FC Bayern:Ein Team, das noch besessener ist als Oli Kahn

Fussball Champions League/ Halbfinale/ Olympique Lyon - Bayern Muenchen

Serge Gnabry (rechts) ahnt, dass ihm gerade etwas Beachtliches gelungen ist: Der Linksschuss des Münchner Stürmers schlägt gleich zum 1:0 im Netz der Franzosen ein.

(Foto: Sven Simon / Frank Hoermann)

Die Mannschaft des FC Bayern zeichnet sich durch einen Erfolgsdrang aus, der selbst den angehenden Vorstandsvorsitzenden erstaunt. Spielerische Mängel sollen bis zum Finale behoben werden.

Von Philipp Selldorf, Lissabon

Das war's. Zumindest für das Stadion José Alvalade, Heimat von Sporting Lissabon, das sich am Mittwochabend mit dem 3:0 des FC Bayern gegen Olympique Lyon aus dem Europacup-Turnier verabschiedete. Das Finale am Sonntag findet ein paar Straßen entfernt im Stadion des Rivalen Benfica statt, aber für die Menschen in der Nachbarschaft des Alvalade ist das keine schlimme Nachricht. Sie können jetzt wieder den Lidl im Stadion besuchen, ohne von der Polizei kontrolliert zu werden wie am Mittwochabend. Letzteres ließen die Leute mit der gleichen geduldigen Ruhe geschehen, mit der sie sich auch sonst durch ihre Stadt zu bewegen pflegen - meist ein bisschen langsamer als in den anderen Zentren des Kontinents. Lissabon zeichnet sich nicht nur durch die Abwesenheit von Hektik, sondern auch durch die diskrete Lebensart seiner Einwohner aus.

Vorsorglich hatten die Behörden vor Spielbeginn einige Uniformierte am Stadion postiert, doch sie bekamen es bloß mit ein paar Hausfrauen zu tun. Bayern-Fans waren nicht zu sehen. Es sind zwar einige in der Stadt, sie werden am Sonntagabend allerdings in der klaren Minderheit sein, wenn ihr Team auf Paris St. Germain trifft.

Während des Spiels gegen Leipzig war Lissabons Altstadt fest im Griff der PSG-Anhänger, deren Ausgelassenheit aber bei weitem nicht heranreichte an den Übermut der Stars aus Paris.

Die beiden Halbfinals haben unter anderem eine klare Auskunft über den Unterschied der Temperamente beim französischen und beim deutschen Meister gegeben. Den karnevalistischen Umtrieben bei PSG folgten bei den Bayern gebremst freudige Bekundungen der Genugtuung darüber, eine schwierige Aufgabe erledigt zu haben. Hansi Flick sah sich offenbar genötigt, etwas klarzustellen: "Im Großen und Ganzen muss ich sagen: Wir sind alle happy", sprach er, doch auch diese Versicherung von Lebensfreude wurde nicht mit Enthusiasmus vorgetragen.

Außer dass die Partie gegen ein widerspenstiges und bis zum Schluss lästiges Lyon den Charakter von Schwerarbeit hatte, wirkte bei den Münchnern offenbar noch der Schrecken aus der Anfangsphase nach. Serge Gnabrys 1:0 in der 18. Minute, ein Treffer wie ein Power-Joker, setzte dem krisenhaften Einstieg ins Spiel ein Ende, doch bei den Betroffenen blieb der ungewohnte Eindruck eigener Verwundbarkeit.

Flick verweist auf die Umstände

Alphonso Davies etwa dürfte aus diesem Spiel mehr fürs Leben gelernt haben als aus dem Vorgänger gegen Barcelona, der ihn schlagartig weltberühmt gemacht hatte. Und Thiago stand so sehr unter Stress, dass er nur durch Fehler auffiel - und dadurch, dass er Leon Goretzka die meiste Arbeit überließ. Flick verwies auf die außerordentlichen Umstände ("in einem Halbfinale läuft nicht alles optimal") und den sehr speziellen Gegner ("tut jeder Mannschaft weh") - und las dann doch im Stil des Gutachters aus der Mängelliste vor: "Schlecht verteidigt", "viele leichte Ballverluste", Mangel an Stabilität im Mittelfeld. Für den im Jahr 2020 übermächtigen FC Bayern sind das fremdartige Phänomene.

