Champions League:Ein 0:1, das den Bayern Mut macht

Lesezeit: 4 min

Hätte er nur getroffen: David Alaba. (Foto: REUTERS)
  • Nach dem 0:1 im Halbfinal-Hinspiel gegen Atlético Madrid tröstet sich der FC Bayern mit der Leistung in der zweiten Halbzeit.
  • Die Partie hat gezeigt, dass die Münchener nicht auf ihrem Höhepunkt agieren. Vor allem der Gegentreffer deckte eine alte Schwäche auf.
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Von Claudio Catuogno, Madrid

Pep Guardiola ist das ja alles gewohnt. Er kennt den morbiden Charme des Estadio Vicente Calderón. Den offenen Putz. Den Geruch wie in einer staubigen Lagerhalle. Die Treppenstufen, an den Kanten so runtergelaufen wie in einer Ausgrabungsstätte. Die Autobahn, die unter der Haupttribüne durchführt. Er war hier oft, als Spieler und Trainer. Leicht war es nie.

Irgendwann hatte sich Guardiola am Mittwochabend seinen Weg durch die Katakomben gebahnt, er nahm Platz in einem neonbeleuchteten Kellerverlies, das hier als Pressekonferenzraum dient, er schien nicht den Eindruck zu machen, als nehme er groß Notiz davon, wo er ist. Er sagte: "Wir dürfen nicht vergessen, wo wir sind. Bei Atlético Madrid."

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0:1 (0:1) hat der FC Bayern sein Champions-League-Hinspiel verloren, und dann ist man unzufrieden - normalerweise. Aber Guardiola bittet darum, zu differenzieren. "Die Leistung war gut, uns gehörten 75 Prozent, wir hatten genug Torchancen", sagte er, "aber das Ergebnis war nicht gut. Wenn du auswärts kein Tor schießt, wird es kompliziert im zweiten Spiel." Und dann habe dieses Halbfinale nicht irgendwo stattgefunden. Sondern bei Atlético.

Atléticos Defensivbollwerk hat Guardiola in Grübeln gebracht

Um es mal so zu sagen: Wer Borussia Dortmund weiterhin als "besten Tabellenzweiten Europas" bezeichnet, der war noch nie im Estadio Vicente Caldéron. Die Festung, als die viele Fußballer dieses Stadion wahrnehmen, ist für Guardiola bloß Kulisse gewesen - die Festung, in die Atlético-Trainer Diego Simeone seine Mannschaft verwandelt hat, die hat Guardiola viel eher ins Grübeln gebracht. Und es spricht je nach Standpunkt für oder gegen Guardiola, dass er sich dabei nicht von der Münchner Mehrheitsmeinung hat leiten lassen, die besagt, dass man in Emotions-Spielen Emotions-Spieler auf dem Platz braucht - Spieler wie Thomas Müller und Franck Ribéry. Guardiola, so ist er nun mal, hat das Spiel eher von der taktischen als von der emotionalen Seite her gedacht.

"Bei einem Gegner, der sehr aggressiv verteidigt - da musst du das Spiel breit machen", erklärte er: "Ich wollte einen Linksfuß links und einen Rechtsfuß rechts", er wollte Flanken von der Grundlinie, scharfe Hereingaben, deshalb entschied er sich rechts für Kingsley Coman und links für Douglas Costa. Und Guardiola wollte "einen Mann mehr in der Mitte" - nicht nur den sehr robusten Arturo Vidal, sondern auch den sehr feinfüßigen Thiago.

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Linksfuß, Rechtsfuß, Überzahl in der Zentrale - als die Pep'sche Prioritätenliste abgearbeitet war, waren elf Plätze vergeben. Und Müller saß auf der Bank, bis zur 70. Minute, ebenso Ribéry (bis zur 64.). Hinterher sagte Müller: "Man ist nicht glücklich, aber für Enttäuschung ist, wenn man als Team erfolgreich sein will, in so einem Moment wenig Platz. Wir sollten schauen, dass wir unsere Emotionen im Griff haben."

