Champions League:Boateng verkörpert die Bayern-Krise

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Vieles klappte nicht bei den Bayern ins Rostow - vor allem hinten. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Das 2:3 in Rostow bringt für die Bayern haufenweise Probleme: Der Gruppensieg in der Champions League ist futsch, die Abwehr wankt gehörig - und Karl-Heinz Rummenigge kritisiert Jérôme Boateng scharf.

Von Jonas Beckenkamp

Die gute Nachricht zuerst: Beim FC Bayern ist in Rostow immerhin keiner erfroren. Die Schweinekälte in Russlands Süden hatte sich den Beteiligten bis tief unter die Haut gefräst - bei Temperaturen von minus fünf Grad wären also weitere Schäden vorstellbar gewesen. Doch zum Glück konnten die Münchner diese eisigen Gefilde schon in der Nacht nach dem 2:3 (1:1) gegen FK Rostow per Charterflug wieder verlassen.

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Ein Außenseiter, ein Rekordmeister und dann das Undenkbare: Der FC Bayern kassiert ein 2:3 in Rostow. Den Russen genügen wenige Tugenden, um die Münchner zu düpieren.

Damit zur schlechten Nachricht. Die Frostigkeit der äußeren Bedingungen übertrug sich direkt auf das Personal des deutschen Rekordmeisters. Die Champions-League-Saison des FC Bayern erhielt durch diese nie für möglich gehaltene Pleite eine gehörige Delle, denn am Ende des Ausflugs an den Fluss Don stand nicht nur ein 2:3, sondern ein ganzer Haufen weiterer Probleme: Platz eins in der Vorrundengruppe futsch, Riesen-Kuddelmuddel in der Abwehr und ein paar schneidige Kommentare des Kapitäns und des Vorstandschefs.

Wenn sich über den Zustand des FC Bayern in diesem Frühwinter eines sagen lässt, dann dies: So kritisch sah es schon lange nicht mehr aus für die Münchner, die derzeit von einer Verlegenheit in die nächste stolpern. Philipp Lahm kratzte deshalb seine letzten Reserven im Fachbereich Diplomatie zusammen, als er feststellte: "Krise ist vielleicht zu viel, aber wir müssen schnellstmöglich unsere Fehler abstellen." Dass Lahms "schnellstmöglich" eher nach SCHNELLSTMÖGLICH klang, verdeutlichte die Dringlichkeit seines Diskurses.

Die Frage ist, ob alle anderen Münchner das auch so sehen. Viele Szenen, die sich an diesem Abend in der Defensive abspielten, lassen Zweifel zu. "Wir sind aktuell ein bisschen sorglos, wir verstehen nicht, dass der Gegner auch Tore machen kann", sagte Lahm. Mats Hummels teilte diese Beobachtung: "'Sorglos' ist ein gutes Wort dafür. Jedes Tor wäre vermeidbar gewesen." Toreschießende Gegner, dieses Phänomen erleben er und seine Kollegen seit mehreren Wochen. Jetzt kassierte man erstmals unter Trainer Carlo Ancelotti drei Gegentreffer.

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Die Herren Azmoun (44.), Poloz (49.), und Noboa (67.) genossen entsprechende Freiheiten, die ihnen insbesondere Jérôme Boateng hinten gewährte. Nach Douglas Costas 1:0 (35.) musste man sich beim 1:1 fragen, ob es so einen wackeligen Boateng schon einmal gegeben hatte: Das Unglück nahm seinen Lauf, als ihn ein schlecht getimtes Costa-Rückspiel nicht erreichte und er einem Schlenker von Azmoun zum Opfer fiel. Im anschließenden Laufduell war Rostows junger Iraner deutlich schneller, während Boateng kaum hinterherkam. Als Krönung erlebte der Münchner schließlich seine Beförderung ins Jenseits, als sein Gegner vor dem Tor noch einen Haken schlug.