Vermutlich haben sich Spieler und Trainer noch in der Nacht in ihrem Resort zusammengesetzt und eine Klausur mit Videovorträgen und Impulsreferaten abgehalten, um keine Zeit zur Besserung zu verlieren. Aus Sicht der Bayern-Gegner ist es ja leider so, dass diese Mannschaft nicht nur strebsam, sondern von ihrem Erfolgsdrang beinahe besessen ist. Der angehende Vorstandsvorsitzende Oliver Kahn begleitet die Europacup-Mission seit dem Trainingslager an der Algarve, und selbst für ihn - einen Experten der Erfolgsbesessenheit - ist das Niveau der sportlichen Gesinnung erstaunlich.

Als er mit den Bayern 2001 die Champions League gewonnen habe, da sei man von der traumatischen Niederlage gegen Manchester United 1999 "getrieben worden", erzählte er am Donnerstag; und die Generation Philipp Lahm & Bastian Schweinsteiger habe ungefähr das Gleiche nach dem verlorenen Münchner Finale gegen den FC Chelsea 2012 erlebt, bevor sie 2013 gegen Dortmund triumphierte: "Aber solche negativen Erfahrungen hat unsere aktuelle Mannschaft nicht: Sie ist einfach motiviert von dem Gedanken, immer besser werden zu wollen - und das zeichnet eine große Mannschaft aus."

Lewandowski wirkte wie Inspektor Clouseau

Diese Sätze sind einerseits geeignet, auf der Homepage zu stehen und für das Bayern-Publikum in Tokio und Toronto, Singapur und Sydney übersetzt zu werden, sie sind andererseits aber auch in vollem Umfang glaubhaft. Und Kahn verkündete wie der CEO eines Weltunternehmens weitere Thesen zum Sport, die wie Werbeslogans klangen und dennoch die Konkurrenz beunruhigen sollten: "Wir wären nicht der FC Bayern München, wenn wir uns auch in so einer Situation nicht Gedanken machen würden über Verbesserungspotenziale." Da gehe es aber "nur um Millimeter und Zentimeter, denn diese Mannschaft befindet sich auf Top-Niveau".

Die Partie gegen Lyon stellt zu dieser Behauptung der Münchner Perfektionisten keinen Widerspruch dar. Thomas Müller war nicht so präsent wie im Spiel gegen Barcelona, und Robert Lewandowski hatte ein paar Momente, die ihn aussehen ließen wie den tölpeligen Inspektor Clouseau aus "Pink Panther".

Flick und alle Bayern waren erleichtert, dass ihm doch noch das 3:0 gelungen war - es ist nicht gut, wenn der Mittelstürmer nach fabelhafter Saison ausgerechnet vor dem Saisonhöhepunkt mit einem unguten Gefühl nach Hause geht. "Heute war er glücklich, dass er für uns das Spiel abschließen konnte", interpretierte Flick den Jubel des Angreifers, der in Wahrheit seinem doch noch erfüllten Torjägerglück galt.

Statt wie üblich Lewandowski trat plötzlich Gnabry mit dem 1:0 in Erscheinung, "das man guten Gewissens als Weltklasse bezeichnen kann" (Kahn). Der nicht nur schnelle, sondern auch sehr schlaue Stürmer ist einer dieser Spieler, für die Bayern an der Transferbörse keine 50, keine 30 und noch nicht mal zehn Millionen bezahlt hat, der nun aber trotzdem, wie der sicher nicht angeberisch daherredende Hansi Flick meinte, "nah dran ist an der Weltklasse - aber noch lange nicht fertig".

Just in der Champions League habe Gnabry "viele Sahnetage" gehabt, hob Manuel Neuer dankbar hervor, und wenigstens der Kapitän geriet dann am Ende des Abends im Alvelade noch mal richtig ins Schwärmen: "Es ist einfach fantastisch, was für eine tolle Mannschaft wir haben."

Auf der anderen Seite dürfte am Sonntag in einem würdigen Finale aber auch eine andere tolle Mannschaft stehen. Oliver Kahn konnte zum Gegner aus Paris am Ende auch noch etwas Treffendes sagen: "Wenn die eine Chance kriegen - dann knallt's meistens."

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