Wie bezwingt man einen Gegner wie Atlético, der einem kaum Raum für einen Pass und kaum Zeit für einen Gedanken lässt vor lauter Pressing? Mit Wucht und Präsenz - oder eher mit taktischer Strenge? Guardiola muss im Lichte des 0:1 damit leben, dass jetzt ein Gegensatz konstruiert wird, wo keiner sein müsste: Wucht und Präsenz, das hatte er sich ja auch von Costa und Coman erwartet, und von Thiago. Und vor allem im zweiten Durchgang funktionierte das bisweilen sehr gut - David Alaba mit einem Lattenschuss (54.), Javi Martínez per Kopf nach einer Ecke (59.) und Vidal mit einem von Torwart Oblak glänzend abgewehrten Weitschuss (74.) vergaben die besten von diversen Gelegenheiten.

"Wenn wir im Rückspiel so viele Chancen haben, müsste es reichen", hofft Guardiola. Es gilt allerdings die Auswärtstor-Regel: Wenn Atlético einen Treffer erzielt, brauchen die Bayern schon drei. Ein bisschen ärgerten sich die Bayern zwar über diese Ausgangslage, aber im Stillen waren sie vielleicht auch ein bisschen froh: Hätte Fernando Torres den Ball nach einem Konter nicht am Pfosten, sondern im Tor deponiert, dann bräuchten die Bayern im Rückspiel mindestens drei Tore. Und falls Atlético träfe, wären es schon vier.

Wer allerdings Costa bei seinen vergeblichen Dribblings und harmlosen Halbfeld-Flanken beobachtet hat oder Robert Lewandowski beim Herumschleichen, dem ist nicht verborgen geblieben, dass diese Bayern-Elf gerade nicht uneingeschränkt auf ihrem Höhepunkt agiert. Und wer die Bilder des einzigen Tores betrachtet, der sieht, wie Thiago und Juan Bernat im Zweikampf die Hände heben - "Hallo Schiri, wir sind ganz lieb!" - während Saúl Ñíguez sich lässig zwischen ihnen hindurch windet, dann vorbei an Xabi Alonso und an Alaba - ein Tor wie ein Monument (11.). Manuel Neuer kam es irgendwie bekannt vor.

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"Das müssen wir uns jetzt auf die Fahne schreiben", ärgerte sich der Bayern-Torhüter später, "gerade so ein Solo-Lauf! Das haben wir gegen Juve schon mal erlebt. Da müssen wir, auch weil wir in Überzahl waren, besser verteidigen." Juventus' Álvaro Morata hatte die Bayern im Achtelfinale seltsam körperlos aussehen lassen mit seinem Spaziergang durchs Mittelfeld, diesmal also Saúl Ñíguez: Wenn so etwas zweimal passiert, besteht zumindest der Verdacht, dass eine Elf keine rechten Handlungsmuster dagegen parat hat.

Was das alles fürs Rückspiel bedeutet? "Wir werden versuchen, zu gewinnen", sagte Guardiola, das hat er vor zwei Jahren auch gesagt, nach dem 0:1 im Halbfinal-Hinspiel bei Real Madrid. Im Finale war er mit den Bayern noch nie.

Wenigstens sind die Münchner am kommenden Dienstag Herren im eigenen Haus - können sie ihren Rasen so nass machen, wie sie wollen. In Madrid war er zwei Tage nicht gewässert worden, damit er stumpf und langsam wurde. Thomas Müller übertrieb ein bisschen, als er sagte, bei Kopfaufsetzern "musstest du aufpassen, dass der Ball dir nicht zurückspringt ins Gesicht". Aber Humor ist halt, wenn man trotzdem lacht. Dass Müller im Rückspiel noch mal auf der Bank sitzen muss, das glaubt eigentlich niemand beim FC Bayern.

© SZ vom 29.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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