Das alles sah ein wenig aus wie damals mit Messi in Barcelona, doch es war halt nur der FK Rostow, Tabellensechster der russischen Liga. Kurz nach der Pause verursachte Boateng dann mit einem ungeschickten Einstieg einen Elfmeter, der den Russen zum 2:1 verhalf. Das dritte Gegentor fiel per Freistoß, bei dem die Münchner Mauer nichts ausrichten konnte.

Solche Momente der Hilfslosigkeit demonstrierten das Ausmaß der Verunsicherung bei den Bayern, was Boateng zu der Einsicht brachte, man sei "auseinandergebrochen. Die Tore sind zu einfach, da müssen wir als Mannschaft besser verteidigen." Ancelotti fand: "Nach dem ersten Tor haben wir zu viele Fehler gemacht. Im Moment ist es sehr schwierig für uns."

Den beißendsten Kommentar erlaubte sich angesichts der Boateng'schen Irrnisse Karl-Heinz Rummenigge: "Jérôme muss wieder zu Ruhe kommen. Seit letztem Sommer ist mir bei ihm alles zu viel. Es wäre gut für ihn und für den ganzen Klub, wenn er wieder ein bisschen 'back to earth' kommt." Rumms.

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Unverblümte, persönliche Kritik in solcher Schärfe hatte es von Rummenigge seit ungefähr 2007 nicht mehr zu hören gegeben, als er dem gelernten Pädagogen Ottmar Hitzfeld öffentlich mitteilte, "dass Fußball eben keine Mathematik" sei. In den Augen des Bayern-Bosses ist Boateng vor lauter Besuchen bei Jay-Z in New York sowie Werbeterminen im Brillen- und Männermodesegment die Bodenhaftung abhanden gekommen. Konkret ging es Rummenigge offenbar um ein Fotoshooting, das der Abwehrchef kürzlich in Berlin absolvierte, anstatt zu Hause seine Oberschenkelverletzung auszukurieren.

An selber Stelle (rechter, vorderer Oberschenkel) zwickte es Boateng auch diesmal so sehr, dass er nach einer Stunde für Hummels vom Feld musste. Generell hinterlässt sein Auftritt haufenweise Fragen. War das überhaupt der echte Boateng, der da in Rostow umhersprang? Oder hingen seine Fehler nicht vielmehr mit fehlender Fitness zusammen? Hatte Ancelotti einen Spieler aufgestellt, der nach zwei längeren Pausen in diesem Jahr einfach noch nicht gesund war? Wer sich Boatengs seltsame Zaghaftigkeit (vor allem beim 1:1) vergegenwärtigte, konnte zu dem Schluss kommen: Da war einer angeschlagen, er verdient also mildernde Umstände.

Rummenigge umkurvte diese Zusammenhänge bei seiner Generalkritik wenig galant, seine Worte über Boatengs Lebenswandel dürften nun nachhallen. Die Stimmung bei den Bayern verschiebt sich damit zunehmend in den Tiefkühlbereich. Es dürfte nicht mehr lange dauern, bis auch Ancelotti den Temperaturabfall zu spüren bekommt. Dass die Rostower im Olimp-2-Stadion frischer, willensstärker und resoluter wirkten, lässt nicht auf ausgeprägten Münchner Kampfgeist schließen. Dass im Defensivbereich das Feintuning fehlt, ist schon lange sichtbar. Einstellung und Taktik sind bekanntlich Trainersache. Da scheinen sich Defizite eingeschlichen zu haben.

Statistiker werden zudem anmerken, dass Ancelottis Bilanz schon jetzt hinter der von Pep Guardiola zurückhängt. 15 Punkte hat der Italiener als Coach der Münchner nun wettbewerbsübergreifend schon liegen lassen. Im November. Bei seinem Vorgänger waren es in dessen erstem Bundesliga-Jahr nur zwölf. Zum Saisonende. Herzerwärmende Erkenntnisse sehen anders aus.

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