Flick und Tuchel im Finale:Überlebenswichtig für den deutschen Fußball

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Thomas Tuchel und Hansi Flick (Foto: Sven Simon/imago images, Stefan Matzke/sampics/imago images)

Entweder wird Hansi Flick die Champions League gewinnen oder Thomas Tuchel. Bei beiden Trainern war eine klassische Nationalspieler-Karriere dafür nicht nötig - stattdessen haben sie entschlossen eine Nische genutzt.

Kommentar von Christof Kneer

Nur mal kurz so rumgesponnen: Angenommen, der FC Liverpool wäre in der Champions League nicht so früh ausgeschieden, dann hätte es jetzt vielleicht ein Halbfinale gegeben, in dem ausschließlich deutsche Trainer coachen: Hansi Flick/Bayern München, Thomas Tuchel/Paris St. Germain, Julian Nagelsmann/RB Leipzig und eben der FC Liverpool mit dem aus Film, Funk und Fernsehen bekannten Jürgen Klopp.

Für all die, denen man nichts vormachen kann: Ja, okay, genau so hätte das Halbfinale nicht ausgesehen, denn Liverpool hätte im Viertelfinale gegen Leipzig gespielt, vermutlich wäre da einer ausgeschieden, und dann wären maximal drei deutsche Trainer unter den letzten Vier gewesen. So wie jetzt auch. Aber der Verweis auf Klopp muss genehmigt sein, weil er noch deutlicher macht, was die Champions League gerade ist: eine Art German Open auf der Trainerbank.

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Der anerkennende internationale Blick aufs deutsche Trainerwesen mag dabei durchaus hilfreich sein, denn zuletzt haben sich die deutschen Spitzentrainer ja eher mit sich selbst beschäftigt. Es tobte die große Ex-Profis-versus-Laptoptrainer-Debatte, befeuert vom spitzzüngigen Ex-Profi Mehmet Scholl, und am Ende wurde dann nach keineswegs repräsentativen Kriterien aufgerechnet, ob Friedhelm Funkel (Ex-Profi/Routinier) oder doch Florian Kohfeldt (Laptoptrainer/kein Routinier) der bessere Mann ist.

Mastermind Ralf Rangnick

Wirft man nun einen Blick auf die deutschen Champions-League-Trainer, dann muss Mehmet Scholl ganz tapfer sein: Kein Ex-Nationalspieler coacht da, nicht mal er selbst. Thomas Tuchel und Julian Nagelsmann kommen von weit unten, sie haben praktische Knieverletzungen genutzt, um ihre Spielerkarrieren früh zu beenden und Trainerkarrieren zu beginnen. Sie haben in Mainz und Hoffenheim deutsche A-Jugend-Meister trainiert und entstammen einer zumindest ähnlichen Nische wie Jürgen Klopp, der in Mainz über Nacht vom Spieler zum Trainer wurde und nach dem Learning-by-Coaching-Prinzip zum erfolgreichsten Grinsen des Weltfußballs wurde. Selbst der Karrieresonderfall Hansi Flick passt dank seiner Zeit als DFB-Sportdirektor ins Muster: Alle diese Trainer eint, dass sie sich in ihren akademischen Milieus systematisch weitergebildet haben, gerne auch unter der wechselseitig anstrengenden Betreuung durch den Mastermind Ralf Rangnick, dem der deutsche Fußball einige innovative Start-up-Impulse verdankt.

Wer den europäischen Trainermarkt beobachtet, der erkennt, wie überlebenswichtig diese Nischentrainer für den deutschen Fußball sind. Juventus Turin hat den mindestens weltberühmten Andrea Pirlo zum Trainer ernannt, Real Madrid und der FC Chelsea werden von den Klublegenden Zinédine Zidane und Frank Lampard geführt, auch der große Spanier Xavi bereitet sich auf eine Trainerkarriere vor - in Deutschland dagegen sind, angefangen von Lothar Matthäus, gleich mehrere große Spielergenerationen für den Trainerjob verloren gegangen. Manchen fehlte der Antrieb, anderen die Qualität, wieder andere wurden lieber Funktionäre (Kahn, Kehl, Rolfes, Hitzlsperger) oder organisieren Europameisterschaften (Lahm). Die Nischentrainer haben diese Lücke entschlossen für sich genutzt.

Ein deutscher Trainer wird am Sonntag die Champions League gewinnen, so viel steht fest. Mehmet Scholl wird in einem Podcast darüber berichten.

© SZ vom 22.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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