüpft? Sollte das nicht der Durchbruch gewesen sein in der schwierigsten Findungsphase der jungen Klubgeschichte? Nun, ein Sieg gegen Hertha ist ganz offensichtlich kein Gradmesser für Champions-League-Spiele. "Es ist interessant jetzt", sagte Trainer Jesse Marsch nach dem Spiel gegen Brügge, "wir spielen entweder sehr gut oder sehr schlecht." Und in dem, was er den Abend über dann noch sagte, konnte man schon raushören, dass da einer begann, am eingeschlagenen Weg zu zweifeln. Und sich atmosphärische Spannungen gebildet haben.

Marsch vermisst das Befolgen seines Matchplans und die richtige Mentalität

In der Gruppe mit Manchester City und Paris Saint-Germain sollte Brügge der einfachste Gegner für RB sein, doch nach dem 3:6 in Manchester vor zwei Wochen steht man nun nach der frappierenden Unterlegenheit gegen Brügge weiter mit null Punkten da. "Ich war überrascht, dass wir so schlecht gespielt haben", sagte Marsch, der seinen ersten Herbst in Leipzig erlebt und merkt, dass ihm die Zeit ausgeht, ein neues Team mit neuer Spielphilosophie im laufenden Betrieb zu formen. In der Bundesliga ist man mit sieben Punkten aus sechs Spielen lediglich Zehnter, nun droht auch in der Champions League das rekordverdächtig frühe Aus.

Nach dem frühen 1:0 durch Christopher Nkunku (5. Minute) sei sein Team plötzlich in Hektik verfallen, sagte Marsch. Torhüter Peter Gulacsi erklärte sich die entstandene Unruhe auch mit dem jüngsten Erfolgserlebnis: "Ich glaube, wenn man so ein Spiel mit 1:0 beginnt und am Wochenende 6:0 gewonnen hat, ist es eine gute Situation, das Spiel früh zu entscheiden." Der Wille zum schnellen Glück war da, nur führte dieser zum genauen Gegenteil. "Dann haben wir uns nach jedem Ballverlust selbst runtergezogen und noch mal Selbstvertrauen verloren", sagte Gulacsi. "Jeder gewonnene Ball war in zwei Sekunden wieder weg", sagte er auch, ihm trieb der Frust beinahe die Tränen in die Augen. "So kann man einfach kein Spiel gewinnen."

Selbstfindung ist ein Prozess, nicht linear, das mussten die Leipziger an diesem Abend begreifen: Wo gegen Berlin noch Offensivpower und Kreativität am Werk waren, nahm man sich gegen Brügge fast alle Chancen durch die vielen Fehler. Selbstfindung mit Ball ist einfacher als ohne, selbst die erfahrenen Konrad Laimer und Kevin Kampl ließen Präzision im Zusammenspiel vermissen. Beim Pausenstand von 1:2 habe Marsch seiner Mannschaft gesagt, sie solle ruhig bleiben, simpel spielen, und, auch das habe er ihnen gesagt: "Haltet den Matchplan." Das war dann die erste fundamentale Kritik an seinem Team, "wenn wir das gemacht haben, haben wir gut gespielt. Nicht gefährlich genug, aber zumindest haben wir mehr Spielkontrolle gehabt."

Brügge hat selbst auch einen Umbruch hinter sich

Alarmierender als eine Mannschaft, die nicht nach den Ideen des Trainers spielt, ist eine Mannschaft, die es an Mentalität vermissen lässt. "Bei den zwei Gegentoren haben wir nicht unser Tor gerettet, nicht alles gegeben, um zu Hause eine richtig gute Leistung zu liefern", bemängelte Marsch. Und kam schon bald zu seiner dritten Schlussfolgerung an diesem Abend: "Wir müssen überlegen, was unsere beste Mannschaft ist und vielleicht mehr investieren mit einer Gruppe, die versteht, was wir wollen." Das klang auf Deutsch deutlicher als es vermutlich gemeint war, der US-Amerikaner Marsch ist kein Muttersprachler, aber die Botschaft war klar: Der 47-Jährige wird die Spielanteile in Zukunft weniger ausgeglichen verteilen als zuletzt, er will sich auf eine erste Mannschaft festlegen. Die bestand gegen Hertha zuletzt aus Spielern, die unter Julian Nagelsmann schon Zweiter in der Bundesliga geworden waren, nur Josko Gvardiol hatte es als Zugang in die erste Elf geschafft.

Nun ist es nicht so, dass Leipzig der einzige Verein im internationalen Fußball ist, der sich im Umbruch befindet, der Vergleich war naheliegend an diesem Abend: Brügge selbst hatte zwar nicht den Trainer im Sommer gewechselt, wohl aber etliche Spieler dazu geholt, von denen nun vier in der Startelf standen, ein fünfter wurde eingewechselt. Was es an Abspielfehlern fabrizierte, machte das Team von Philippe Clement mit unermüdlicher Manndeckung wieder wett. "Das Budget eines belgischen Topklubs ist nicht dasselbe wie bei PSG oder Leipzig", sagte Clement auf der Pressekonferenz nach dem Spiel, "deswegen müssen wir das anders kompensieren." Spieler, die aus besseren Ligen zum Verein kämen, seien zunächst erschrocken über die Intensität der Trainingseinheiten, offensichtlich ist die Lauffreude aber groß. "Wir wussten, dass Leipzig hinten langsamer ist", sagte Kapitän Vanaken. Das war dann noch ein Treffer in der Nachspielzeit.

Tatsächlich hatte Brügge am ersten Spieltag schon Paris Saint-Germain beim 1:1 einen Punkt abgeknöpft; dass es die Leipziger ihnen bei den kommenden zwei Spielen gegen die Franzosen gleichtun, erscheint nun unwahrscheinlicher denn je. "Wir haben eine schwierige Situation viel schwieriger gemacht", sagte Marsch. Am Sonntag trifft RB in der Bundesliga auf Bochum. Könnte so ein Aufsteiger nicht ein ganz gelegener Aufbaugegner sein? Bei dem Gedanken musste man am Dienstagabend nur mal in die Gästekurve gucken, wo der letzte Tanz den Belgiern gehörte.

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