Ivan Perisic beim FC Bayern:Der perfekte Edeljoker

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Einer, den sie in München behalten wollen: Ivan Perisic (rechts, mit Thomas Müller) beim Halbfinalsieg der Bayern gegen den FC Barcelona. (Foto: AP)

Die Kauffrist ist verstrichen, dennoch möchte der FC Bayern den ausgeliehenen Flügelspieler behalten. Seine Qualitäten würden wunschgenau in die Münchner Zukunftsplanungen passen.

Von Philipp Selldorf, Lissabon

Als der Trainer Adi Hütter am Montag seine Spieler zum ersten Training nach der Urlaubspause begrüßte, herrschte Gedränge auf dem Rasen. Grund: Dem Profi-Kader gehören 33 Spieler an, viel zu viele, zumal ohne Europacup-Programm, wie man bei Eintracht Frankfurt sagt. Ähnliches sagt man aber auch in Augsburg, in Köln, auf Schalke und an vielen weiteren Bundesliga-Orten, an denen die Corona-Krise die Personalplanungen durchkreuzt und zu Überbesetzungen geführt hat. Bloß beim deutschen Meister ist von derlei Problemen nichts zu hören, stattdessen ist man da wieder mal sehr zufrieden mit sich selbst und mit der eigenen Politik.

Der FC Bayern unterhält nach aktuellem Stand einen Kader mit 25, 26 Profis, von denen sich aber einige noch verabschieden werden. Philippe Coutinho und Alvaro Odriozola kehren zu ihren spanischen Stammvereinen zurück, Javi Martínez und Thiago planen, etwas Neues zu machen. Ferner gibt es dann noch den Fall Ivan Perisic, den die Münchner von Inter Mailand geliehen haben und dessen Rückgabe für den 31. August verabredet ist. Möglich also, dass das Hauspersonal des "Penha Longa Resort" in Cascais demnächst ein paar Striche von der Wand in Perisic' Hotelzimmer wischen muss. Mit diesen Strichen hätte der 31 Jahre alte kroatische Nationalspieler nicht die Tage gekennzeichnet, die er noch bleiben muss, sondern die Tage, die er noch bleiben darf.

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Perisic wünscht sich, was sich auch Hansi Flick wünscht: dass aus der vorübergehenden Beziehung mit den Bayern eine dauerhafte Beziehung wird. Der Trainer hat weiterhin Großes vor mit dem Linksaußen, auch wenn er ihn beim Treffen mit Lyon vielleicht auf der Bank platzieren wird, um Kingsley Coman den Vorzug zu geben. Letzteres ließe sich aber aus zwei Gründen als Verstoß gegen steinalte Sportweisheiten interpretieren: Erstens gehörte Perisic zur Startelf der Mannschaft, die Barcelona 8:2 besiegte; zweitens hat er dazu eine Menge beigetragen, unter anderem die Vorbereitung des 1:0 und den Treffer zum 2:1.

Nicht Coutinho hat sich als Top-Transfer erwiesen, sondern der des unterschätzten Perisic

Flick hat ihn dafür sehr gelobt, dennoch wäre es nicht vollkommen widersprüchlich, wenn Perisic am Mittwoch erst mal zusehen würde. Es läge in der Logik der Edelhelfer-Rolle, die ihm vor einem Jahr in München zugeteilt wurde. Auf den Job der offensiven Allzweck-Aushilfe hat er sich bisher nicht nur ohne Klagen eingelassen, er hat ihn auch perfekt bedient.

Nicht der aus Barcelona geliehene Coutinho, dessen Wechsel als Coup für den FC Bayern und die gesamte Bundesliga gefeiert wurde, hat sich als Top-Transfer erwiesen, sondern der ohne Getöse ins Land gekommene und weithin unterschätzte Ivan Perisic. Seine starken Leistungen bei der WM 2018, als Kroatien ins Endspiel einzog, hatten viele offenbar vergessen. "Das ist ein Spieler, der mir gefällt", erklärte Karl-Heinz Rummenigge neulich in monarchischem Ton, weshalb es gut sein kann, dass er in Kürze seinen Ex-Verein Inter Mailand kontaktiert, der in den Achtzigern drei Jahre seine sportliche Heimat war.

Heutzutage herrschen in Mailand die chinesischen Besitzer, am Spielfeld aber hat Antonio Conte die Befehlsgewalt. Vom ehemaligen Nationaltrainer sagen die örtlichen Experten, dass er ein Meister seines Fachs sei, dass viele Spieler aber spätestens nach zwei Jahren genug von ihm hätten. Contes Arbeitsweise, die unter anderem darauf zielt, im Alltag keine bequeme Routine zuzulassen, wird von den Untergebenen als geistig anstrengend empfunden. Ivan Perisic erlebte es aber umgekehrt. Es war Conte, der ihn zügig fortwünschte.

Kaum bei Inter angekommen, ließ der Trainer nach ein paar Testläufen wissen, dass in seinem System mit zwei Angriffsspitzen kein Platz für Perisic sei. Aktuell, so wird erzählt, sei Conte "indifferent" in der Frage, ob er wieder mit dem Angreifer arbeiten wolle, und es heißt außerdem, dass Perisic auch bei Inters Klub-Managern in Verruf geraten sei. Ihnen habe nicht gefallen, wie er sich am Ende seiner Mailänder Zeit im Kreise seiner Gefolgsleute, dem Torwart Samir Handanovic und dem Nationalelf-Kollegen Marcelo Brozovic, verhalten habe.

Perisic würde wunschgenau in die Münchner Zukunftsplanungen passen

Den Bayern kann es nur recht sein, bei ihnen gab es nie Ärger um Perisic, der als Musterprofi gilt und stets zur Verfügung stand. Die verabredete Gebühr für die feste Übernahme des Stürmers - 20 Millionen - wollten sie zwar nicht bezahlen, die Frist haben sie verstreichen lassen, aber tendenziell besteht die Absicht, Perisic zu behalten. Inter beharrt auch nicht auf den besagten 20 Millionen, heißt es aus Italien. Der Rest ist Verhandlungssache.

Trotz seines Alters würde Perisic dank seiner Vielseitigkeit und seines gezügelten Egos wunschgenau in die Münchner Zukunftsplanungen passen. Die Bayern haben durch ihre traditionell ausführliche Europacup-Kampagne ein viel größeres Saisonprogramm als Eintracht Frankfurt und der FC Augsburg, aber sie wissen ganz genau, warum sie - seit Jahren schon - lieber mit kleineren Kadern arbeiten. Einen zweiten namhaften Mittelstürmer neben Robert Lewandowski könnten sie zwar problemlos bezahlen - dafür gäbe es jedoch Probleme mit Lewandowski, wenn sie ihn zu Lasten von dessen Einsatzkonto einsetzen wollten. Stünden im Münchner Kader 33 Spieler mit dem Niveau und dem typischen Ego von Top-Profis, gäbe es für den Boulevard viel zu berichten.

Dass Arjen Robben und Franck Ribéry die Rolle von Ivan Perisic ebenfalls so mannschaftsdienlich angenommen hätten, darf bezweifelt werden. Für Hansi Flick, der soziales Verhalten zu schätzen weiß, könnte das ein weiteres Argument für Ivan Perisic sein.

© SZ vom 19.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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