FC Bayern:Sie wissen genau, dass sie es können

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Der Jahrgang 1995 soll den FC Bayern zum Champions-League-Sieg führen. Es ist eine Generation, die schon früh Professionalität, Erfolgsfixiertheit und den Umgang mit Druck gelernt hat.

Von Christof Kneer, München

Es ist wirklich schon eine Weile her, Horst Hrubesch kann nicht mehr mit Sicherheit sagen, ob es bei der U-17-Nationalmannschaft war oder bei der U 19. Aber ansonsten sieht er die Szene noch vor sich: Wie dieser freche Kerl da nach dem Training auf ihn zuläuft, auf ihn, den Trainer Hrubesch, Respektsperson und deutscher Fußballheld, 2,50 Meter groß und breit wie zweieinhalb Kimmichs. Und was macht dieser Kimmich? Fragt, ob man die Trainingsübung von vorhin beim nächsten Mal nicht ein bisschen anders machen könnte. Und wer Kimmich kennt, der weiß, wie gut er das kann: Fragesätze bilden, an deren Ende ein Ausrufezeichen steht.

Im Grunde wollte Kimmich mit 17 oder 19 Jahren also sagen: Trainer, das müssen Sie beim nächsten Mal aber besser machen. Horst Hrubesch war total begeistert.

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Vielleicht gilt Hrubesch, inzwischen 69, auch deshalb als Deutschlands oberster Jugendpfleger: Weil er ein Gespür für diese Burschen hat, weil er im 17-Jährigen schon den 25-Jährigen erahnt. Hrubesch hat es auch überhaupt nichts ausgemacht, wenn ihn damals die Reporter gefragt haben, warum er im Mittelfeld seiner Juniorenauswahl immer auf diesen Drittligaspieler Kimmich setzt und viel seltener auf den Erstligaspieler Max Meyer, der auf Schalke zu dieser Zeit schon das Hemd des heiligen Raúl tragen durfte, mit der Nummer "7".

Hrubesch hat das dann nicht näher begründet. Warum auch? Man kann nicht jedem Laien alles erklären. Er wusste es halt.

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Vermutlich ist aus Joshua Kimmich nun aber ein 25-Jähriger geworden, den nicht mal Hrubesch voraussehen konnte. Dass dieser Bursche einen Vorrat an Ehrgeiz besitzt, mit dem man anderswo ganze Mannschaften ausstattet, war Hrubesch bekannt, und auch, dass der kleine Kerl mit diesem Ehrgeiz eine ganze Mannschaft anzünden kann. Aber dass es mal eine kleine Katastrophe für den deutsche Fußball respektive den FC Bayern bedeuten könnte, wenn Kimmich seine internationale Klasse eine Zeitlang nur als Rechtsverteidiger zeigen kann, anstatt seine Weltklasse im zentralen Mittelfeld? So weit wäre wahrscheinlich nicht mal Hrubesch gegangen.

Kimmich hat seine Rolle akzeptiert

Aber so ist es ja nun: Der FC Bayern muss beim Champions-League-Turnier in Lissabon damit klarkommen, dass Kimmich nur auf seiner zweitbesten Position spielt. Trainer Hansi Flick weiß genau, was er seiner Mannschaft mit Kimmichs Versetzung nach rechts hinten antut, aber er findet, dass er es ihr antun muss, weil alles andere für die Mannschaft noch schlimmer wäre. Natürlich könnte Kimmich jetzt wieder zum Trainer gehen, so wie damals bei Hrubesch, er könnte Flick die mit einem Ausrufezeichen versehene Frage stellen, ob man die Aufstellung nicht vielleicht doch ein bisschen anders machen könnte.

