Champions League:FC Bayern redet sich stark

Lesezeit: 3 min

  • "Wir haben eigentlich genug Chancen kreiert", sagt Trainer Pep Guardiola.
  • Nach dem 0:1 im Radau von Atlético Madrid hoffen die Münchner auch auf die eigenen Fans. Und auf ein Tor von Thomas Müller.
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Von Martin Schneider, Madrid

Die Pfiffe schwollen langsam an, erst pfiffen ein paar, dann immer mehr, schließlich sprangen die ersten von ihren Sitzen auf. Die Luft über dem Rasen des Vicente Calderón füllte sich mit Schallwellen, die wie spitze Pfeile in die Ohren schossen. Einige fingen an, das Gesicht zu verziehen, man hätte sich wie ein kleines Kind die Ohren mit der flachen Hand zu halten müssen. Als Schiedsrichter Mark Clattenburg sich weigerte, auf die Pfiffe zu reagieren, nahm jeder der rot-weißen Atlético-Fans die Finger in den Mund und pfiff, als hätte der Brite hier offensichtlich das Spiel verschoben. Dabei war der Anlass für diese infernalische Symphonie: Atlético führte 1:0 und Clattenburg wollte nicht rechtzeitig zur Halbzeit pfeifen.

Viel wurde über die Stimmung im Stadion geredet und man mag sich nicht vorstellen, wie laut es in dieser alten Arena wäre, wenn der Schall nicht in den Madrider Nachthimmel davonsausen würde, sondern durch ein Dach auf dem Spielfeld bliebe. In Deutschland singt ein Block, manchmal eine ganze Kurve, hier singt ein ganzes Stadion, die Bayern-Fans waren über 90 Minuten lang kaum zu hören. Sie hatten keine Chance gegen 45 000 aufgedrehte Rojiblancos.

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Philipp Lahm, dessen Ohren nach dem Spiel offenbar immer noch gut funktionierten, gab sogleich den Einpeitscher. "Wir wissen, was auch bei uns für eine Stimmung sein kann. Also mit der Unterstützung haben wir sicher eine Chance, das Finale zu erreichen."

Das Rückspiel, darauf kommt es jetzt an. Schon wieder. Schon wieder im Halbfinale. Schon wieder gegen ein spanisches Team. Und schon wieder ohne Auswärtstor. Nach Real Madrid 2014 (0:1) und Barcelona 2015 (0:3) nun also Atlético 2016 (0:1). Die Bayern-Spieler stapften nacheinander Richtung Mannschaftsbus. Unter anderem ein gewisser Mario Götze - die Älteren erinnern sich, dass er mal in einem K.-o.-Spiel in Brasilien nicht unwichtig gewesen war - mittlerweile spekuliert man nicht mal mehr mit seiner Einwechslung.

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Mit Thomas Müllers Einwechslung spekuliert man auch nicht, aber eben, weil er normalerweise von Anfang an auf dem Platz steht. Ex-Bayern Trainer Louis van Gaal stellte einst die Van-Gaal-Doktrin "Müller spielt immer" auf. Guardiola brachte ihn diesmal erst in der 70. Minute für Kingsley Coman.

"Ich war nicht so glücklich drüber, aber für Enttäuschung ist, wenn man als Team erfolgreich sein will, in so einem Moment wenig Platz. Wir sollten schauen, dass wir unsere Emotionen im Griff haben. Es können nur elf spielen und wenn alle sieben, die auf der Bank sitzen, mit so einem Gesicht draußen sitzen, dann hilft das keinem." Müller grinst in Interviews normalerweise so breit, dass man seine spitzen Eckzähne sieht. Im Estadio Vicente Calderón wurde er leise. Er war schon angefressen.

Philipp Lahm dagegen wollte die Stimmung auf einem brauchbaren Niveau halten. "Wir hätten vor dem Spiel nicht gedacht, dass wir uns so viele Chancen erarbeiten können, wie in der zweiten Halbzeit." Er klang dabei wie einer, der gerade im Rhetorik-Ratgeber das Kapitel "Betone deine Stärken" gelesen hatte. Aber was war denn am Anfang los? "Wir haben erst mal wenige Chancen zugelassen." Aber das Gegentor? "Das ist eine Situation, die so nicht passieren darf. Wir waren in Überzahl." Selbst Lahm konnte das nicht Schönreden. Er selbst, bester Mann auf dem Platz, wollte ansonsten stark sein im schwachen Moment.

Die Niederlage in Madrid ist die erste Situation in dieser Saison, in der es beim FC Bayern in einem wichtigen Moment richtig danebenging. Gut, die erste Halbzeit im Achtelfinal-Rückspiel gegen Turin, aber da korrigierte das die Mannschaft auf dem Platz. Noch nie musste man eine Art von Scheitern erklären. Guardiola meinte: "Die Leistung war gut, das Ergebnis war nicht sehr gut." Und: "Wir haben eigentlich genug Chancen kreiert, um ein Tor zu schießen."

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"Eigentlich" ist so ein Wort, dass man als Sportler ungern verwendet, weil an ihm immer "aber es hat dann doch nicht geklappt" unsichtbar dranhängt. Eigentlich hätte dieser Schwarzenbecksche Schuss von David Alaba an die Latte auch rein gehen können (54.), eigentlich hätte der Kopfball von Javi Martínez zwei Minuten später reingehen müssen und eigentlich wäre ein 1:1 verdient gewesen.

Um nach dem Rückspiel nicht wieder Sätze mit "eigentlich" sagen zu müssen, braucht es in der Münchner Arena mindestens ein Tor, bei einem Gegentor schon drei. Eine Meisterfeier wird es darum am Wochenende nicht geben, auch wenn die Schale nach einem Sieg gegen Gladbach sicher wäre. "Wir konzentrieren uns", sagte Neuer. "Wir werden die Emotionen in Wut umwandeln und am Dienstag einen raushauen. Und dann schauen wir, ob es reicht", sagte Müller. Von Kapitän Lahm bekam er einen Auftrag mit. "Ich bin mir sicher, dass Thomas Müller noch ein Tor macht im Halbfinale."

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