Aber Kimmich hat es nicht gemacht. Er hat die Rolle akzeptiert, vorübergehend, aus zwei Gründen, die typisch sind für ihn und die Generation, die er anführt. Kimmich ist Altruist und Teamplayer, er will der Mannschaft helfen, zur Not eben als Vertreter des verletzten Benjamin Pavard. Aber er leistet sich schon auch den Egoismus eines Leistungssportlers. Er will ganz unbedingt diese Champions League da gewinnen, und dank eines recht robusten Selbstbewusstseins weiß er, dass die Chancen mit einem Rechtsverteidiger Kimmich viel größer sind als mit einem Rechtsverteidiger Odriozola, Hernández oder Boateng.

In Deutschland ist zuletzt oft von den verheißungsvollen Jahrgängen 1995/96 geraunt worden, diese Jahrgänge sind schnell verglichen worden mit jener Neuer-Khedira-Özil-Boateng-Hummels-Generation, die im Sommer 2009 U-21-Europameister und fünf Jahre später in Brasilien Weltmeister wurde. Die Tage von Lissabon werden nun also zur ersten Prüfung für jene schon vorab verklärte neue Klasse, deren Klassensprecher Joshua Kimmich ist.

Es ist die Generation, die Deutschlands Fußball in die Zukunft führen soll, und in München hätten sie nichts dagegen, wenn diese Zukunft schon in Lissabon beginnt. Der FC Bayern hat sich bewusst zu dieser Generation bekannt, neben Kimmich (Jahrgang '95) zählen auch die 95er Leon Goretzka, Serge Gnabry und Niklas Süle zu dieser newgen, wie sich die Buben unter Hinzuziehung eines Hashtags manchmal selber nennen. Nun kommt auch noch Leroy Sané hinzu, ein 96er wie Timo Werner, den zumindest der Trainer Flick auch noch gerne in München gesehen hätte.

"Unsere Generation hat viel Potenzial, aber eben noch nicht so viele Titel gewonnen", sagte Kimmich kürzlich, ein Satz, der unspektakulär klingt, aber ein spektakuläres Selbstverständnis offenbart. Die Generation Lahm/Schweinsteiger/Robben/Ribéry hat etwa 30 werden müssen, um 2013 die Champions League zu gewinnen, und sie alle sind zuvor ehrabschneidend oft genervt worden von der Frage, wann's denn endlich mal so weit wäre. Kimmichs Klasse steht noch nicht unter öffentlichem Druck, mei, die Burschen sind doch erst 24, 25, da hat man noch ein bisschen Zeit bis zur Unsterblichkeit, oder? Kann sein, aber die Burschen selber sehen das anders. Sie finden, dass sie schon reif sind fürs große Ding, und dass der Confed Cup, den sie 2017 gewannen, echt nur ein halb großes Ding ist.

An Sätzen wie jenem von Kimmich kann man gut erkennen, wie die Generation tickt, die da gerade die Macht übernimmt. Es ist die erste Generation, die vollständig aus den Internaten und Nachwuchsleistungszentren stammt, schon früh haben sie dort Professionalität, Erfolgsfixiertheit und den Umgang mit Druck gelernt. Sie wissen genau, dass sie's können, aber sie wissen auch, dass sie noch nichts erreicht haben und dass sie was tun müssen dafür. Nicht alle strahlen dabei Kimmichs radikalen Willen oder Goretzkas aufgeklärte Haltung aus, aber auch die schrilleren Gnabry und Sané, die gemütlicheren wie Süle oder die etwas zwangloseren wie der Dortmunder 96er Julian Brandt ähneln sich in der vollkommenen Selbstverständlichkeit, in der sie an sich und ihre Zukunft glauben. Könne schon sein, dass da eine goldene Generation heranwachse, sagte Brandt vor einiger Zeit mit sehr erhabener Lässigkeit.

Noch ein paar Namen? Auch Kehrer, Tah, Klostermann, Waldschmidt, Amiri, Stark oder Weigl gehören zur 95/96er-Klasse, aber auch das haben sie ja schon gelernt: dass nicht jeder von ihnen den Fußball prägen wird. Wo Max Meyer gerade spielt, muss man zum Beispiel erst nachschlagen. Im Internet steht, ohne Hashtag: Crystal Palace.

© SZ vom 13.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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